"Eine Intellektuellenfeindlichkeit gab es hier schon immer"

"Eine Intellektuellenfeindlichkeit gab es hier schon immer"
Der österreichische Schriftsteller Clemens Berger hat mit „Im Jahr des Pandas“ einen hoch gelobten Gesellschaftsroman vorgelegt. Im Interview spricht er über Pandas als Wirtschaftsfaktor, Intellektuellenfeindlichkeit und dass Philipp Roth eigentlich den Literaturnobelpreis gewinnen hätte sollen.

KURIER: Der Panda zieht sich wie ein roter Faden durch dein Buch. Sind Pandas wirklich so sympathisch, wie alle meinen?

Clemens Berger: Ich weiß es nicht. Können Tiere sympathisch sein?

Bei Delfinen glaubt man ja auch, dass die einfach nur nett sind, aber in Wahrheit sind sie total fiese Raubfische.

Dass die Pandas als Wesen faszinierend sind, ist das eine; das andere ist, dass ich auf den Panda in seiner gleichsam weltgeschichtlichen Rolle eher zufällig gestoßen bin. Der Roman besteht aus drei miteinander verwobenen Strängen: im einen geht es um einen Künstler, der Ruhm und Reichtum satt hat, im anderen um ein junges Pärchen, das mit einer halben Million Euro abhaut, und auf den Panda bin ich zufällig gestoßen, wenn es in diesem Fall so etwas wie Zufall gibt. Ich war vor Jahren mit meiner Freundin im Zoo, damals war gerade ein Panda geboren, weshalb man weit und breit keinen sehen konnte. Ich wollte aber, wenn ich schon mal da war, alle Tiere sehen, also hat mich der Panda interessiert. Allmählich kam ich dann auf die Idee, die Geschichte einer Panda-Pflegerin zu erzählen. Weil es mich auch interessiert hat, wie eine Frau die Welt sieht, die täglich mit Tieren zu tun hat. In einem Zoo, der ja eine Welt anhand ihrer tierischen Exemplare im Kleinen ist.

Seitdem bist du Panda-Experte?

Naja, ein kleiner Pandaloge schon, also vom Biologischen her. Aber die politischen und ökonomischen Fragen rund um die Bär-Katze, wie man im Chinesischen sagt, die haben sich alle erst beim Schreiben aufgetan, beim Recherchieren. Der Panda ist ja ein hoch politisches Wesen. Man spricht zum Beispiel von Panda-Diplomatie.

Für was steht der Panda in deinem Buch?

Er steht für vieles: für den WWF, für die Erhaltung der vom Aussterben bedrohten Tierarten, für den Versuch, die Zerstörung der Artenvielfalt noch einmal rückgängig zu machen, er steht für Antirassisten, die ihn als Symbol nehmen: „Schwarz, weiß, Asiate, gegen Rassismus", und er steht natürlich für ein tapsiges drolliges Tierchen, das es schwer hat in der Evolution und aus menschlicher Perspektive darf, was Menschen im Kapitalismus nicht dürfen - faul sein. Gleichzeitig ist der Panda ungeheuerlich ökonomisch und kapitalistisch aufgeladen.

Das heißt was?

Erstens ist jeder Panda auf der Welt sozusagen chinesischer Staatsbürger - auch jene Tiere, die im Ausland geboren wurden, sind Eigentum der Volksrepublik China.

Es gibt also keinen Panda auf der Welt, der nicht Chinese ist?

Genau. Es gibt Leihverträge, für die China viel Geld verlangt. Das war schon früher so. Im späten 19. Jahrhundert gab es bereits einen Wettlauf, wer den ersten Panda aus China rausbringt. Das haben unter anderem die Söhne von Theodore Roosevelt versucht, einer davon hieß im übrigen Kermit. Die erschossen Pandas und schickte die Felle heim. Den ersten lebenden brachte dann allerdings Ruth Harkness außer Landes, eine mondäne New Yorkerin, damals allein auf Expedition in Sichuan, deren Mann auf der Pandajagd elendiglich zugrunde gegangen war. Heute besiegelt China große Wirtschaftsgeschäfte mit einem Panda - oder einem Pandapärchen.

Russland verkauft also den Chinesen ein paar Atomkraftwerke und als Dank gibt es einen Panda zum Geschenk?

So ähnlich. Uran ist begehrt, Technologien sind begehrt, oder die Schotten liefern China Lachs, es gibt ein Handelsabkommen, und der Zoo in Edinburgh darf sich als Zugabe über einen Panda freuen. Auf Leihbasis natürlich.

Du bist seit Jahren sehr erfolgreich. Wie schwer ist es in Österreich, sich als Schriftsteller durchzusetzen?

Es gibt halt viel zu viele Bücher. Der deutschsprachige Buchmarkt ist übervoll. Wenn du nach Frankfurt zur Buchmesse kommst, wirst du erschlagen von Millionen von Büchern. Und du kommst halt auch mit deinem. Und wenn du mit deinem nicht auf der berühmten Long- oder Shortlist des deutschen Buchhandels stehst, ist es kaum möglich, eine größere Aufmerksamkeit zu generieren. Zumindest bis der Preis endlich verliehen ist.

Wie wichtig sind Kritiken und Besprechungen?

Das war früher viel wichtiger, für den Verkauf bringt das mittlerweile eher wenig, das wird überschätzt. Also wenn das Buch in der FAZ verrissen wird, dann hat das keine gravierenden Auswirkungen. Umgekehrt auch nicht.

Wird es also immer wichtiger, dass sich Autoren selbst vermarkten, eine eigene Marke kreieren?

Es geht tendenziell in diese Richtung, aber wenn ich mir manche Autoren ansehe, die sich in der Öffentlichkeit über Social Media präsentieren oder positionieren, dann wird das leider halt sehr schnell boulevardesk. Da gibt es keine wirklichen Auseinandersetzungen mehr. Da gerät man sich nicht wegen gesellschaftlich brennender Fragen in die Haare.

Du bist auch als politischer Essayist mit eher linken Positionen bekannt, wird es im gegenwärtigen politischen Klima schwieriger, seine Positionen zu transportieren?

Wir wuchsen als Studenten mit den Debatten in den Feuilletons der großen Tageszeitungen auf. Dort hat wer eine Meinung bezogen, darauf gab es eine Antwort, und darauf wieder eine. Man hat mitgelesen und mitdiskutiert. Diesen intellektuellen politischen Diskurs gibt es heute kaum noch.

Warum ist das so, haben wir keine Intellektuellen mehr?

Die gibt es noch, natürlich, aber die Äußerungsformen sind anders geworden, und die Öffentlichkeit hat sich extrem verändert. Vieles sind nur mehr Scheindebatten, in denen es um Äußerlichkeiten und Oberflächliches geht, zeitweise auf furchtbarem Niveau. Da geht es dann darum, wer wie aussieht, oder wer was über wen gesagt hat. Und wenn es hoch hergeht, wird dem Ganzen dann noch ein politisches Mäntelchen übergezogen - und auf einmal geht es um ein Thema, ein Reiz- oder Schlagwort.

Ich höre ja immer öfter, dass sich viele nicht mehr öffentlich zu Wort melden möchten, weil sie von Kommentaren und Postings in Tageszeitungen und Sozialen Medien angewidert sind und sich dem nicht mehr aussetzen wollen.

Ich lese das alles, und mir ist das egal, ich muss sogar oft lachen. Viele meinen ja, man sollte das verbieten, manchmal ist das aber nur aberwitzig. Seit ich denken kann, lese ich die Leserbriefseiten der Kronen Zeitung - das zeigt mir doch, wie viele Leute wirklich denken. Auch wenn die Leserbriefe mitunter erfunden sind. Wahrscheinlich lese ich aus demselben Grund Straches Facebook-Seite. Die ist so widerlich, da wird einem schon anders. Man denkt sich oft: das kann jetzt doch nicht wahr sein, wenn ich das schreiben würde, hieße es, ich übertreibe maßlos.

Standardfrage: Wie definierst du den Zustand der Republik?

Nicht gut. Allein die Tatsache, dass ein harter Rechter Bundespräsident werden könnte, der die Regierung entlassen und dann mit einem gewissen Auftrieb eine FPÖ-geführte Regierung angeloben könnte, ist mehr als bedenklich. Das ginge Richtung Ungarn, schrecklich. Andererseits scheint es mir auch eine Art Lust an einem Untergangsszenario zu geben, und viele scheinen nur darauf zu warten, dass hier etwas zerbröselt und explodiert. Wir leben in einer Krise, es ist eine Krise des Kapitalismus, und man merkt und spürt, dass es so nicht mehr geht. Deshalb reicht es auch nicht mehr aus, in einer liberalen Blase zu leben, in der man sich wechselseitig seiner moralischen Überlegenheit versichert. Man müsste halt über Eigentumsverhältnisse und Produktionsweisen sprechen. Und darüber, wie der gesellschaftlich produzierte Reichtum verteilt werden sollte.

Du gehörst ja zur Elite, ein so genannter Intellektuelle, und die haben es derzeit besonders schwer, weil ihnen ja nichts mehr geglaubt wird und sie an allem schuld sind.

Warum gehöre ich zu einer Elite?

Als Schriftsteller eher schon oder?

Es gab in Österreich schon immer eine Intellektuellen-Feindlichkeit - das hat Tradition. Und wehe ein Politiker käme in den Verdacht, ein Intellektueller zu sein! Politiker punkten ja hierzulande damit, dass sie sagen, eigentlich sind wir so dumm und dumpf wie ihr. Das ist zwar eine Frechheit, vor allem den Adressaten gegenüber, aber es funktioniert. Ja nicht zu gescheit sein - das geht gar nicht. Das erinnert mich ein bisschen an Armin Assinger, der stets durchscheinen lässt, dass man das in Wirklichkeit alles doch überhaupt nicht wissen müsse.

Wer war der letzte Intellektuelle in einer Regierung. Rudolf Scholten, Caspar Einem?

Am ehesten Gusenbauer. Dem wurde eine gewisse Gescheitheit nachgesagt, der hat nicht immer verborgen, dass er möglicherweise komplexer denken könnte, und dafür ist er ja auch unerbittlich attackiert worden. Er war der erste Politiker, der in der Öffentlichkeit wie eine Frau behandelt wurde: Bei ihm ging es immer nur um Äußerlichkeiten. Da hieß es stets „er schwitzt so“, weil er Schweißperlen um die Lippen hatte, die rote Tasche wurde belächelt, die Frisur, dass er zu dick sei und zu guten Wein trinke, und dass er eben zu gescheit und abgehoben für die Politik sei.

Das geht also gar nicht? Das Gescheite ist also ein Problem?

Ja, ein massives. Man muss sich ja nur mal Parlamentsdebatten anhören, sprachlich, vom Inhalt, das ist furchtbar. Zum Haareraufen. Und dass gerade die, die der deutschen Sprache am Ohnmächtigsten gegenüberstehen, am lautesten nach Deutschkursen und Sprachtests für alle möglichen Anderen rufen, ist zwar mittlerweile eine Binsenweisheit, aber deshalb um nichts weniger wahr.

Was ist am neuen Buch so besonders?

Abgesehen davon, dass ich fast fünf Jahre daran gearbeitet habe, und abgesehen davon, dass es auch als Buch sehr schön ist, ist es eine Geschichte, die unserer Zeit auf den Zahn fühlt, die kunstvoll verwoben ist, und in der es eigentlich um alles geht: um Liebe, Kunst, Subversion, um das Mensch-Tier-Verhältnis, um den Kapitalismus und die Auflehnung dagegen, und nach deren Lektüre man, hoffe ich, manches anders sieht.

Fünf Jahre sind lange.

Das war extrem anstrengend, vor allem gegen Ende hin. Man ist über all die Jahre allein mit der Geschichte und gibt sie erst sehr spät aus der Hand. Das ist mit viel Freude, aber auch mit großen Qualen und Bangen verbunden. Nehme ich diese irrwitzige Hürde, die ich mir in einem Anfall von Größenwahn gesetzt habe? Aber jetzt ist der Roman da, und ich bin glücklich.

Glücklich auch mit dem neuen Literaturnobelpreisträger?

Nein. Philip Roth hätte ihn bekommen sollen. Wie der uns das 20. Jahrhundert und das menschliche Drama erzählt hat! Jetzt wird er ihn nicht mehr bekommen, weil es bis nach seinem Tod dauern wird, dass wieder jemand aus den USA den Preis bekommt.

Clemens Bergers neues Buch "Im Jahr des Pandas" ist beim Luchterhand Literaturverlag erschienen.

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