Deutsche Wissenschafter planen Musik-Wiki

Musik-Wiki nach Wikipedia-Vorbild soll im Herbst online gehen.

Welche Akkorde führen zum "Highway to hell"? Wovon träumt Frida Gold im gleichnamigen Song? Wer etwas nachspielen, singen oder üben will, könnte ab Herbst alles im Internet finden. Informationswissenschaftler aus Regensburg wollen im Herbst mit einem Musik-Wiki nach Wikipedia-Vorbild online gehen.

Vorbei wären dann die Zeiten, in denen man Mozart-Partituren als gebundenes Heft gekauft oder sich als Coverband die Akkorde und Lyrics seiner Lieblingssongs mühsam selbst erarbeitet hat. Ein Klick und schon könnte man loslegen. "Das wäre traumhaft", sagt Markus Dankesreiter. Er leitet den Heart Chor aus Regensburg. Der Aufwand, Noten für seine Laiensänger zu besorgen, sei groß. Entweder müsse er Noten kaufen oder selbst arrangieren. "Aber die meisten Stücke, die wir singen, sind wohl zu modern. Jedenfalls gibt's da nichts zu kaufen. Ich muss sie selbst für den Chor arrangieren."

Außerdem sei es auch ein Aufwand und Zeitfaktor, das Arrangierrecht bei Verlagen einzuholen. "Was ich auch schade finde, dass ich meine Arrangements nicht an Kollegen weitergeben darf." Dabei schlummern in seinen Schubladen Lieder wie Rammsteins "Engel" oder Tim Bendzkos "Einmal kurz die Welt retten" als Chorfassung.

Das Musik-Wiki will genau das ändern. "Chorleiter bearbeiten Stücke und stellen ihre Bearbeitungen anderen im Netz zur Verfügung. Wer etwas komponiert hat, stellt im Musik-Wiki sein Werk vor. Stars ermöglichen ihren Fans, die Texte ihrer Songs zu lernen, nachzusingen, nachzuspielen oder Karaoke aufzuführen", erklären Richard Heigl und Anja Ebersbach. Die Informationswissenschaftler aus Regensburg arbeiten eifrig an der Umsetzung ihrer Idee.

Hürde Urheberrecht

Auch Professor Gunter Dueck ist einer der Väter des Musik-Wikis. Der frühere Chief Technology Officer der IBM Deutschland glaubt fest daran, dass das Projekt realisierbar ist. Für ihn ist der Umbruch in der Musikindustrie nicht mehr aufzuhalten. "Gut, anfangs werden die Menschen vor allem kurze Stücke und wahrscheinlich Kirchen- und Kinderlieder ins Netz stellen, denn für umfangreiche und schwierige Stücke, zum Beispiel klassische Werke, braucht man Zeit. Aber auch die werden irgendwann abrufbar sein."

Doch auf den Weg dahin gibt es Hürden zu nehmen. Vor allem rechtliche. Also alles nur geträumt, um bei Frida Gold zu bleiben? Bei Werken, deren Komponisten seit mehr als 70 Jahren tot sind, sieht Christian Kuntze keine Probleme - sehr zur Freude der Klassikliebhaber. Der Fachanwalt für Musik- und Medienrecht sieht das große Problem bei Hits von Mick Jagger und Co., also bereits verlegter zeitgenössischer Musik. "Hier liegen die Rechte bei den Verlagen und es braucht bestimmt interessante Geschäftsmodell-Ansätze, damit sie mitgehen."

Genau daran arbeitet die Musik-Wiki-Gruppe mit Hochdruck. Trotz aller rechtlichen Hürden glaubt der Münchner Jurist an den Erfolg. "Die Musikindustrie ist im Umbruch. Viele Künstler, und es werden immer mehr, wollen sich selbst vermarkten. Für die und für junge Künstler kann es eine große Chance sein."

Andreas Donauer, besser bekannt als "Donikkl", sieht im Musik-Wiki eine große Chance für Künstler. 10 Millionen Mal wurde sein "Fliegerlied" ("Heut ist so ein schöner Tag") weltweit verkauft. Er könnte sich vorstellen, seine Noten und den Text online zu stellen. "Ich freue mich, wenn Lehrer und Erzieher im Kindergarten oder in der Grundschule mit meinen Liedern arbeiten", spricht der Pädagoge aus ihm. Dass die Noten für alle kostenlos zur Verfügung stünden, würde ihn nicht stören. "Ich würde zwar mein geistiges Eigentum kostenlos hergeben, aber ich würde dafür auch etwas bekommen. Für mich als Künstler wäre das Musik-Wiki eine Art Promotion-Tool, dass mich nichts kostet und das ich nicht pflegen müsste." Sein Wunsch wäre nur, dass man als Komponist deutlich für die User ersichtlich wäre. "Und vielleicht könnte man die Gema-Nummer der Urheber gleich dazu schreiben", so sein Vorschlag.

"Musiknoten sollen frei sein"

Warum das so wichtig für Komponisten ist, weiß Musikwissenschaftler Frank Christian Stoffel. Der Großteil der Musiker lebe fast ausschließlich von Gagen und Merchandising. Dann erst kämen weit abgeschlagen Gewinne durch verkaufte Tonträger. Er fordert deshalb, Noten nicht mehr urheberrechtlich zu schützen. "Noten sind nur eine Sammlung von Zutaten, Mengenangaben und Anweisungen zur Herstellung von Musik. Sie sollten wie Kochrezepte frei sein." Außerdem könne sich jeder halbwegs talentierte Musiker die populäre Musik der letzten 70 Jahre mühelos heraushören und neu interpretieren. "Ich möchte bezweifeln, dass Heino bei seiner jüngsten Neuinterpretation deutscher Rockhits auch nur eine Partitur benutzt hat", sagt Stoffel.

Deshalb findet er die Idee der freien Noten im Internet gut. "Wohlgemerkt nur die Noten, nicht die Musik", betont er. "Die Musik, die aus den Noten entsteht, ist eine Interpretation des Werkes eines Komponisten. Das Werk sollte geschützt bleiben mit allen Konsequenzen, die sich daraus ergeben, sprich Lizenzgebühren für die kommerzielle Nutzung." Das wäre auch in Donikkls Sinn. "Wenn wir pro angeklicktes Musikvideo bei Youtube auch nur einen Cent bekämen, wäre das toll. Aber davon haben wir wirklich nichts."

Kommentare