Der Mann, der Madonna zum Weinen brachte

Jimmy Scotts Performances waren wohl das, was man „Herzausreißer“ nennt: zum Weinen schön.
Der kleine Mann mit der großen Altstimme ist mit 88 Jahren gestorben.

Er war der einzige Sänger, der Madonna zum Weinen brachte, soll die Pop-Queen einmal über Jimmy Scott gesagt haben. Jetzt darf sie ein letztes Mal weinen: Jimmy Scott, der großartige Jazz-Performer, dessen Markenzeichen neben seiner zierlichen Statur seine einzigartige Stimme war, ist am Donnerstag mit 88 Jahren in seinem Haus in Las Vegas eingeschlafen und nicht mehr aufgewacht.

Sollte die von Madonna kolportierte Aussage stimmen, dann kann man sie gut nachvollziehen. Etwa anhand des Songs „The First Time Ever I Saw Your Face“, geschrieben 1957 von Ewan MacColl. Roberta Flack sang ihn fantastisch, bei Johnny Cashs Interpretation bekommt man Gänsehaut, aber bei Jimmy Scott ... ja, da kommen die Tränen.

Ebenso berührend und faszinierend wie seine Performances war das Leben des 1925 als eines von zehn Kindern in Cleveland geborenen, wegen seiner Körpergröße „Little Jimmy Scott“ genannten Sängers: Aufgrund einer seltenen Erbkrankheit, dem Kallmann-Syndrom, fiel seine Pubertät und damit sein Stimmwechsel aus. Scotts Stimme glich sein Leben lang der einer – älteren – Frau: eine gefühlvolle, raue Altstimme, mit der ihm Unglaubliches gelang.

Schon Ende der 40er-Jahre landete Scott mit der Lionel Hampton Band einen Hit, später sang er mit Charlie Parker (wo er fälschlich als Sängerin genannt wurde). 1963 entdeckte ihn Ray Charles für sein Label Tangerine, wo er die Platte „Falling in Love is Wonderful“ aufnahm. Scott inspirierte Jazz- und Soulgrößen wie Dinah Washington oder Marvin Gaye. Dennoch gelang ihm die große Karriere nicht, er arbeitete unter anderem als Liftboy und in einem Busbahnhof. Wiederentdeckt wurde Scott in den frühen 1990ern von Lou Reed, der ihn als Background-Sänger auf Tour mitnahm – zu hören auch auf dem Album „Magic and Loss“. Einem breiteren Publikum wurde Jimmy Scott durch David Lynchs Fernsehserie „Twin Peaks“ bekannt, wo er den Song „Sycamore Trees“ interpretierte. Ab Mitte der 1990er-Jahre nahm er erneut Alben auf.

Wer Jimmy Scott nachträglich kennenlernen möchte, dem sei sein 1998 erschienenes Coveralbum „Holding Back the Years“ ans Herz gelegt: Dichte, intensive und zugleich samtweiche Interpretationen scheinbar bekannter Popschlager. Vor drei Jahren sagte Scott in einem Interview, er glaube, seinen Karrierehöhepunkt noch nicht erreicht zu haben: „Ich habe immer das Gefühl, der große Erfolg wartet um die Ecke auf mich.“

Jimmy Scott in Twin Peaks

Die Songs zum Reinhören

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