Calvin und Hobbes: Das Doppelleben des Stofftigers

Calvin und Hobbes Sammelband 3
Eine Biografie über das Leben Bill Wattersons, den "J.D. Salinger des amerikanischen Comics".

Selten hat ein Zitat am Anfang eines Buches so gut gepasst: „Es gibt eine andere Welt, aber sie ist in dieser.“ (Paul Éluard).

Nevin Martell erfasst damit die Quintessenz des Universums von Bill Watterson, dem Schöpfer von „Calvin und Hobbes.“

Calvin und Hobbes: Das Doppelleben des Stofftigers
Calvin und Hobbes Sammelband 3
Calvin, ein Sechsjähriger, der sein Leben damit verbringt, Zuckerbomben herunterzuschlingen, Schneebälle nach Susi Derkins zu werfen und Krieg gegen Monster unter seinem Bett zu führen. Er hat einen Tiger als Begleiter, den er lebendig, die Erwachsenen aber nur als Stoffpuppe sehen. Ihm, Hobbes, stellt er philosophische Fragen: „Was bedeutet Weltanschauung?“

Der Schöpfer dieses bezauberndes Paares, William B. Watterson, wurde 1958 in Washington geboren, studierte Politikwissenschaften, veröffentlichte schon in der Highschool Comics. Nach dem Studium arbeitete er als Cartoonist bei einer Tageszeitung. 1985, nach etlichen Misserfolgen, kam der Durchbruch mit dem Tiger und dem Knaben mit der blonden Stachelfrisur, die einander versicherten: „Das sicherste Anzeichen dafür, dass anderswo im Universum intelligentes Leben existiert, ist, dass noch niemand versucht hat, mit uns Kontakt aufzunehmen.“

Bis 1995 erschienen 3160 Folgen von Calvin und Hobbes in 2300 Zeitungen (darunter im KURIER). Am Silvestertag 1995 verabschiedete Watterson sich, tritt seither selten öffentlich auf und lebt zurückgezogen mit seiner Familie in Ohio.

Wattersons Biograf, der Journalist Nevin Martell, musste feststellen: So groß der Erfolg von Calvin und seinem gestreiften Tiger war – Watterson selbst blieb ein geheimnisvoller Mann, der in seinen raren Interviews ausschließlich über seine Arbeit, aber nie über sein Leben sprach. Ein „J.D. Salinger des amerikanischen Comics“.

Martell gelang es für seine Biografie nicht, Watterson zum Sprechen zu bringen. Obwohl er anbot, das Interview notfalls per Brieftaube zu führen. Der introvertierte Künstler blieb bei seiner Meinung, dass es ausschließlich auf die Kunst ankomme und niemanden die Geschichte des Künstlers dahinter interessiere.

Calvin und Hobbes: Das Doppelleben des Stofftigers
Calvin und Hobbes Sammelband 3
Die Biografie gelang dennoch: Gespräche mit Familie und Weggefährten ergaben das Bild eines scheuen Genies. Er soll ein zurückhaltendes Kind gewesen sein. Er hatte keinen imaginären Freund wie Hobbes, erzählte seine Mutter Kathryn. Was er mit Calvin gemeinsam hatte, war die Liebe zum Rodeln. Im Garten der Wattersons gibt es einen großen Hügel, den Bill und sein Bruder Tom oft hinuntersausten. Calvin und Hobbes verhandeln beim Rodeln das Leben.

Als Kind zeichnete Watterson Snoopy nach. „In der Vorstellung, eines Tages der nächste Charles M. Schulz zu werden“, wie er später dem Wallstreet Journal mitteilte.

Die unterschwellige Melancholie des Kindes, das außer dem imaginären keine Freunde hat, ist nicht die einzige Gemeinsamkeit mit seinem Idol Schulz und dessen depressivem Protagonisten Charlie Brown. Calvin dazu: „Weißt du, Hobbes, an manchen Tagen helfen nicht mal meine Glücksraumschiffunterhosen.“

Calvin und Hobbes sind zum Teil von Wattersons Familie inspiriert. Seiner Frau, seinem Vater und seiner verhaltensauffälligen Katze. Das erfuhr Martell, obwohl Watterson ihm kein Interview gab.

Calvin und Hobbes: Das Doppelleben des Stofftigers
Martell soll sich nicht kränken. Es hat wohl mit dem zu tun, was auch das Wesen von Calvin und Hobbes ausmacht. Es gibt keine Kaffeetassen und keine Stofftiere von Calvin und Hobbes. Merchandising ist für Watterson etwas Abscheuliches. „Die Idee einer Hobbes-Figur ist etwas besonders Widerliches, weil das Faszinierende an Hobbes darin besteht, dass er vielleicht oder vielleicht auch nicht ein echter Tiger ist.“

Möglicherweise möchte Watterson ebendiese Faszination auch für sich selbst beanspruchen.

INFO: Nevin Martell: Auf der Suche nach Calvin und Hobbes. Aus dem Englischen von Sven-Eric Wehmeyer. Carlsen Comics. 303 Seiten. 25,60 Euro.

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