Das Abbruchhaus als Sehnsuchtsort
Brüssel ist kein Ort, an dem ungenutzte und unbeobachtete Plätze besonders erwünscht sind. Seit den Anschlägen auf den Flughafen im vergangenen März ist der Drang zur Bewachung aller urbanen Räume besonders hoch. Am Tag des KURIER-Besuchs gibt es eine Terrorwarnung, gepanzerte Fahrzeuge fahren im Zentrum vor, es wird spürbar, dass es heute nicht selbstverständlich ist, sich in einer Stadt frei bewegen zu können.
Dass im Palais des Beaux-Arts, kurz „Bozar“, gerade das Thema Raum und Stadt verhandelt wird, ist eine jener zufälligen Konstellationen, durch die sich die Wahrnehmungen von Kunst und Leben gegenseitig schärfen. Die Wiener Sammlung Verbund hat den KURIER nach Brüssel eingeladen – ihre Kunstbestände bilden bis 4. September das Herzstück des „Summer of Photography“, einem Ausstellungs-Event, der alle zwei Jahre stattfindet.
Geformter Raum als Skulptur
Die Verbund-Sammlung konzentriert sich seit ihrer Gründung 2004 auf Kunst seit 1970; neben „Feministischer Avantgarde“ ist das Raum-Thema der zweite große Schwerpunkt, der in Brüssel nun seine bisher größte Präsentationsfläche erhält.
Das Bedürfnis nach alternativen Räumen, nach Gegenwelten, aber auch das Festhalten verschwindender Orte verknüpft in der Brüsseler Schau 40 Jahre alte Kunstwerke mit solchen jüngeren Datums. Doch auch ein Faden der Wehmut verbindet die Exponate: Denn der freie Umgang mit Leerräumen, Industriebrachen und urbanen Plätzen, der die Grundlage dieser Kunst bildete, scheint zunehmend ein Ding der Vergangenheit zu sein.
Umwertung des Raums
Es spricht für die Sammlung und die Ausstellung, dass sie auch sichtbar macht, wie sich das Verhältnis von Kunst und Stadt änderte: Joachim Koester etwa spürte für ein Projekt Orte der Konzeptkunst auf und fotografierte sie nochmal – man erkennt New Yorker Häuser aus dem Besitz der Immobilien-Firma Shapolsky et.al., die 1971 Gegenstand einer skandalträchtigen Aufdecker-Recherche des Künstlers Hans Haacke gewesen waren. Die einst verslumten Bauten wirkten bei Koesters Besuchen (2003 – ’05) gut renoviert.
Eingriffe, die oft nicht auf Dauer ausgelegt waren, nehmen in der Rückschau unweigerlich eine stärkere Aura an – wobei die Brüsseler Präsentation auch die Sorgfalt der Verbund-Sammlung in der Erhaltung vor Augen führt, also in positivem Sinn „museal“ ist. Dass die Werke seit den 70ern auch große Wertsteigerungen erfahren haben, steht außer Frage. Doch ruhig gestellt wurden sie nicht: Gerade da, wo Freiräume nicht selbstverständlich sind, inspirieren sie mehr denn je dazu, sich zu bewegen und zu gestalten.
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