Der Künstler schafft, andere arbeiten
Der Künstler Olafur Eliasson hat eben erst einen künstlichen Wasserfall im Schlosspark von Versailles installiert. In Basel stürmen ab heute, Dienstag, die VIPs die riesige „Unlimited“-Messehalle, in der Galerien brandneue monumentale Kunst präsentieren. Wer solche Werke betrachtet, sieht nicht zuletzt auch die Arbeit einer Schar von Handwerkern und Materialexperten.
Historisch überliefert
„In Wirklichkeit hat es diese Arbeitsweise seit Hunderten Jahren gegeben“, erklärt Mike Smith dem KURIER. Der Brite, der in seiner Werkstatt im Süden Londons je nach Auftragslage zwischen 10 und 23 Mitarbeiter beschäftigt, hat für verschiedene Größen der Kunstwelt Werke angefertigt – für Damien Hirst etwa oder für Rachel Whiteread, die Schöpferin des Holocaust-Denkmals am Wiener Judenplatz. Eben produzierte sein Studio den britischen Pavillon der Architektur-Biennale Venedig.
Doch auch Smith sieht einen Wandel im Künstlerbild, der sich in den vergangenen 30 bis 40 Jahren breitgemacht hat: Der bloße Vergleich mit Rubens oder Michelangelo, die bekanntermaßen auch mit großen Werkstätten arbeiteten, greift zu kurz. Am ehesten sei noch Andy Warhols Atelier, die berüchtigte „Factory“, in dieser Renaissance-Tradition gestanden, sagt Smith. Die Wurzel der gegenwärtigen Kunst-Fabriken sieht er eher in der Minimal-Art der 1960er, als Künstler wie Donald Judd mit industriellen Stoffen zu arbeiten begannen. Zentral dabei war, dass die Handschrift des Künstlers verschwand – und die Idee wichtiger wurde als das physische Objekt.
Bewusst ahnungslos
„Künstler sind tendenziell weniger sachkundig geworden“, sagt Smith, wobei er nachschickt, dass dies bei jedem seiner Klienten individuell anders sei. „Manche sind eben nur am Endresultat interessiert.“
Der Kunstwissenschaftler Wolfgang Ullrich sieht die Abkoppelung des Künstlers vom Handwerklichen gar als „Ursprung eines neuen Künstlermythos“, wie er in seinem Buch „Siegerkunst“ schreibt: „Demzufolge wäre der Künstler, der seine Konzepte unabhängig von der Kenntnis jeglicher Handwerkstechniken und Materialeigenschaften entwickelt, am besten dazu disponiert, etwas Großes zu schaffen bzw. schaffen zu lassen.“
Gemeinsam genial
Während manche Künstler nach außen immer noch gern als Alleskönner-Genies auftreten, sind andere dazu übergegangen, den Geist der Arbeitsteilung auch öffentlich zu zelebrieren. Am prominentesten tut dies wohl der Däne Olafur Eliasson.
In Berlin betreibt Eliasson ein Studio mit rund 100 Mitarbeitern (gleich nebenan werkt dort übrigens die „Firma“ des chinesischen Tausendsassas Ai Weiwei). Die Ateliermitarbeiter sind dort auch für ihre Verköstigung zuständig – um diesen WG-Gemeinschaftsgeist zu zelebrieren, ist kürzlich ein üppig illustriertes Kochbuch mit mehr als 100 (vegetarischen) Rezepten erschienen.
Die Zeiten, in denen sich Fotografen und Journalisten wie Höhlenforscher in die engen Ateliers eines Picasso, Giacometti oder Brancusi vorwagten, sind ganz klar vorbei. Moderne Künstlermythen erzählen von der Zahl der Mitarbeiter, den eingesetzten Materialressourcen oder der Logistik. „Mit dem Marktpreis“, sagt Kunst-Handwerker Mike Smith, „haben die Herstellungskosten aber nichts zu tun. Das ist wieder eine ganz eigene Sache.“
Info: Kunst und Industrie
Art Basel Die weltweit wichtigste Kunstmesse in Basel/CH ist von 16.–19. 6. für allgemeines Publikum zugänglich.
Die Schau von Olafur Eliasson im Schloss Versailles/FR läuft bis 30.10.; der Workshop bei TBA21 wurde bis 29. 7. verlängert. Das Kochbuch „Studio Olafur Eliasson: The Kitchen“ ist bei Phaidon erschienen (39,95 €).
Die großen Holzschnitte des deutschen Künstlers Anselm Kiefer, der mehrere Großateliers betreibt, sind nur noch bis 19. 6. in der Albertina zu sehen. Das Buch „Anselm Kiefer – Ateliers“ ist bei Schirmer & Mosel erschienen (78 €).
Die Londoner Kunst-Werkstatt Mike Smith Studio gab das Buch „Making Art Work“ heraus (Trolley Books, 76,20 €).
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