Christine Nöstlinger: "Der Hass ist bestürzend"

Die Schriftstellerin Christine Nöstlinger
Christine Nöstlinger, die Großmeisterin des lakonischen Witzes, wird 80 Jahre alt.

Stolz wie die Vorsitzende der Artus’schen Tafelrunde sitzt Christine Nöstlinger an ihrem großen Esstisch in der Dachwohnung im 20. Wiener Gemeindebezirk. Die mitgebrachten Topfengolatschen ignoriert sie ("Ich esse fast nichts mehr"), trinken tut sie auch nichts. Sie hatte, sagt sie, in den letzten Wochen so viele Interviews, dass sie froh sei, wenn der 80. Geburtstag endlich, endlich vorbei sei. Am kommenden Donnerstag ist es so weit.

KURIER: Frau Nöstlinger, Sie sind ja eine exzellente Köchin und haben auch drei Kochbücher geschrieben. Kochen Sie jetzt nicht mehr?

Christine Nöstlinger: Nein, selten. Als mein Mann noch lebte, da hab ich jeden Tag gekocht – der war ein freudiger Fresser. Jetzt koch ich nur mehr selten, nur, wenn meine Tochter kommt. Ich hab mir vor zwei – oder warn’s schon drei? – Jahren das Kreuzbein und das Schambein gebrochen, und da haben sich zwei Wirbel verdreht. Ich bin über einen Schneehaufen g’hupft, hab geglaubt, ich bin 20. Und wenn ich jetzt eine halbe Stunde steh und koch, dann krieg ich unerträgliche Schmerzen.

Das heißt, Sie gehen gern essen.

Ja, ich bin nicht verschwenderisch, und wenn ein Durchschnittsmensch in meinen Kleiderschrank schaut, würd’ er sich wundern, weil ich eigentlich fast nix zum Anziehen hab. Aber ich bin einfach nicht knausrig und will nicht aufs Geld schau’n. Ich hab eine Kindheit und Jugend hinter mir, wo um jeden Schilling geknapst wurde, weil einfach nichts da war. Anscheinend hab ich jetzt einen Nachholbedarf. Ich hab gern eine Brieftasch’n voller Geld. Und natürlich geh ich lieber Nachtmahl essen in die Cantinetta Antinori als zum Wirt’n am Eck.

Erkennen die Leute Sie, wenn Sie in einem Lokal sitzen?

Das ist nach Ecken verschieden in Wien. Wie ich noch in der Josefstadt gewohnt hab, haben mich fast alle Leute gekannt. Das ist ja ein belesener Bezirk. Hier in der Brigittenau kennt mich kein Schwein. Meistens, wenn ich angeredet werde, ist das von so 50-, 60-jährigen Frauen. Die schau’n mich an und sagen: "San se’s?" Do waast net, wos du drauf sogn sollst. In der Josefstadt hat es eine gegeben, die mich immer total freundlich gegrüßt hat mit den Worten: "Grüß Sie Gott, Frau Burkhard!" Aber das hat mich auch nicht gestört.

Was schreiben Sie gerade?

Im Moment macht’s mir Spaß, Wiener Dialektgedichte zu schreiben. So wie "Iba di oaman Leit". Und zwei Bücher für kleine Kinder hab ich auch gemacht. Für die Größeren, die 13-, 14-Jährigen, trau ich mich nicht mehr schreiben. Kinderbücher muss man ja so verfassen, dass man die Gefühle des Helden oder der Heldin beschreibt. Und ich kann mich in so heutige 13-, 14-Jährige nicht mehr hineinversetzen. Wenn ich seh, wie sich die stundenlang mit ihrem Smartphone beschäftigen, und hochintelligente Mädchen als ihre Lieblingssendung "Germany’s Next Topmodel" angeben, dann ist mir das ein Rätsel.

Sie waren immer schon ein kritischer Geist. War es schwer, sich aus der traditionellen Hausfrauenrolle zu befreien?

Ich hab mir mit zwei kleinen Kindern nie eingebildet, ich muss Karriere machen. Aber dieses Hausfrauendasein ist mir halt absolut nicht gelegen. Diese Hausarbeit, jössas! Ich hab damals noch nicht einmal einen Staubsauger gehabt, und die Windeln hab ich auch waschen müssen. Dann hab ich mit einem Besen in dem einen Zimmer den Dreck z’sammkehrt und in der Mitte ein Häuferl gemacht. Ich hab mir gedacht, jetzt solltest eine Schaufel holen und einen Bartwisch und das aufkehren. Aber das Häuferl ist den ganzen Tag dort gelegen. Das war einfach nix für mich. Da hab ich mit dem Schreiben begonnen.

Was lesen Sie?

Ich kauf’ mir jede Woche Die Zeit, und von den zehn Büchern, die da im Feuilletonteil stehen, leg ich mir halt eines zu. Jetzt lese ich gerade "Die Korrekturen" von Jonathan Franzen. Auf den steh ich besonders. Ich mag die Amerikaner. Philip Roth, Franzen et cetera. Die Sprache, das Amerikanische, eignet sich ja unheimlich gut für coolen Witz. Wenn Bücher von mir ins Englische übersetzt werden, find ich sie witziger als meinen ursprünglichen Text. Weil’s so knapp ist. Im Deutschen dauert das viel länger, bis man am Punkt ist.

Den lakonischen Witz betreffend gehen Sie auch als Amerikanerin durch, oder?

Na ja, das ist halt meine Art, dass ich sogar, wenn ich sehr traurig bin, immer noch die komische Seite der Angelegenheit sehe. Es hat ja auch alles eine komische Seite. Ich bin eben eine heitere Pessimistin.

Worüber können Sie lachen?

Über Georg-Kreisler-Lieder zum Beispiel. Oder, wenn Sie was aus der Jetztzeit wollen: Bei Thomas Maurer kann ich sehr lachen.

Über die gesellschaftspolitische Situation derzeit können Sie, nehme ich an, nicht lachen.

Ich stelle eine völlige Verrohung der Gesellschaft fest. Ich seh schon ein, dass man sich schrecken kann, wenn Fremde kommen, aber trotzdem kann man ein bisschen Empathie empfinden. Dieser Hass, der da an allen Ecken und Enden herauskommt, ist schon bestürzend. Die Leute glauben, sie dürfen alles.

Kommentare