Die Audiokassette erlebt in Nischen eine Renaissance

Kassette
Zwischen Mixtape und Bandsalat.

Ausgerechnet die nicht gerade für musikalische Trends und Innovationen bekannte Popsängerin Nelly Furtado sorgte kürzlich mit einer unkonventionellen Veröffentlichung für Schlagzeilen: Ihre Kollaboration mit dem Musiker Blood Orange wurde in einer streng limitierten Stückzahl aufgelegt – auf Kassette. Ein Format, das im Windschatten des Comebacks der Schallplatte eine kleine Renaissance feiert.

Von einem weltweiten Hype oder gar einem ernst zu nehmenden Markt kann natürlich nicht die Rede sein. Vielmehr wird die Kassette von Künstlern und Labels als eine Alternative zu handelsüblichen Tonträgern wie CDs eingesetzt. Die US-Band Metallica brachte etwa anlässlich des "Record Store Day" am 18. April 2015 ihre ersten Demos mit dem Titel "No Life ’Til Leather" in limitierter Auflage neu heraus – originalgetreu auf Kassette.

Wenn man so will, machen Metallica und Furtado das, was im Independent-Bereich längst zum guten Ton gehört. Verkauft werden diese "Liebhaberstücke" in Mini-Auflage dann bei Konzerten, wo die oftmals aufwendig und individuell gestalteten Kassetten-Hüllen neben selbstbedruckten T-Shirts, Stofftaschen, CDs und Schallplatten feilgeboten werden.

Aufnahme

Menschen über 30 fühlen sich beim Anblick einer Musikkassette in alte Zeiten zurückversetzt, in denen sie sich über den die kaputte Rücklauf-Taste, den obligatorischen Bandsalat ärgerten und Stunden am Kassettenrekorder verbrachten, um für die "große Liebe" ein Mixtape anzufertigen. Eine mühsame, aber befriedigende Arbeit – man war sein eigener Aufnahmeleiter, Grafiker und Vertrieb.

Die ursprünglich als Diktierband gedachte Audiokassette wurde im Jahr 1963 von Philips auf den Markt gebracht. Zwei Jahre später wurden die ersten Alben und Singles darauf veröffentlicht. Das in eine rechteckige Hülle eingepasste Magnetband war lange Zeit ein beliebtes Tonträgerformat, das nach der Einführung des Sony Walkman, der 1979 in den Handel kam, einen rasanten Anstieg in punkto verkauften Einheiten hinlegte. Aus österreichischer Sicht wurde der Höhepunkt zu Beginn der Neunziger-Jahre erreicht: 1990/’91 wurden 3,54 Millionen Stück verkauft.

Labels

Auch wenn die Kassette zu Beginn des Jahrtausends weitgehend verschwand, Traditionsfirmen wie TDK und BASF die Produktion von Kassetten irgendwann einstellten und der Walkman endgültig reif fürs Museum wurde, überlebte die Kassette in diversen Nischen wie der Punk- oder Noiseszene. Vor allem in Großbritannien und den USA gibt es noch immer unzählige Tape-Labels, die sich auf bestimmte Subgenre spezialisiert haben. Hipsterlabels wie Not Not Fun aus Los Angeles, das etablierte Indie-Label Drag City aus Chicago oder The Tapeworm aus London sind in diesem Zusammenhang zu nennen. Auf Letzterem hat die heimische Live-Techno-Combo Elektro Guzzi das Werk "Circling Above" veröffentlicht.

In Graz setzt "Wilhelm show me the Major Label" seit 2008 auf die Kassette. 39 Veröffentlichungen sind es bisher – hauptsächlich Aufnahmen von jungen österreichischen Bands wie Ja, Panik, Fuzzman oder Maybe Man, das Soloprojekt des Kreisky-Bassisten Gregor Tischberger. "Mein Solodebüt ,The Body Has No Chance‘ habe ich über mehrere Jahre auf einem Vierspurkassettenrekorder und einem Kinderradio mit Stimmeffekten aufgenommen. Das hat dann irgendwie gepasst, dass das Album auch auf Kassette erscheint. Ich wollt‘ was Cooleres als eine CD und was Billigeres als eine Doppel-Vinyl, weil das Album ziemlich lang ist. Kassetten kann man relativ günstig und auch in kleineren Stückzahlen produzieren. Und man hat in der Länge nicht die Einschränkungen wie bei anderen physischen Medien", sagt Tischberger im KURIER-Interview.

Überspielt

Christian Sundl, Gründer und Betreiber von "Wilhelm show me the Major Label", bestätigt im KURIER-Gespräch die vergleichsweise billigen Produktionskosten: 100 Stück kosten rund 200 Euro.

Aus diesem Grund spielen Kassetten in Schwellen- und Entwicklungsländern noch immer eine Rolle. Von Vorteil ist auch ihre Robustheit. Lästige Kratzer wie bei der CD gibt es nicht. Hinzu kommt noch die einfache Bedienung, die Kassette ist tragbar und funktioniert auch beim Joggen – im Gegensatz zum tragbaren CD-Player mit Anti-Shock-System.

Für Bands ergeben sich noch andere Vorteile. "Bei der CD kann man einfach von Lied zu Lied springen. Das ist bei einer Kassette fast unmöglich. Deshalb sind die Zuhörer dazu gezwungen, sich dem ganzen Album zu widmen. Wenn es einer Band mehr als nur um eine ,Hitsingle‘ geht, ist das ein Vorteil", erklärt Sundl.

Die Entscheidung, ein Kassettenlabel zu gründen, sei für ihn "durchaus logisch" gewesen. "Niemand von uns wollte damals CDs machen, und Vinyl war bei der Produktionsmenge, die wir geplant haben, für ein kleines Label einfach zu teuer. 2008 gab es in Graz einige junge Bands, die wir durch das Label stärken wollten. Da konnten wir nicht Monate warten, bis wir das Geld für alle Plattenproduktionen zusammen hatten."

Produziert werden geringe Stückzahlen – um die 100 Stück. In Europa stehen einem für die Produktion auch noch eine Handvoll an Kassettenwerken, die professionell kopieren, zur Verfügung. "Ich hab‘ aber auch schon öfters zuhause Kassetten überspielt – wenn es wirklich schnell gehen muss", sagt Sundl.

Ablaufdatum

Dass Kassetten wieder im Kommen sind, beweist auch der "Cassette Store Day", der am 7. September zum zweiten Mal weltweit abgehalten wurde. Zu solchen Anlässen könnte sich Sundl durchaus vorstellen, dass auch Popstars wie Rihanna Musik auf Kassette veröffentlichen: "Ich würde sie auf jeden Fall kaufen."

Von einer einer Kampfansage an Schallplatten, CDs und Streamingdienste kann bei diesem Nischenprodukt natürlich keine Rede sein. In Österreich wurden 2012 gerade einmal 2000 Stück verkauft. Im Jahr 2014 waren es nur noch rund 1500 Musik-Kassetten, weiß Thomas Böhm vom Verband der Österreichischen Musikwirtschaft.

Das deutsche Unternehmen optimal Media, das vor drei Jahren noch bis zu 500.000 Audiokassetten – vorwiegend für Hörspiele, Märchen und Kinderlieder – bespielte, stellte die Produktion 2015 ein. Und die Big Player der Musikindustrie zeigen bis dato wenig Interesse an einer Wiederbelebung der Musikkassette. Denn als Format für aufgenommenen Ton ist die Kassette ein schreckliches Stück Technik.

Es ist eine Bandrolle in einer Schachtel. Jedes Mal, wenn man sie abspielt, baut sie an Qualität ab. Aber genau das macht dann wohl auch den Charme der Kassette aus. Sie verkörpert das Unperfekte und das Vergängliche. Sie besitzt eine Seele und ein Ablaufdatum. Genau wie deren Konsumenten.

Einst war die Kassette eine Zeiteinheit. 45 Minuten pro Seite (30 waren zu kurz, 60 zu lang), das unterteilte den Teenagertag in fixe Einheiten.

Und bei diesen 45 Minuten kam es auf die letzte Sekunde an: Ein perfektes Mixtape war nur dann perfekt, wenn unmittelbar nach Verklingen des letzten Tones auch das Band zu Ende war. Was haben wir Zeit damit verbracht!

Der technologische Höhepunkt war dann ein Rekorder, der beim Vorspulen die Pausen zwischen den Liedern erkannte: Da konnte man per Knopfdruck zum nächsten Lied springen, ganz ohne hochfrequentes Vorspulgewinsel. Die Freunde waren beeindruckt.

Jetzt ist es leicht, zu sagen: Damals (Sie wissen schon, in diesem gedehnten Tonfall der Erinnerung), damals haben wir wirklich der Musik zugehört. Jeder Song zählte. Nur ist die Nostalgie immer ein Erinnerungsproblem: Man blendet das Missliebige aus. Im Falle der Kassette: Bandsalat und das nur mühsam in Zaum gehaltene Rauschen.

Und die zeitraubende Jagd nach neuer Musik. Wie sehr hätten wir uns damals gewünscht, nicht immer dieselben Mixtapes zu hören, sondern – wie heute – bequem alle Musik der Welt abrufen zu können. Dazu wiederum fehlt heute eines: die Zeit.

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