Der Steppenwolf - von Hermann Hesse

Ein Roman zwischen Traum und Wirklichkeit, zwischen Dichtung und Wahrheit - Hesses Steppenwolf ist noch immer ein modernes Buch.

Hesses "Steppenwolf" - ein Klassiker, ein Vexierspiel, ein atemberaubendes literarisches Experiment. Auch heute folgt man dem Autor fasziniert hinab in die Seele von Harry Haller. 1927 erschienen, teilte der Roman die Leser von Anfang an: Manche wandten sich angeekelt von dieser Entblößung einer "verrückten" Seele ab, andere lobten hymnisch. Thomas Mann schrieb: "Der Steppenwolf hat mich seit langem zum erstenmal wieder gelehrt, was Lesen heißt." Die Kontroverse um das Buch - dem Hesse nicht zuletzt seinen 1946 verliehenen Nobelpreis verdankt - lebte in den 1960er-Jahren erneut auf, als die Hippie-Generation Harry Haller für sich entdeckte und konservative Seiten ihn als Aufruf zum "Drogenmissbrauch und sexueller Perversionen" diffamierten.

Hesses Roman verwischt kunstvoll Traum und Wachen, Realität und Fiktion - das beginnt schon mit den biografischen Bezügen: Der 1877 in Calw geborene Schriftsteller begann den Text 1924 in Basel und entsprach in vielen Punkten seiner Kunstfigur: Er wohnte in einer Mansarde, war von Gicht geplagt, setzte das Datum seines Selbstmordes auf den 50. Geburtstag fest und fühlte sich wie ein Steppenwolf, eine Mischung aus Mensch und Tier, ein Zwitter, dessen zwei Seelen - die bürgerliche und die wölfische, einsame - miteinander kämpfen und sein Leben blockieren. Und natürlich lehnt sich auch der Name Harry Haller an Hesse selbst an.

Auch die Form des Romans spielt auf innovative Weise mit Dichtung und Wahrheit. Aus drei verschiedenen Perspektiven wird Harry Haller beschrieben: Anfangs durch das Vorwort eines (fiktiven) Herausgebers, der Haller ein Zimmer vermietet und später dessen Aufzeichnung findet. Dann dieser Bericht selbst, eine in Ich-Perspektive geschilderte Abfolge von Harrys Qualen und seiner Erlösung. Seltsam beeindruckend die Momente, in denen der knapp 50-Jährige, wie magisch angezogen, Unterkünfte in bürgerlich-biederen Häusern sucht und findet - deren eigentümlicher Geruch im Treppenhaus ihn zum Innehalten und zur Erinnerung an eine Art Heimat drängt. Drittens schließlich kommt das "Tractat über den Steppenwolf" hinzu, ein "schlecht auf schlechtem Papier gedrucktes Jahrmarktsbüchlein", das Harry vom Hüter des "Magischen Theaters" in die Hand gedrückt bekommt. Eine Abhandlung über ihn selbst, halb Märchen, halb psychoanalytischer Bericht, der mit den berühmten Worten beginnt: "Es war einmal einer namens Harry, genannt der Steppenwolf. Er ging auf zwei Beinen, trug Kleider und war ein Mensch, aber eigentlich war er doch eben ein Steppenwolf." Wie wichtig Hermann Hesse dieses Spiel der Perspektiven war, erkennt man an der Erstausgabe des Romans: Der Autor ließ das "Tractat" auf gelbem Papier einbinden - tatsächlich ein Buch im Buch.

Formal gelang Hesse damals ein innovatives und neuartiges Werk - und dennoch verknüpfte er alle Erzählebenen in unnachahmlicher Weise zu einem Ganzen - zu einem Roman, der seine Leserinnen wie Leser in den Bann zieht und bis zum Ende nicht mehr loslässt. "Der Steppenwolf" ist ein modernes Buch. Im "Magischen Theater", das Harry Haller am Schluss betritt und in wilder Visionsabfolge reinigend durchläuft, kommt es beispielsweise zu einer "fröhlichen Hochjagd" auf gepanzerte (!) Automobile, die den Kampf zwischen Mensch und Maschine symbolisiert. Hesse wurde in der Nachkriegszeit lange von der Literaturwissenschaft ignoriert und als Schriftsteller für Pubertierende abgetan. Geschadet hat das seinen Büchern nicht: Hesse lesen - das ist heute so aktuell wie vor achtzig Jahren.

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