Der ungewöhnlichste Krimi überhaupt

Jon McGregor
"Speicher 13" von Jon McGregor: Fast eine Collage über die verlorene Zeit und verloren gegangene Menschen.

Ein Mädchen verschwindet, 13 Jahre alt, blondes langes Haar, und wohl niemand kauft freiwillig den 186. Roman, in dem ein Mädchen verschwindet, 13 Jahr’, blondes Haar.

Der Brite Jon McGregor hat damit experimentiert und es mit " Speicher 13" unter die nominierten Bücher für den Booker Prize 2017 geschafft.

Wie geht denn das?

Weil das vermisste Mädchen, das Rebecca heißt (Becky bzw. Bex), in den Speicherseen, auf den Bergen, in Höhlen und Scheunen gesucht wird und man ständig darauf gefasst ist, dass es gefunden wird.

Weil es aber nicht gefunden wird, weder tot noch lebend.

(Rebecca war mit ihren Eltern aus London über Neujahr in das Dorf im bergigen Mittelengland gefahren. Beim Wandern bockte sie, fiel zurück – weg war sie. Die Eltern blieben noch Monate, wartend, hoffend.)

Reifenspur

Jetzt macht Jon McGregor Folgendes: Er erzählt, wie im Dorf die Zeit weitergeht. Zwillinge kommen zur Welt, die Fleischerei muss zusperren, ein Bauer prüft die Klauen seiner Schafe, es regnet, es brennt die Sonne, ein Supermarkt sperrt auf ...

Erinnerung ist nur die berühmte Reifenspur im Sand, und damit man nicht ganz vergisst, steht zwischendurch immer wieder: Verschwunden ist Rebecca (Becky bzw. Bex). Oder einer aus der Dorfjugend denkt daran zurück, als er mit Rebecca schmuste. Oder jemand will das Mädchen gesehen haben, die langen Haare zu Zöpfen geflochten.

Kurz ist sie wieder präsent. Und dann wieder, gleichrangig: Schwalben, Schafe, Diskussionen im Gemeinderat, ein Schulfest.

Alles minimalistisch, fast wie eine Collage wird Alltägliches im Zeitraffer zusammengefügt.

Bis festgehalten ist, wie Jahre verflogen sind. Bis die Vergänglichkeit den Roman ganz für sich allein hat. Das vermisste Mädchen heißt Rebecca (Becky bzw. Bex).

Wer keine Geduld hat, rastet bei "Speicher 13" schreiend aus wie auf der Südosttangente.

Jon McGregor:Speicher 13“ Übersetzt von Anke Caroline Burger. Liebeskind Verlag. 352 Seiten. 22,70 Euro.

KURIER-Wertung: ****

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