Clemens J. Setz: Ein Engel auf der Waage

Clemens J. Setz
"Bot – Gespräch ohne Autor": Neues Buch und bessere Antworten

Das ist der Unterschied:

Unsereiner steht im Postamt und schaut zu, wie die leere Paketwaage ständig zwischen 0,00 kg und -0,02 kg wechselt.

Und denkt sich dabei: überhaupt nichts.

Clemens J. Setz stellt sich in dieser Situation "natürlich" einen unsichtbaren Engel vor, der mit seinem "negativen Gewicht" auf der Wiegefläche hüpft ...

Sehr zwirn

Welche Freude, dass der Grazer wieder seine Fantasien auf Leser loslässt! 35 ist er mittlerweile.

"Die Stunde zwischen Frau und Gitarre" war sein bisher letzter Roman, 2015, also gar nicht so lange her. Trotzdem, Setz ist so eigen, dass niemand auch nur annähend Ähnliches schreiben kann. Wer noch kann etwas TREFFEND mit "blau und sehr zwirn" beschreiben?

Haruki Murakami mag mehr Bücher verkaufen – Setz ist beim Geheimnisvollen der Einfallsreichere.

Wasserfall

"Bot – Gespräch ohne Autor" ist ein Interviewbuch. Aber anders, weil Suhrkamp-Lektorin Angelika Klammer Fragen stellt, die Setz nicht so beantwortet, wie man es gewohnt ist.

War ihm zu fad.

Er ließ seine Word-Datei antworten, die seit Jahren länger wird, weil er Beobachtungen notiert, Fundstücke archiviert ... weil er ein Journal führt, wie man so sagt, wenn einem das Wort Tagebuch zu ... zwirn ist.

Das klingt dann, als würde ein Computerprogramm – ein Bot – automatisch etwas suchen, was irgendwie zur gestellten Frage passt.

Und das passt freilich nie richtig gut, und deshalb passt es ausgezeichnet. So ist es ergiebiger. Nahrhafter. Man erfährt Privates, z. B., dass der Grazer seinen Tinnitus mildert, indem er im Kopfhörer einem Wasserfall zuhört. Vor allem bekommt man Geschichten statt einem banalen "Manchmal bilde ich mir ein, dass meine Romanfiguren tatsächlich leben".

Guter Stoff. Viele absurd gute Stoffe, man darf immer nur ein bisschen kosten. Verweilt beim Kater, der Esel heißt. Bei Nonnen in der Straßenbahn, die aus Hirse bestehen. Aus rüstiger Hirse. Und beim Bagger, der gar kein Bagger ist, sondern der bessere Dinosaurier.

Im Übrigen möchte Setz in einem Tannenzapfen begraben werden.


Clemens J. Setz:

„Bot –
Gespräch ohne Autor“
Suhrkamp Verlag.
166 Seiten.
20,60 Euro.

KURIER-Wertung: **** und ein halber Stern

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