Cannes: "Auf alles gefasst sein müssen"

Kristen Stewart düst als "Personal Shopper" durch Paris
Buhrufe für Oliver Assayas’ schönen Geisterfilm "Personal Shopper" mit Kristen Stewart.

Das Publikum in Cannes ist berüchtigt für seine Gnadenlosigkeit. Was nicht gefällt, wird mitleidslos ausgebuht, was begeistert, euphorisch bejubelt – wie zuletzt der deutsche Beitrag "Toni Erdmann". Dass ausgerechnet Frankreichs profilierter Autorenfilmer Olivier Assayas für seinem Beitrag "Personal Shopper" mit den ersten Buhrufen des diesjährigen Festivals bestraft wurde, ist besonders bitter. Zumal der ehemalige "Twilight"-Star Kristen Stewart die Hauptrolle spielt und mit unglaublicher Schönheit und Intelligenz berauscht. Offenbar aber kam es für manchen Zuseher zu unerwartet, dass Assayas vor ihren Augen eine Geistergeschichte enthüllte, und zwar tatsächlich mit – Geistern!

Kristen Stewart, die zuletzt in Assayas’ "Die Wolken von Sils Maria" gemeinsam mit Juliette Binoche brillierte und dafür den französischen Filmpreis César gewann, wird in "Personal Shopper" erneut von einer komplexen Rolle gefordert. Als Maureen Cartwright arbeitet sie – ähnlich wie bereits in "Sils Maria" – für eine anstrengende Diva namens Kyra (in einer kleinen Rolle: die österreichische Schauspielerin Nora von Waldstätten). Maureen fährt quer durch Paris bis hin nach London, um edle, hochpreisige Haute-Couture-Kleidung für ihre kapriziöse Auftraggeberin zusammenzusuchen.

Wenn Maureen nicht ihr Leben zwischen Chanel und Gucci verbringt, geht sie in ein verlassenes Haus, um dort den Geist ihres verstorbenen Zwillingsbruders zu kontaktieren. Türen öffnen sich wie von Geisterhand, Gläser zerschellen am Boden – und zuletzt hat Maureen eine gruselige Geistererscheinung, die offenbar nicht ihr Bruder ist.

Identitätskrise

Ob sie selbst an Geister glaube, wurde eine weißblond gefärbte, sehr reflektiert wirkende Kristen Stewart bei der Pressekonferenz gefragt. Schwer zu sagen, antwortete diese: "Ich glaube an etwas, aber was genau, ist schwer definierbar." Sie selbst empfinde "Personal Shopper" in erster Linie als einen Film über eine enorme Identitätskrise, eine Suche nach dem Selbst.

Apropos "Selbst": Manchmal fühle es sich so an, als hätte man ihre alle Gliedmaßen amputiert, sagt Stewart in Hinblick auf ihr Leben als Superstar: Beispielsweise dann, wenn ein einfacher Besuch im Lebensmittelgeschäft aufgrund ihrer immensen Fangemeinde zu einem unglaublichen logistischen Aufwand gerät – "das wird dann fast surreal."

Regisseur Olivier Assayas selbst nimmt die Buh-Rufe, die "Personal Shopper" entgegenschallten, gelassen: "In Cannes muss man auf alles gefasst sein", so Assayas: "Der Moment der Premiere ist wie eine Geburt."

Cannes: "Auf alles gefasst sein müssen"
Pressefotos Cannes
Eine weitere Cannes-Geburt erlebte der neue Film von Pedro Almodóvar: "Julieta", eine Adaption von drei Kurzgeschichten der Nobelpreisträgerin Alice Munroe, erzählt von einer Mutter, die den Kontakt zu ihrer Tochter verloren hat und stark unter Schuldgefühlen leidet.

"Julieta" ist ein versonnener, stilistisch verspielter Film, der thematisch oft an Hitchcock erinnert. An Almodóvars stärkste Arbeiten kann er aber letztlich nicht anschließen.

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