David Guetta in Wien: Der allerkleinste Nenner

David Guetta in mitten der Lichtshow
Der französische Star-DJ und Hitfabrikant flog für einen Auftritt rasch mal nach Wien.

Konzerte von David Guetta finden, und das ist schon ganz lustig, nicht in der Gegenwart statt, sondern zugleich in der Vergangenheit und in der Zukunft.

Der französische Star-DJ steuert die Vergangenheit bei: Er bringt all die Musik mit, die er mit einem Weltstar nach dem anderen produziert hat, und spielt diese vor. Das Publikum wiederum sorgt für die Zukunft: Beim Auftritt Guettas in der Wiener Krieau am Samstagabend gingen gnadenlos die Smartphones hoch, um die Show für den späteren Genuss aufzubewahren.

In der Gegenwart hingegen ist eine gewisse Performance-Lücke, die mit ordentlicher Licht- und Videoshow und beidseitiger Freude aufgefüllt wird: Guetta steht und freut sich, das Publikum steht und freut sich. Es freut sich über die Fragmente von Guetta-produzierten Welthits, die aus der Musik auftauchen, von "When Love Takes Over" bis zur neuen Single "2U" (mit Justin Bieber). Wie sehr es sich über die wuchtig-knarzigen, für die Verhältnisse der elektronischen Tanzmusik (EDM) recht langsamen Brummtöne dazwischen freut? Egal. Die Musik hat bei der guten Laune noch nie gestört.

Reibepunkt

50 wird Guetta demnächst, und er sieht, nach einem Haarschnitt, nicht mehr aus wie Otto Waalkes. Sondern wie Waalkes’ barttragender Hipster-Bruder, der dir den besten kaltgebrühten Kaffee der Stadt serviert. Und er ist ein Phänomen. Kaum ein Hitgarant polarisiert so wie er. Sowohl in der EDM-Szene, die er zum 7-Milliarden-Dollar-pro-Jahr-Business mitgeformt hat, als auch außerhalb. Der DJ bespielt die Clubs auf Ibiza und die Hitparaden, und da hat jeder eine Meinung dazu.

Guetta macht soziale Musik, und er hat damit angefangen, lange bevor es die sozialen Medien gegeben hat: Aus seiner Hitfabrik kommt auf Likes getrimmte Konsensklangprogrammierung. Der Soundtrack zu jenen Momenten, in denen man im Zappellicht der Großraumdisco die andauernden Kränkungen des Alltags besonders dringend vergessen will.

Darüber kann man sich am besten dann lustig machen, wenn man im musikgebildeten Freundeskreis billige Gutpunkte sammeln will. Jeder, wirklich jeder verachtet David Guetta, halt mit Ausnahme seiner Fans, aber die zählen nicht.

Der dreht ja nur an Knöpfen und hält die Hände hoch! Das kann ich auch!

Nein, kannst du nicht.

Guetta hat Welthit um Welthit geliefert, krude, in der Architektur würde man sagen: brutalistische Blockbauten aus all den musikalischen Bausteinen, die auf die verlässlichste Art das Belohnungszentrum im Hirn kitzeln. Das braucht man dringend vor allem dann, wenn es spät ist und man gleich alleine nach Hause gehen muss. Wenn man ganz dringend an die Liebe glauben will, oder auch nur an den One-Night-Stand.

Einer von uns

Und wie immer, wenn etwas derart auf der Hand liegt – Guetta macht Massenmusik, und ist deswegen abzulehnen –, lohnt es sich, genauer nachzudenken. Der Sohn einer französischen Intellektuellenfamilie – Kommerz ist hier Protest! – ist das, was nach der intellektuell überbauten Attacke der modernen Musik auf die Sonderrolle des Künstlers übrig geblieben ist. Er ist der allerkleinste Nenner: Da oben steht einer von uns, und er findet es mindestens ebenso lustig, dass ausgerechnet er da oben ist, wie wir.

Lustig hat es Guetta sichtlich: Er lacht und tanzt und hebt die Hände hoch; und es dauert keine Viertelstunde, da ist es da, das mit den Fingern geformte Herz, das Guetta’sche Markenzeichen, das Unterhaltungsmusik-Äquivalent zu Angela Merkels Rauten-Fingerhaltung, die sie in weltpolitisch entscheidenden, aber vielleicht ein bisschen langweiligen Momenten einnimmt.

Wenn die Liebe übernimmt, tönt es dazu aus dem Computer, und näher kommt man in den 2010er Jahren nicht mehr ran an die Utopie von Friede, Freude, Eierkuchen (natürlich aus Bio-Eiern). Dazu tanzen die Jungen und Schönen und die, die sich dafür halten, und zum Glück auch die, die aufgegeben haben.

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