"Charlotte Salomon": Mit dem Pinsel gegen den Untergang
Jahrelang gibt es bei den großen österreichischen Festivals keine Opernuraufführungen und dann gleich zwei hintereinander: Nach HK Grubers "Geschichten aus dem Wiener Wald" in Bregenz wurde in Salzburg Marc-André Dalbavies " Charlotte Salomon" uraufgeführt.
Solche mutigen Kraftakte sind ja prinzipiell immer erfreulich, viel entscheidender als der internationale Wettstreit um das Recht der ersten Nacht ist aber die Anzahl der Aufführungen danach, also das Weiterleben der neuen Werke. Und da wagt der Autor dieser Zeilen eine Prognose: HK Grubers Oper wird sich wesentlich länger in den Spielplänen halten.
Szenenfotos der Oper
Distanz statt Nähe
"Charlotte Salomon" des 1961 geborenen französischen Komponisten Dalbavie ist ein intensives, höchst dramatisches, berührendes Stück Musiktheater, unterm Strich aber sehr artifiziell und dann doch wieder recht simpel gestrickt. Die Geschichte, die zu erzählen zweifellos wichtig ist, passt besser zu anderen Genres als Transportmittel, etwa zum Sprechtheater oder zum Film (diesbezügliche Arbeiten gibt es auch bereits). Für eine Oper (zumindest im Breitwandformat der Felsenreitschule) ist sie bedingt geeignet. Oper schafft immer auch Distanz durch Überhöhung, dieses Schicksal braucht Nähe.
Es geht um das tragische Leben der Künstlerin Charlotte Salomon, die in Berlin aufwuchs, eine Liebe zu ihrer singenden Stiefmutter entwickelte, danach zu deren Verehrer, Kunst studierte, als Jüdin nach Frankreich auswandern musste und 1943 im KZ Auschwitz starb. Charlotte Salomon erzählte zahlreiche Vorfälle aus ihrer Vita in intensiven, expressionistischen Bildern – diese Arbeiten sind zutiefst beeindruckend. Nach und nach kommt sie drauf, dass sich die meisten Mitglieder ihrer Familie umgebracht haben. Mit dem Pinsel kämpft sie gegen den eigenen Untergang an, gegen Suizid oder Tod im KZ.
Die Musik von Dalbavie ist ähnlich expressiv wie die Bilder. Er lässt (auch als Dirigent) mit dem Mozarteumorchester die Gouchen Klang werden, farbenreich, dann ganz grell, wie ein atonaler Aufschrei. Zwischendurch zitiert er ganz lange aus der Musikgeschichte. Minutenlang aus "Carmen", aus dem "Freischütz", aus Schuberts "Der Tod und das Mädchen". Diese Musik hat Charlotte Salomon auch in "Leben? oder Theater?", auf dem das Libretto von Barbara Honigmann basiert, erwähnt.
Regisseur Luc Bondy hat die Felsenreitschule leider mit weißen Zimmern, in denen mehrere Handlungsstränge parallel erzählt werden können, zugebaut. Immerhin hat das den Vorteil, dass er die Original-Bilder auf die Wände projizieren lassen kann. Die suizidalen Fensterstürze sind banal gelöst.
Zweimal Charlotte
Fabelhaft ist Johanna Wokalek in der Sprechrolle der Charlotte Salomon: Sie erzählt die Geschichte von ihrem Alter Ego Charlotte Kann auf deutsch. Gesungen wird in erster Linie französisch, am allerbesten von der exzellenten Mezzosopranistin Marianne Crebassa als zweiter Charlotte. Auch Anaïk Morel als Stiefmutter Paulinka Blimblam überzeugt, Frederic Antoun als Liebhaber Daberlohn hat einen feinen, natürlichen Tenor.
Das Libretto ist so repetitiv, dass es innerhalb der 2:15 Stunden große Längen erzeugt, die Umsetzung teils extrem plakativ. Dennoch ist es wichtig, dass in memoriam Gérard Mortier die Salzburger Uraufführungs-Tradition, die im Opernbereich 1933 mit der Wiener Fassung der "Ägyptischen Helene" von Richard Strauss begann, wiederbelebt wird. Die bisher letzte Uraufführung war Wolfgang Rihms "Dionysos" im Jahr 2010.
KURIER-Wertung:
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