Cannes-Eröffnung: Peinlich auf dem Teppich

Eröffnungsfilm von Cannes: "Ismael's Ghosts“ mit Marion Cotillard und Mathieu Amalric
Das Filmfestival feiert seinen 70. Geburtstag; Eröffnungsfilm von Arnaud Desplechin blieb ohne Applaus.

Cannes ist nicht Hollywood und will es auch nicht sein. Doch anlässlich seines 70. Geburtstages hat sich das renommierteste Filmfestival der Welt einen kleinen Scherz erlaubt – und sich als Hollywood "verkleidet": Auf dem Hausberg der Stadt ist heuer der goldene Schriftzug "Cannes" angebracht – als launiger Verweis auf das legendäre "Hollywood-Sign" in den Hollywood Hills.

Auch sonst zeigt sich die Festivalführung unter dem streitbaren Thierry Frémaux ungewohnt humorig. Journalisten bekommen bei der Abholung ihrer Akkreditierung Anstecker verpasst mit "lustigen" Sätzen wie: "Ich bin so peinlich: Ich habe auf dem roten Teppich ein Selfie gemacht". Oder: "Ich träume davon, in Flip-Flops über den roten Teppich zu gehen."

Damit nimmt sich Cannes milde selbstironisch aufs Korn, denn tatsächlich gab es in den letzten Jahren themenbezogene Skandälchen: Frauen ohne hohe Absätze wurde der Eintritt in Gala-Premieren verboten und Frémaux sprach ein Selfie-Verbot für den Teppich aus.

Heuer hat der Festivalchef jedoch größeren Ärger als peinliche Selbstporträtisten, liegt er doch mit dem Streamingdienst-Riesen Netflix im Streit. Wie zum Zeichen seiner (immer stärker werdenden) Geltungsmacht, hat Netflix direkt gegenüber dem Festivalpalast ein überdimensionales Werbeplakat für seinen Wettbewerbsfilm "Okja" affichiert. Praktisch Aug’ in Aug’ mit Claudia Cardinale, die das heurige Festivalplakat ziert. Zugespitzt könnte man sagen: Fernsehen versus Kino.

Denn Netflix weigert sich, seine Wettbewerbsfilme in den französischen Kinos zu starten; und Frémaux, Verteidiger des Kinos, weigert sich, ab nächstem Jahr Filme zu zeigen, die nicht zuerst dort zu sehen sind.

Zumindest dieses Problem hat der Eröffnungsfilm der Jubiläumsausgabe von Arnaud Desplechin nicht. Desplechin zählt zu den hervorragenden Vertretern des zeitgenössischen französischen Autorenkinos und trägt eine unverkennbare Handschrift. Für sein hochgeschraubtes Melodram "Ismael’s Ghosts" hat er Marion Cotillard, Charlotte Gainsbourg und Mathieu Amalric engagiert und garantierte damit hochkarätige Star-Präsenz bei der Eröffnungsgala.

In keinem Fall jedoch ist "Ismael’s Ghosts" ein leicht verdaulicher Premierenfilm vor dem Abendbuffet.

Hitchcock

Denn Desplechin erzählt mehrere Filme zugleich und wechselt rapide zwischen Orten und Zeiten. Im Zentrum steht Ismael – rauchend und trinkend: Mathieu Amalric in einer Paraderolle – dessen Frau (Cotillard) vor zwanzig Jahren verschwand. Mittlerweile hat er eine neue Liebe (Gainsbourg), als plötzlich die Totgeglaubte zurückkehrt. Desplechins smarte Verweise auf Hitchcock-Filme sind unüberseh- und hörbar, seine Schauspieler auf dem Höhepunkt ihrer Gestaltungskunst. Dass "Ismael’s Ghosts" hochgradig artifiziell und dabei leblos bleibt, ist vielleicht der Preis dafür.

Das Pressepublikum blieb jedenfalls völlig reaktionslos: Es gab weder Pfiffe, noch Applaus, nur Schweigen. Sehr ungewöhnlich für Cannes.

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