"Dafür bin ich nicht angetreten"

Udo Lindenberg: „Früher war ich vielleicht zu optimistisch.“
Knapp vor dem 70er blickt der Rocker zurück – und warnt vor einem Rückfall ins Nationalistische.

Schon mit seinem vorigen Album startete Udo Lindenberg 2008 zu einem fulminanten Comeback, füllt seither in Deutschland Fußballstadien. Kommenden Freitag erscheint seine neue CD "Stärker als die Zeit". Damit blickt der Rocker zumeist humorvoll, manchmal aber auch auch nachdenklich sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft. Im KURIER-Interview erzählt er, was er im Amazonas suchte und warum er auf "gezieltes Trinken" umgestiegen ist.

KURIER: Sie waren in den Jahren vor dem Comeback viel auf Reisen. Wo waren Sie und was haben Sie dabei gesucht?
Ich war unter anderem im Amazonas bei den Yanomami-Indianern, habe absolute Naturvölker besucht. Aus reiner Neugier: Mal gucken, was die Medizinmänner dort machen, welche Zeremonien die haben. Aber das ist nur ein Beispiel. Ich war sehr lange unterwegs. Denn ich war auf der Suche nach dem Udo von jetzt. Ich war ja früher so eine Art Bravo-Poster-Boy für Rock-Jünger und hab den Weg zu einem Rock-&-Roll-Chansonnier gesucht.

Wie lange hat das gedauert?
Zehn Jahre. Das war so eine Art Midlife-Crisis. Ich habe damals auch angefangen zu malen, nur mehr wenige Platten gemacht, und mich gefragt: Wie stelle ich mir den Udo mit 60 oder 70 vor? Ich war in den Kneipen auf der Reeperbahn unterwegs, oder auch im Underground in New York, immer voll auf "Hoch die Tassen!"

Darauf gehen Sie in den neuen Texten ein, sagen, Sie haben alles eingeschmissen und danken Ihrem Körper, dass er es überstanden hat.
Bei mir war es überwiegend Alkohol, andere Sachen auch, aber vornehmlich Whiskey. Ich wurde immer runder, wie ein Rollmops, das sah nicht mehr so lecker aus. Das ist in unserem Beruf aber wichtig ... das Auge hört mit. Und das Schönste für mich ist die Bühne. Da wollte ich wieder hin. Also musste ich einen Deal mit mir machen und von diesem ewigen Rund-um-die-Uhr-Saufen auf gezieltes Trinken umsteigen: Wenn ich einen Anlass habe, dann gehe ich richtig schön saufen. Aber halt nur für eine Nacht.

Gab es einen speziellen Anlass für diesen Deal?
Na ja, einmal hat mir jemand gesagt, dass die Nachtigall demnächst verstummt. Denn wenn du so weitermachst wie ich, hast du einen richtigen Zusammenbruch und es ist vorbei. Viele Rocker hatten das ja schon mit 27. Aber wenn du mal 50 bist, ist das kein Gag mehr. Mit 27, das ist konsequent, gut für den Ruhmes-Erhalt. Aber mit 50 ist es nur schade. Ich wollte den Ruhm zwar erhalten, aber auch dabei sein. Also habe ich mit Sport angefangen und renne jetzt jede Nacht ein, zwei Stunden.

Sie waren immer auch als Songwriter ein Beobachter der politischen Zustände. Diesmal aber geht nur ein Song darauf ein.
Wir sind damals als Musiker angetreten, um die Welt zu verändern: Rebellion, Anti-Vietnam wie Dylan, Bürgerechtsbewegung wie Belafonte! Wir wollten die Welt zu einem faireren, besseren Ort machen. Aber heute frage ich mich: Wann fangen wir damit an? Kann ich mit Liedern genug bewirken? Denn wenn ich in manchen Ländern in Europa und auch in Deutschland so einen Abrutsch ins rechte, nationalistische Eck sehe, denke ich, dafür bin ich nicht angetreten.

Das klingt resigniert ...
Ich bleib da natürlich dran, klar. Jeder weiß, dass ich politisch aktiv bin. Aber lieber auf der Bühne. Da kann ich zum Beispiel zur Rüstungsindustrie klarere Statements machen als im knappen Rahmen eines Textes. Aber ja, früher war ich vielleicht zu optimistisch, dachte wirklich, die Jugendkultur kann Menschen retten.

Live-Aid und das Mandela-Konzert haben schon einiges verändert. Und Sie mit Ihrem Auftritt 1983 im Osten sicher auch.
Ja, vielleicht. Kultur schafft ein Klima. Ein Klima, in dem die Blumen des Widerstandes wachsen können und dann die Mauern wegfressen und wegsprengen. Aber da kam auch viel von Gorbatschow. Ohne ihn hätte sich da so schnell nichts geändert. Lieder spielten da eine begleitende Rolle. Und Live-Aid, ja ... es gab schon einiges, das etwas bewegt hat. In letzter Zeit ist es halt ein bisschen wenig.

Warum, glauben Sie, ist das so?
Es kann sein, dass die jungen Leute mehr mit sich selbst beschäftig sind, dass jeder für sich mit wachsender Sorge in die Zukunft guckt, weil man die Welt als zunehmend verunsichernd empfindet. Früher war vieles einfacher. Mit dem Ost-West-Konflikt war klarer, was gut und was böse ist. Heute gibt es diesen religiösen Stress, an jeder Ecke knallt es. Auch die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, dieser Deal mit der Türkei, das ist alles hochproblematisch. Deshalb sollte Europa jetzt ganz vorne mit dabei sein, friedenspolitische Impulse zu setzen. Man müsste sich zusammentun und das Flüchtlingsproblem gemeinsam solidarisch angehen. Dazu muss man möglicherweise auch Druck auf gewisse Staaten ausüben, dass die sich nicht abschotten und es einen Rückfall in eine nationalistische Kleinstaaten-Mentalität gibt.

Sie erzählten vorhin von der Suche nach dem Udo mit 70. Am 17. Mai werden Sie 70 Jahre alt. Ist es jetzt so, wie Sie es sich vorgestellt haben?
Ich habe natürlich davon geträumt, wieder Erfolg zu haben, dachte, da wäre ich echt geflasht. Aber ich habe es für eher unwahrscheinlich gehalten. Speziell, dass es so hochzischt, größer denn je wird, und ich in Stadien spielen werde.

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