Gurlitt ist tot, die Debatte bleibt

Fühlte er sich von den Nazis verfolgt? Kunsterbe Cornelius Gurlitt
Sammler-Erbe Cornelius Gurlitt starb mit 81 – seine Kunstwerke könnten ins Ausland gehen

Cornelius Gurlitt, jener Mann, dessen umfangreiche Kunstsammlung eine der heftigsten internationalen Debatten um Raubkunst und Eigentümerschaft auslöste, ist am Dienstag 81-jährig gestorben. Der Sohn des umstrittenen Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt war zuletzt unter Betreuung gestanden.

"Nach schwerer Herzoperation und einem wochenlangen Aufenthalt in einer Klinik war es Wunsch des Verstorbenen, in seine Schwabinger Wohnung zurückzukehren", ließen Gurlitts Anwälte Dienstag verlauten. "Dort wurde er in den letzten Wochen rund um die Uhr pflegerisch betreut und versorgt. Mit dem Tod von Cornelius Gurlitt enden sowohl das Betreuungs-, als auch das Ermittlungsverfahren."

Gegen Gurlitt war wegen eines Steuervergehens ermittelt worden – dieses führte 2011 zur Durchsuchung seiner Schwabinger Wohnung und zum "Fund" von rund 1300 Kunstwerken.

Wem gehört die Kunst?

Erste Erkenntnisse gibt es zu einem etwaigen Testament Gurlitts und zum weiteren Verbleib der Kunstsammlung. Gurlitt soll seine gesamte Bildersammlung einer Kunstinstitution im Ausland vermacht haben. Das geht nach Informationen der Süddeutschen Zeitung und des Norddeutschen Rundfunks (NDR) aus einem Testament hervor, das der 81-Jährige vor wenigen Monaten in einem Krankenhaus gemacht haben soll.

Darin sei verfügt worden, dass die Sammlung zusammenbleiben müsse. "Ich kann bestätigen, dass Herr Gurlitt vor seiner schweren Herzoperation einen Notar-Termin wahrgenommen hat", teilte Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger am Dienstagabend der dpa in München mit.

Es sei nun Aufgabe des Nachlassgerichts herauszufinden, ob es ein gültiges Testament oder einen Erbvertrag oder beides gebe. "Ich kann zwar verstehen, dass die Spekulationen jetzt wild blühen, werde darüber hinaus jedoch derzeit keine Stellung nehmen", erklärte Holzinger. "Ich möchte hingegen am Tag seines Todes betonen: Cornelius Gurlitt hat einen wesentlichen Beitrag zur Versöhnung geleistet, mehr als der deutsche Staat bis dato je in dieser schwierigen Angelegenheit unternommen hat."

Den Medieninformationen zufolge soll Gurlitt, der auch über Barvermögen verfügte, festgelegt haben, dass keiner seiner entfernten Verwandten Anspruch auf Teile der Sammlung bekommen soll. Gurlitt hatte keine Kinder, seine Schwester starb bereits 2012.

Einigung

Gurlitt hatte sich zuletzt mit der deutschen Bundesregierung und der Regierung des Freistaats Bayern darauf geeinigt, dass er einer Überprüfung der Provenienz seiner Kunstsammlung zustimmen und Werke, bei denen sich der Verdacht auf Raubkunst erhärtet, zurückgeben würde. Dieses Agreement betraf allerdings nur jene Werke, die 2011 in Gurlitts Wohnung beschlagnahmt worden waren. Die Staatsanwaltschaft Augsburg hatte die Beschlagnahme kurz nach Zustandekommen der Vereinbarung im April aufgehoben.

Gurlitt ist tot, die Debatte bleibt
In diesem Haus von Kunstsammler Cornelius Gurlitt in Salzburg Aigen wurden am 10. Februar mehr als 60 Werke gesichert.
Jene Werke, die Gurlitt in seinem Salzburger Haus gelagert hatte – darunter ein wertvolles Gemälde der Londoner Waterloo Bridge von Claude Monet – waren ununterbrochen in Gurlitts Privatbesitz verblieben. Zuletzt hatte Gurlitt über seinen Sprecher Stephan Holzinger signalisiert, auch für diese Werke eine Provenienzforschung in Auftrag geben zu wollen.

Taskforce

Mit der Erforschung der Schwabinger Bilder ist eine von der öffentlichen Hand bezahlte "Taskforce" betraut. Laut dem Agreement sollte sie ihre Arbeit innerhalb eines Jahres abgeschlossen haben – angesichts der oft sehr komplizierten Recherchen und der häufig sehr komplexen Besitzverhältnisse ein mehr als optimistischer Zeitplan.

Bei einem Werk von Henri Matisse aus Gurlitts Sammlung wurde zuletzt die Rückgabe, die als so gut wie sicher galt, in letzter Minute verschoben, weil weitere Antragsteller Besitzansprüche angemeldet hatten.

Die Debatte darüber, wie mit möglicherweise geraubter Kunst in Privateigentum umzugehen ist, wird in jedem Fall noch lange weitergehen: Dies ist Cornelius Gurlitts bleibendes Erbe.

Bilder aus dem Kunstfundus Gurlitts

Cornelius Gurlitt war der Sohn des Kunsthändlers Hildebrand Gurlitt (1895 –1956), der in der NS-Zeit zu jenen vier Händlern gehörte, die mit von Nazis beschlagnahmter Kunst und "entarteter" moderner Kunst handeln durften. Zudem tätigte er Kunst-Einkäufe für das von Hitler geplante "Führermuseum" in Linz.

Ein Cousin Hildebrand Gurlitts war Wolfgang Gurlitt, der auch in den NS-Kunstraub in Österreich verwickelt war. Seine Sammlung bildete den Grundstock der Neuen Galerie der Stadt Linz, der Vorläufer-Institution des Lentos Museums. Aus diesem Bestand wurden belastete Gemälde wie Klimts "Ria Munk" restituiert.

Die künstlerischen Wurzeln der Familie Gurlitt reichen noch weiter bis ins 18. Jahrhundert zurück: So war Cornelius’ Gurlitts Urgroßvater Louis Gurlitt (1812–1897) ein zu seiner Zeit geschätzter Landschaftsmaler, sein Urgroßonkel – er hieß ebenfalls Cornelius – war Komponist.

Cornelius Gurlitt hat sich nur einmal in einem Interview des Nachrichtenmagazins Der Spiegel ausführlich zu seinem Kunstschatz und den Vorwürfen gegen ihn geäußert - Mitte November 2013, kurz nach dem Bekanntwerden der Kunstsensation. Die dpa hat die wichtigsten Zitate aus dem Gespräch gesammelt:

- Über die Behörden:
„Die stellen das alles falsch dar. Ich werde nicht mit denen reden, und freiwillig gebe ich nichts zurück, nein, nein. Der Staatsanwalt hat genug, was mich entlastet.“
„Die hätten doch warten können mit den Bildern, bis ich tot bin.“
„Hier in Augsburg sitzt der Staatsanwalt, dem ich alle Unterlagen geschickt habe. (...) Ich verstehe nicht, warum der sich noch nicht bei mir gemeldet hat.“
„Ich bin kein Mörder, warum jagen die mich?“
„Was ist das für ein Staat, der mein Privateigentum zeigt?“
„Wenn ich woanders gelebt hätte, wäre das alles einfach nie passiert.“

- Über die Bilder:
„Jetzt sind die Bilder irgendwo in einem Keller, und ich bin allein. Warum haben sie die Bilder nicht dagelassen und nur immer die abgeholt, die sie prüfen wollen? Dann wäre es jetzt nicht so leer.“
„Mehr als meine Bilder habe ich nichts geliebt in meinem Leben.“
„Hoffentlich klärt sich alles schnell, und ich bekomme endlich meine Bilder zurück.“
„Ich hatte nie etwas mit der Anschaffung der Bilder zu tun, nur mit der Rettung.“
„Ich habe die Bilder sehr vermisst, das merke ich jetzt.“

- Über die Medien:
„Ich bin doch nicht Boris Becker, was wollen diese Menschen nur von mir? Ich bin doch etwas ganz Stilles. Ich habe doch nur mit meinen Bildern leben wollen. Warum fotografieren die mich für diese Zeitungen, in denen sonst nur Halbweltgestalten abgelichtet werden?“

- Über seinen Vater:
„Mein Vater wurde oft vertrieben, er ist oft gestürzt, aber er stand immer wieder auf.“
„Es kann ja sein, dass meinem Vater mal etwas Privates angeboten wurde, aber er hat es sicher nicht genommen. Das wäre ihm übel bekommen.“
„Ich bin nicht so mutig wie mein Vater. Er hat für die Kunst gelebt und für sie gekämpft. Der Staatsanwalt muss den Ruf von meinem Vater geraderücken.“

- Über sich selbst:
„Ich habe noch nie eine Straftat begangen, und selbst wenn, wäre das verjährt.“
„Ich habe nie illegal und unverzollt etwas über die Schweizer Grenze gebracht.“
„Jetzt ist alles so miserabel.“

22. September 2010: Der Kunsthändlersohn Cornelius Gurlitt wird auf einer Zugfahrt von Zürich nach München kontrolliert. Zollfahnder schöpfen Verdacht, es könne ein Steuerdelikt vorliegen.

23. September 2011: Das Amtsgericht Augsburg bewilligt einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss für Gurlitts Münchner Wohnung.

28. Februar 2012: Gurlitts Wohnung in München wird durchsucht. Die Fahnder entdecken rund 1.280 wertvolle Kunstwerke. Der Fund wird geheim gehalten, eine Berliner Kunstexpertin mit der Erforschung der Herkunft beauftragt.

3. November 2013: Das Nachrichtenmagazin Focus bringt den Fall an die Öffentlichkeit und sorgt damit für eine Sensation.

11. November 2013: Die ersten 25 Werke werden auf der Plattform lostart.de veröffentlicht - nach und nach folgen alle weiteren unter Verdacht stehenden Werke. Eine Taskforce wird eingesetzt, sie soll die Herkunft der Bilder erforschen.

19. November 2013: Die Behörden teilen mit, dass Gurlitt Hunderte Bilder zurückbekommen soll, die ihm zweifelsfrei gehören. Den Angaben zufolge scheiterten mehrere Übergabeversuche.

23. Dezember 2013: Es wird bekannt, dass Gurlitt unter vorläufige Betreuung gestellt wird.

28. Jänner 2014: Die Taskforce gibt bekannt, dass nach einer ersten Sichtung 458 Werke aus Gurlitts Sammlung unter Raubkunstverdacht stehen. Gurlitts damaliger Anwalt, Hannes Hartung, sagt, sein Mandant sei gesprächsbereit und an einer "fairen und gerechten Lösung" interessiert.

3. Februar 2014: Gurlitts Anwälte teilen mit, dass sie Anzeige gegen Unbekannt stellen, weil vertrauliche Informationen aus den Ermittlungsakten an die Öffentlichkeit gerieten.

10. Februar 2014: Nach Angaben von Gurlitts Sprecher Stephan Holzinger wurden mehr als 60 weitere wertvolle Bilder in Gurlitts Haus in Salzburg gesichtet und an einen sicheren Ort gebracht - darunter Werke von Picasso, Renoir und Monet.

19. Februar: Gurlitts Anwälte geben bekannt, dass sie beim Amtsgericht Augsburg Beschwerde gegen die Beschlagnahmung der Kunstsammlung eingelegt haben.

24. und 28. Februar: Bei weiteren Besichtigungen des Salzburger Anwesens von Gurlitt werden zahlreiche weitere Kunstgegenstände "in einem zuvor nicht zugänglichen Teil des alten Hauses" gefunden.

5. März: Das Amtsgericht München ordnet die weitere Betreuung Gurlitts an. Sie soll zunächst bis Ende des Jahres gelten.

26. März: Gurlitts Betreuer Christoph Edel lässt mitteilten, dass die Salzburger Sammlung Gurlitts nicht nur 60, sondern 238 Werke umfasst. Außerdem gibt er bekannt, dass Gurlitt sich bereit erklärt, als Raubkunst anerkannte Bilder der Münchner Sammlung an die Erben jüdischer Vorbesitzer zurückzugeben. Den Anfang soll die "Sitzende Frau" von Henri Matisse machen.

7. April: Gurlitts Anwälte unterzeichnen einen Vertrag mit der Bundesregierung, in dem der Kunsthändler sich bereit erklärt, Bilder, bei denen es sich um Nazi-Raubkunst handelt, freiwillig zurückzugeben.

9. April: Zwei Tage nach der Vertragsunterzeichnung zwischen Gurlitt und dem Bund gibt die Staatsanwaltschaft Augsburg die beschlagnahmten Bilder nach mehr als zwei Jahren wieder frei.

6. Mai: Cornelius Gurlitt stirbt im Alter von 81 Jahren in seiner Wohnung in München.

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