Nora Gomringer gewinnt den "Bachfrau-Wettbewerb"

Ingeborg-Bachmann- Preisträgerin Nora Gomringer (Mitte) im Jubel. Weitere Preise gingen an Dana Grigorcea (li.) und Valerie Fritsch (re.).
Die schweizerisch-deutsche Sprach-Akrobatin setzte sich in "Germanisten-Porno" durch.

Der 39. Ingeborg-Bachmann-Preis geht an Nora Gomringer. Die Schriftstellerin und Poetryslammerin, sie ist Deutsche und Schweizerin, setzte sich im vierten Wahlgang der öffentlichen Jury-Diskussion im ORF-Theater in Klagenfurt durch. Die renommierte Auszeichnung ist mit 25.000 Euro dotiert.

Lese-Performance

Nora Gomringer gewinnt den "Bachfrau-Wettbewerb"
ABD0049_20150705 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: ZU APA0105 VOM 5.7.2015 - Ingeborg-Bachmann-Preisträgerin Nora Gomringer am Sonntag, 05. Juli 2015, anl. der Preisverleihung im Rahmen der "39. Tage der deutschsprachigen Literatur" in der Lesearena des ORF-Theaters in Klagenfurt. - FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Gomringer, 1980 in Neunkirchen an der Saar geboren, begeisterte das Publikumam Donnerstagmit ihrer vielstimmigen Lese-Performance "Recherche". Der Text handelt von der Recherche einer Autorin namens Nora Bossong, die ausgerechnet zur Zeit des Bachmann-Wettlesens Mieter eines Hochhauses interviewt und sie zum Tod des 13-jährigen Tobias befragt, der von einem Balkon im fünften Stock gestürzt ist.

Die 35-Jährige zeigte sich überrascht: "Ich rechne nicht mit Preisen, wer das macht ist ein Narr", sagte sie und lieferte auch in ihren Statements eine Show zwischen Emotion und Pragmatismus. "Himmel, ich bin Germanistin! Wir haben das gekuckt wie Germanisten-Porno. Ich bin Lyrikerin!"

Mit dem mit 10.000 Euro dotierten Kelag-Preis wird die Grazer Autorin Valerie Fritsch für ihren Text "Das Bein" ausgezeichnet.

Bei der Wahl des 3sat-Preises (mit 7.500 Euro dotiert) konnte sich Dana Grigorcea mit ihrem Text „Das primäre Gefühl der Schuldlosigkeit“ durchsetzen. Die Schriftstellerin, 1979 in Bukarest geboren und in Zürich lebend, trat, wie die beiden anderen Gewinnerinnen, in einer Stichwahl gegen Teresa Präauer an. Die gebürtige Linzerin wurde ebenfalls zum Favoritenkreis gezählt und hat im ersten Wahlgang für den Ingeborg-Bachmann-Preis als einzige Teilnehmerin zwei Nennungen bekommen, wo sie aber im Stechen gegen Nora Gomringer den Kürzeren zog. Bei den weiteren Wahlgängen war Präauer durch das neu gestaltete Wahl-Prozedere jeweils gesetzt, ging aber dennoch letztlich leer aus. Genau so ein Durchreichen hätte die neue Regelung eigentlich verhindern sollen.

Alle Preise an Frauen

Nora Gomringer gewinnt den "Bachfrau-Wettbewerb"
ABD0060_20150705 - KLAGENFURT - ÖSTERREICH: ZU APA0105 VOM 5.7.2015 - Valerie Fritsch (Kelag-Preis) am Sonntag, 05. Juli 2015, anl. der Preisverleihung im Rahmen der "39. Tage der deutschsprachigen Literatur" in der Lesearena des ORF-Theaters in Klagenfurt. - FOTO: APA/GERT EGGENBERGER
Nicht von der Jury, sondern über Internet-Voting wurde der BKS-Bank-Publikumspreis (7.000 Euro) ermittelt. Er geht an Valerie Fritsch, die somit zwei Auszeichnungen mit nach Hause nehmen darf. Zusammen mit dem damit verbundenen Klagenfurter Stadtschreiberstipendium summiert sich ihr Preisgeld auf 22.000 Euro, fast so viel wie der Bachmann-Preis.

Alle vier bei den den 39. Tagen der deutschsprachigen Literatur vergebenen Preise gehen somit an Frauen. Lediglich der Schweizer Jürg Halter bekam eine Stimme - von Juror Juri Steiner. Die beim allerersten Wahlgang ermittelte Shortlist für den Ingeborg-Bachmann-Preis enthielt Nora Gomringer, die Österreicherinnen Anna Baar, Valerie Fritsch und Teresa Präauer, sowie Dana Grigorcea, Jürg Halter, Monique Schwitter.

"Bachfrau-Wettbewerb"

Bei der erstmals abgehaltenen Schluss-Pressekonferenz wurde u.a. die Frage diskutiert, ob der Jahrgang, der ein rein weibliches Schlusstableau gebracht hatte, nun ein "Bachfrau-Wettbewerb" gewesen sei. "Die Literatur ist weiblich", lautete Winkels' Resümee. Valerie Fritsch fand es "sehr angenehm", dass heuer gleich zehn Frauen teilgenommen hatten, "so konnte man sich jederzeit problemlos Haarspangen oder Shampoos ausborgen". "Wir hielten uns bei den Abstimmungen an den Händen", wies Gomringer auf spezifische Autorinnen-Solidarität hin. "Bei Männern ist das unvorstellbar."

Grigorcea würdigte die Tage in Klagenfurt als "eine einmalige Chance, hier als Autor Kraft zu tanken im Kreise von Leuten, die einen ernst nehmen". Die Abstimmungen seinen jedoch "ein unglaublich hartes Erlebnis" gewesen. "Ich bin nicht gewohnt, dass über meine Literatur abgestimmt wird."

Hubert Winkels, der das sechste Mal in der Jury saß, meinte: "Ich glaube, es war ein besonders gutes Jahr." Die "Lautlichkeit der Sprache" sei "mit einem anderen Selbstbewusstsein da. Die Gesamtchoreografie spielt eine größere Rolle." Dazu zählten etwa die teilweise hervorragend gemachten Autoren-Videos, die etwa wie bei Präauer direkt mit den Texten korrespondiere. "Man könnte sich die Frage stellen, wie man das miteinbezieht. Etwa mit einem Preis: Wer macht den besten Film?"

Wahl der beliebtesten Juroren

Die Neuzugänge in der Jury hätten sich sehr bewährt, so Winkels. "Das philologisch gut abgefederte Rowdytum von Klaus Kastberger raut die Jury-Diskussion auf und belebt den Organismus." Klaus Kastberger gewann übrigens vor seinem Lieblings-Kontrahenten Juri Steiner die von literaturcafe.de ausgeschriebene Publikums-Wahl des besten Jurors.

TIPP: Alle Texte, Lesungen und Diskussionen finden Sie auf bachmannpreis.orf.at

Nora Gomringer ist Schwester von sieben Brüdern (ihre Eltern sind eine Germanistin und ein Dichter und Kunstprofessor), Deutsche und Schweizerin sowie eine Größe in der Spoken-World-Szene der Poetry Slams. Mittlerweile sei sie allerdings als Slammerin seit zehn Jahren nicht mehr aktiv, sondern vorwiegend im Hintergrund tätig, sagte sie am Sonntag. Sie hatte Poetikdozenturen in Landau, Sheffield und in Kiel, produziert Lyrikfilme und leitet seit 2010 das Internationale Künstlerhaus Villa Concordia in Bamberg. "Sie rezitiert, schreibt und liest preisgekrönt vor", hieß es in ihrer offiziellen Bachmann-Preis-Biografie. Das hat sie nun erneut unter Beweis gestellt.

Dabei hatte Gomringer, die in Neunkirchen an der Saar geboren wurde und heute in Bamberg lebt, mit der Startnummer zwei ein ausgesprochen schlechtes Los gezogen. Der letzte Bachmann-Preisträger, der die Jury bereits am ersten Tag nachhaltig überzeugen konnte, war Lutz Seiler im Jahr 2007 gewesen. Doch Gomringer lieferte eine effektbewusste, am Ende heftig beklatschte Vorlese-Show. Ihr Siegertext handelt von der Recherche einer Autorin namens Nora Bossong (diese Kollegin gibt es auch im wirklichen Leben), die ausgerechnet zur Zeit des Bachmann-Wettlesens in einem Hochhaus Parteien interviewt und sie zum Tod des 13-jährigen Tobias befragt, der von einem Balkon im fünften Stock gestürzt ist. Jurorin Sandra Kegel, die Gomringer eingeladen hatte, lobte in ihrer Laudatio die "Verstörungskomödie", die mit einem ganzen Bündel von starken, klugen und präsenten Stimmen ausgeführt werde, einen Text "voller Anspielungen und Referenzen".

Lyrikbände

Doch das souveräne Spiel mit Situation und Wirkung in der Performance eines Textes ist nur ein Aspekt in Gomringers Werk. Seit 2000 hat sie fünf Lyrikbände und eine Essay-Sammlung publiziert. Die Bände heißen "Nachrichten aus der Luft", "Mein Gedicht fragt nicht lange" oder "Monster Poems". In dem 2011 bei Voland & Quist erschienenen Büchlein "Ich werde etwas mit der Sprache machen" antwortet Gomringer auf eine Frage von Michael Krüger nach den Regeln gegenwärtiger Poesie: "Keiner erfindet das Rad neu. Auch die bei Michelin machen nur immer wieder gute und immer bessere Reifen. So machen das auch die Lyriker."

Dieselbe Trockenheit und Bodenständigkeit bewies die quirlige Autorin auch heute. "The point ist not the point. The point is poetry", kommentierte sie ihren Sieg trotz sichtlicher Rührung. "Die außerkörperliche Erfahrung", hier zu lesen und zu gewinnen, sei "ein bisschen zu groß, um menschlich zu sein". Man bringe einen Text mit, der auf intime Weise entstanden sei, und erlebe "eine Operation am offenen Herzen. Aber wir Autoren leben von der Aufmerksamkeit und davon, das man sich an mich erinnert. Ich danke herzlich jedem, der es mir gönnt." Denn durch ihren Sieg seien andere, die es ebenso verdient hätten, leider nicht zum Zug gekommen.

Ein sympathischer Zug einer sympathischen Siegerin. Und nicht nur in Klagenfurt, auch auf der Uni in Bamberg wird heute noch viel gefeiert werden. Dort haben sie in diesem Jahr nämlich ein Public Viewing des Bachmann-Preises gemacht. Es hat sich ausgezahlt.

1977 - Gert Jonke
1978 - Ulrich Plenzdorf
1979 - Gert Hofmann
1980 - Sten Nadolny
1981 - Urs Jaeggi
1982 - Jürg Amann
1983 - Friederike Roth
1984 - Erica Pedretti
1985 - Hermann Burger
1986 - Katja Lange-Müller
1987 - Uwe Saeger
1988 - Angela Krauß
1989 - Wolfgang Hilbig
1990 - Birgit Vanderbeke
1991 - Emine Sevgi Özdamar
1992 - Alissa Walser
1993 - Kurt Drawert
1994 - Reto Hänny
1995 - Franzobel (eigentlich Stefan Griebl)
1996 - Jan Peter Bremer
1997 - Norbert Niemann
1998 - Sibylle Lewitscharoff
1999 - Terezia Mora
2000 - Georg Klein
2001 - Michael Lentz
2002 - Peter Glaser
2003 - Inka Parei
2004 - Uwe Tellkamp
2005 - Thomas Lang
2006 - Kathrin Passig
2007 - Lutz Seiler
2008 - Tilman Rammstedt
2009 - Jens Petersen
2010 - Peter Wawerzinek
2011 - Maja Haderlap
2012 - Olga Martynova
2013 - Katja Petrowskaja
2014 - Tex Rubinowitz
2015 - Nora Gomringer

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