Die Blechtrommel - von Günter Grass

Dieses Buch schlug 1959 ein wie die sprichwörtliche Bombe. In der jungen Bundesrepublik hatte man so eine Sprache noch nie vernommen.

Günter Grass ist das letzte Urgestein der deutschen Literaturlandschaft. Auf mehr als 50 Jahre Buchproduktion kann er zurückblicken, auf Jahrzehnte der politischen Aktion und endlich sogar, auf den lange ersehnten, 1999 verliehenen Nobelpreis für Literatur. Neben ihm kommen allenfalls noch die beiden anderen Über-Achtzigjährigen Siegfried Lenz und Martin Walser in Betracht, aber Grass ist es, der mit Schnauzbart und zerfurchtem Gesicht wie ein knittriger Gott aus alten Zeiten wirkt.

"Die Blechtrommel" veröffentlichte dieser Ausnahmekünstler, der als Doppelbegabter auch ein hervorragender Grafiker ist, 1959 im Alter von nur 32 Jahren. Das Buch schlug ein wie die sprichwörtliche Bombe. In der jungen Bundesrepublik hatte man so eine Sprache noch nie vernommen, in der erschöpfenden Nachkriegszeit diese literarische Kraft niemals erwartet. Jubel und Häme wurden über das Debüt von Grass ausgeschüttet. Die einen nennen das Buch nur "Brechtrommel" und sprechen von Machwerk und Kirchenschändung, die anderen, wie Hans Magnus Enzensberger, stoßen beim Lesen "Schreie der Freude und der Empörung" aus. Der Roman polarisierte, ließ aber keinen kalt.

Auch heute noch ist "Die Blechtrommel" ein echter Brocken. Mehr als 700 Seiten schwer, schwindelt einem angesichts dieser Lebensgeschichte, die vom Werdegang Oskar Mazeraths erzählt. Unglaublich prall gefüllt mit fabulierender Schreiblust reicht der von Grass gemauerte Bogen von 1899, als Oskars Großmutter den Großvater unter ihre Röcke lässt, über zwei Weltkriege hinweg bis zum Danzig der 1950er-Jahre. Günter Grass bietet eine solche Vielfalt an lebendigen Haupt- und Nebenfiguren, dass jede Rezension bei ihrer Wiedergabe scheitern muss und sich am besten auf den Helden des Romans beschränkt: Oskar, der 1924 zu Welt kommt, als Dreijähriger bereits den Geist eines Erwachsenen in seinem kleinen Köpfchen trägt und beschließt, nicht mehr zu wachsen. Er stürzt eine Kellertreppe hinunter - und sein Wunsch wird ihm erfüllt. Gegen die Welt der Erwachsenen antrommelnd und mit seinem Kreischen Glas zersingend, wird sich der Kleinwüchsige durch die Welt der Großen bewegen, einmal sympathisch gezeichnet, das andere mal verräterisch: ein Mensch mit seinen Brüchen. Aufgeteilt in drei Bücher, führt der Roman durch den Irrsinn des Zweiten Weltkrieges, verzerrt und verspiegelt Leiden, Brutalität und Lust. Auch heute haut "Die Blechtrommel" uns fulminant erzählte Sätze um die Ohren, atemlos folgt man den Satzgirlanden von Günter Grass. Schon allein dieser Romanbeginn "Zugegeben: ich bin Insasse einer Heil- und Pflegeanstalt", der einen hineinzieht in den Irrsinn der Welt, zeigt die Vielschichtigkeit dieses Protagonisten. 1979, genau zwanzig Jahre nach Veröffentlichung des Buches, verfilmte Volker Schlöndorff das Erstlingswerk von Grass. Abermals fast 20 Jahre später (1997) wurde dieser Film zum Gegenstand eines Gerichtsprozesses in den USA - man warf ihm Kinderpornografie vor.

"Die Blechtrommel" provoziert eben bis heute - genauso wie der Autor selbst: Grass war Mitgründer des Verbands Deutscher Schriftsteller, setzte sich über Jahrzehnte für sozialdemokratische Ideen ein, unterstützte den Wahlkampf der SPD, lehnte aber die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland ab. Mit seinem Roman "Rättin" von 1986 und dem 1990 erschienenen Grafikband "Totes Holz" beschäftigte er sich als einer der Ersten mit der Umweltverschmutzung. Und trat 2006 schließlich wieder einmal eine emotional aufkochende Debatte los, als er sich zu seiner Vergangenheit bei der Waffen-SS bekannte. Günter Grass und sein blechtrommelnder Oskar Mazerath: zwei bahnbrechende, provokante und aufregende Figuren der Zeitgeschichte.

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