Chronologie einer Demontage

International rezipiert: Im Park des von Agnes Husslein-Arco geleiteten Belvedere greift Ai Weiwei das Flüchtlingsthema auf – mit einer Installation aus 1005 Schwimmwesten
Kulturminister Thomas Drozda bot Belvedere-Direktorin Agnes Husslein einen 5-Jahres-Vertrag an. Doch dann übte jemand Rache.

Im Endeffekt sind alle fassungslos: Die einen über das, was sich Agnes Husslein-Arco, kurz AHA, als Direktorin des Belvedere geleistet haben soll, die anderen über die Vorverurteilungen. Der Kulturminister ist fassungslos über die exorbitanten Kosten der Untersuchung – und auch Husslein ist es. Weil sie doch nicht wiederbestellt wurde.

Wie konnte es dazu kommen? Hier wird zum ersten Mal der Versuch einer Chronologie der Ereignisse unternommen. Basis bildet u. a. ein langes Treffen mit Husslein. Das Kulturministerium, dem der fertige Artikel zugesandt wurde, gab lediglich die Erklärung ab, dass man nicht kommentiere, da die im Rahmen von Bewerbungsprozessen geführten Gespräche der Vertraulichkeit unterlägen. Unwirsch reagierte Hans Wehsely, als Vorsitzender des Belvedere-Kuratoriums der Fädenzieher der Affäre: Es sei nicht seine Aufgabe, den Text zu verbessern.

Nun denn.

Ende Februar hatte der damalige Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) die Doppelgeschäftsführung für das Belvedere ab Jänner 2017 ausschreiben lassen. Und die Findungskommission empfahl für die künstlerische Leitung einzig und allein AHA. Ostermayer kam aber nicht mehr dazu, die Direktorin wiederzubestellen: Als Mastermind des zurückgetretenen Bundeskanzlers Werner Faymann musste er gehen.

Auch Nachfolger Thomas Drozda, am 25. Mai angelobt, sprach sich für AHA aus. Die Direktorin war zwar ob ihrer mangelnden sozialen Kompetenz nicht unumstritten, aber sie hatte binnen neun Jahren die Zahl der Besucher nahezu verdreifacht und ein erstaunliches Programm realisiert. Daher rief Drozda AHA am 13. Juni an: Er lade sie ein, das Belvedere fünf weitere Jahre zu leiten.

AHA bedankte sich – und fragte, wer denn nun für die kaufmännische Leitung vorgesehen sei. Die Kommission hatte einen Zweiervorschlag mit Stefan Charles (Basel) und Ulrike Gruber-Mikulcik, seit 2012 Prokuristin im Belvedere, abgegeben. Drozda habe sich, sagt AHA, für Charles ausgesprochen, denn Gruber hätte beim Gespräch nicht so überzeugen können.

Nicht reibungslos

Am 14. Juni in der Früh nahm das Schicksal seinen Lauf: Drozda informierte Wehsely, Wehsely informierte Gruber, und Gruber informierte Husslein. Begründet worden sei die Entscheidung laut AHA mit dem Hinweis, dass die Zusammenarbeit der beiden Frauen in der letzten Zeit nicht reibungslos funktioniert habe. Gruber musste also glauben, dass AHA gegen sie interveniert hatte. Keine Stunde später, um etwa halb elf Uhr, übermittelte Gruber dem Büro von Drozda eine Liste mit angeblichen Verstößen von mehreren Mitarbeitern, hauptsächlich aber von AHA, gegen die erst wenige Monate zuvor verschärften Compliance-Richtlinien.

Hier ist ein Einschub notwendig: Anfang 2013 wurde die damalige Belvedere-Juristin S. zur Compliance-Beauftragten ernannt. Man hielt fest, dass sie weisungsfrei agieren darf und nur dem Kuratorium berichtspflichtig ist. Im Juli 2013 kam es aber, so S. im Gespräch mit dem KURIER, zu einer Differenz: Gruber verlangte Zugang zur Datenbank mit den Verstößen. Die Juristin lehnte ab: Sie sei nicht gegen ein Vier-Augen-Prinzip, so S. in einem Mail an ihre Chefin, aber da Gruber "in allen anderen Bereichen" ihre Vorgesetzte sei, sehe sie "hier sehr wohl ein Konfliktpotenzial".

Zur werten Verwendung

Gruber wandte sich daher an den IT-Beauftragten mit der Bitte, ihr "den Gesamt-Zugang zur Tabelle" freizugeben. Und sie begann, der Juristin alle relevanten Aufgaben zu entziehen: S. erhielt nach ihrer Rückkehr aus Mutterschutz und Karenz weder Arbeitsplatz noch Mail-Adresse. Sie ließ sich, sagt S., nicht länger von Gruber demütigen – und kündigte.

Auch Nachfolgerin P. sollte, wie vom Rechnungshof gefordert, weisungsfrei agieren. Doch an jenem entscheidenden 14. Juni forderte Gruber die Liste an – und P. übermittelte sie ihr "wie besprochen". Eine Viertelstunde später leitete Gruber das Sündenregister ans Ministerium weiter – zur "werten Verwendung": AHA habe, so Gruber, "immer wieder gegen die Richtlinie verstoßen".

Drozda rief AHA an und zeigte sich, so die Direktorin, entsetzt über die Aktion von Gruber. Im Gespräch hätte sie, soll der Minister gesagt haben, kein schlechtes Wort über AHA verloren. Aufgrund der Vorwürfe müsse er aber nun die Bestellung aussetzen.

Die weitere Geschichte ist bekannt: Drozda und Wehsely beschließen sogleich eine Sonderprüfung, am späten Nachmittag des 14. Juni lässt Wehsely eine Aussendung veröffentlichen. Die Vorwürfe werden aber im Dunkeln gelassen, was eine Flut an Gerüchten auslöst.

Bereits am nächsten Morgen teilt Wehsely per SMS an Husslein mit: "Ich habe mich für BDO als Prüfer entschieden." Laut Bundesvergabegesetz hätten drei Angebote eingeholt werden müssen, mit dem Wirtschaftsprüfer BDO wird aber nicht einmal ein Kostenlimit vereinbart.

Am 17. Juni billigt das Kuratorium die von Wehsely getroffene Entscheidung. Und der Vorsitzende hält fest, dass es bis zum Vorliegen des Endberichts ausschließlich Gespräche zwischen ihm und BDO geben werde. Folglich erhält nur er die Ergebnisse.

Zwei Wochen später, am 2. Juli, schlagen die Prüfer vor, die ermittelten Fakten juristisch einordnen zu lassen. Dass BDO dazu nicht selbst in der Lage ist, weiß Wehsely laut Protokoll bereits von Anfang an. Er stimmt zu, und BDO beauftragt die Kanzlei Maxl & Sporn. Diese nimmt die Tätigkeit am 4. Juli auf.

Am 13. Juli – seit Bekanntwerden der Affäre ist ein Monat vergangen – wird die Ausstellung von Ai Weiwei eröffnet. Eine Klärung der Angelegenheit bis zum 12. Juli, wie von drei Kuratoriumsmitgliedern erbeten, lehnt Wehsely ab: Er beharrt auf dem 14. Juli als Termin für die Kuratoriumssitzung. Im Gespräch mit dem KURIER erklärte er, dass BDO nicht bis zum 12. Juli fertig geworden wäre. Zudem habe er "das mit Rücksicht auf Husslein gemacht". Was er damit meint, ließ er offen. Vielleicht wusste er bereits, wie die Sache ausgeht – und dass die Eröffnung dann trist gewesen wäre?

Duell zu High Noon

Der 14. Juli ist eng getaktet: Von 10 bis 12 Uhr präsentiert BDO die Ergebnisse. Und um 13 Uhr soll das Kuratorium bei Drozda sein. Aber Wehsely hat alles genau geplant. Um 8.30 Uhr smst er AHA: "Es wäre gut, wenn Du um 12 Uhr jemanden Rechtskundigen (Ploil) bei unserem Gespräch dabei hättest. Ich komme alleine." Ein Duell zu High Noon also.

Weil Wehsely kein weiteres Wort verlor, glaubte AHA, dass die Kündigung von Gruber anstand. Die Direktorin rief daher nicht den Belvedere-Anwalt Ernst Ploil an, sondern den Arbeitsrechtler Berhard Hainz. Zunächst sei es tatsächlich, so AHA, um Gruber gegangen. Doch dann legte Wehsely ein bereits ausformuliertes Schuldeingeständnis vor, und er forderte AHA auf, dieses sofort zu unterschreiben, denn er müsse eben um 13 Uhr bei Drozda sein. Wehsely habe ihr, sagt AHA, keine Wahl gelassen.

Hainz bestätigt dies: "Wehsely sagte, dass man von einer Entlassung Abstand nehmen würde, wenn Husslein-Arco den fixfertigen Text unterschriebe. Über Abänderungen wollte er nicht diskutieren: ,Entweder so – oder gar nicht.‘ Es gab also keine Alternative."

Wehsely will den Verfasser des Textes nicht nennen: "Das ist wurscht." Vielleicht hat er ihn gar selbst geschrieben? Es fehlen Leerzeichen, die Beistrichsetzung entspricht nicht den Regeln. Zudem muss das Schuldeingeständnis schon vor der Kuratoriumssitzung ausgedruckt worden sein, da es im Belvedere nicht den verwendeten Tintenstrahldrucker gibt. Wehsely hat alles gut geplant.

In der Erklärung heißt es, dass AHA "mehrfach Verstöße gegen die Compliance-Richtlinien begangen" habe, sie bereue – und verpflichte sich unwiderruflich, "den gesamten aus ihren Handlungen entstandenen Schaden" zu ersetzen. Aus dem Text ist aber nicht ersichtlich, um welche Verstöße es geht. Husslein wusste bis dahin nur, wie sie sagt, dass Reiserechnungen beanstandet wurden – und zwar Reiserechnungen, die von Gruber genehmigt worden waren.

Das Ergebnis, also das Schuldeingeständnis, wurde um 15.20 Uhr der Presse mitgeteilt. Was Wehsely jedoch nicht bekannt gab, war die Schadenshöhe. Denn sie beläuft sich für die untersuchten drei Jahre (Juni 2013 bis Mai 2016) auf geschätzte 13.000 Euro. Allein die von Wehsely frei vergebene Prüfung kostete das Zehnfache.

Minister Drozda war auch nach diesem 14. Juli gewillt, Husslein-Arco im Amt zu bestätigen. Warum es nicht dazu kam? Das lesen Sie am Dienstag im KURIER!

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