Wie geht es weiter?

Wie geht es weiter?
Der Vorhang ist zu, und (fast) alle Fragen sind offen: Welche Aufgaben nach der Entlassung Hartmanns warten. Martin Kušej winkt ab.

Das kennt man aus dem Konzert: Je lauter der Paukenschlag, desto intensiver wirkt die nachfolgende Stille. Dieses Phänomen kennt man nun auch aus dem Theater: Am Tag eins nach dem Paukenschlag, der Entlassung des Burgtheater-Direktors, ist man mindestens genauso weit von der Lösung der schweren Probleme der Bühne entfernt wie zuvor. Und die sind gewaltig: Neben der aktuellen finanziellen Affäre, die sich auf bis zu 13 Millionen Euro ins Minus auswirken könnte, sind die seit Jahren schwelenden Finanzschwierigkeiten des Hauses die selben wie zuvor.

Trotz Millionensubvention (mehr als 46 Millionen waren es zuletzt) hat das Burgtheater zu wenig Geld, um den Betrieb in bisheriger Form aufrecht zu erhalten; und daran wird sich angesichts der aufgeflogenen Finanztricks schon gar nichts ändern. Dazu ist das Haus jetzt auch künstlerisch führungslos. Und die eskalierte Affäre um Matthias Hartmann und Silvia Stantejsky hinterließ tiefe emotionalen Spuren.

Beruhigung

Im Theater selbst bemüht man sich um Beruhigung, auch verbal. Der kaufmännische Geschäftsführer Thomas Königstorfer, derzeit alleine für die Geschicke des Hauses verantwortlich, betont gegenüber dem ORF: die Entlassung Hartmanns habe „keinen Einfluss“ auf den Spielbetrieb. Dennoch: Wie ein Interims-Intendant (der soll bis 19. März feststehen) jene schwierigen Aufgaben bewältigen soll, die zwei Vollzeitdirektoren nicht lösen konnten, bleibt unklar.

Dazu muss dieser noch in einem zerstrittenen Ensemble vermitteln, den durch Kündigungen und die finanziellen Aussichten verunsicherten Schauspielern eine Zukunftsperspektive vermitteln. Und auch er muss bei der Aufklärung der Malversationen mithelfen, jenen Staub aufzuwirbeln, der nachher weggeputzt werden muss.

Ebenso unklar scheint, wie ein Burgtheaterchef gefunden werden soll, der schon mit der Spielzeit 2015/’16 übernimmt. Das ist, wegen der Vorlauffristen der Produktionen, in Theaterbegriffen fast schon übermorgen. Hartmann war ganze drei Jahre vor seiner ersten Spielzeit zum Chef berufen worden. „Wir brauchen dafür eine Spitzenkraft“, sagt der designierte Aufsichtsratsvorsitzende des Burgtheaters, Christian Strasser. Aber „die sind aber meist vertraglich woanders gebunden. Wir sollten daher flexibel sein: Lieber ein halbes Jahr früher oder später, dafür aber die beste Lösung.“ Der Umbruch hat soeben erst angefangen. Beendet sein wird er noch lange nicht.

Kušej nimmt sich aus dem Spiel

Ein aussichtsreicher Kandidat im Nachfolgespiel hat bereits abgewunken. Martin Kušej zum KURIER: "Ich bin sehr gerne Intendant des Residenztheaters in München. Mein Vertrag hier geht bis zum 31.8.2016, und ich sehe keinen Grund, diese erfolgreiche und aufregende Arbeit vorzeitig zu beenden. Für das Burgtheater und alle seine Mitarbeiter wünsche ich mir sehr, dass es sich in Ruhe und Besonnenheit konsolidieren kann."

Abgesehen von Finanznot, einem zerstrittenen Ensemble und der Frage, wer das Haus leiten wird, steht das Burgtheater auch vor einem weiteren, delikaten Problem: Was passiert mit den geplanten, vertraglich fixierten Hartmann-Inszenierungen? Ob Matthias Hartmann am Burgtheater weiter inszenieren darf, ist derzeit unklar. Aus dem Büro von Kulturminister Josef Ostermayer hieß es zuletzt, Hartmann sei als Direktor der Burg abgesetzt worden, nicht als Regisseur. Andererseits erscheint es unwahrscheinlich, dass der Ex-Direktor, der sein Büro nicht mehr betreten darf, von staatsanwaltlichen Untersuchungen bedroht ist und gegen seine Entlassung prozessieren will, als Regisseur im Haus ein- und ausgeht.

Konkret geht es um zwei Produktionen: „Der falsche Film“ und „Die letzten Tage der Menschheit“. Beide sind pikant.
„Der falsche Film“ sollte schon am 6. April Premiere haben, Hartmann befand sich zuletzt mitten in den Proben, die Arbeit wurde bereits als work in progress in einer „öffentlichen Probe“ gezeigt. Das Heikle daran: Hartmann hat dieses Stück nicht nur inszeniert, sondern auch geschrieben – der Text entstand in Zusammenarbeit mit den Schauspielern.

Die letzten Tage

Mindestens ebenso heikel: „Die letzten Tage der Menschheit“. Die Inszenierung von Karl Kraus’ an sich unspielbarem, legendären Text aus Anlass des Weltkriegs-Gedenkjahres 2014 sollte heuer die schon traditionelle Koproduktion von Burg und Salzburger Festspielen werden. In Salzburg ist sie heuer eindeutig die Prestige-Aufführung im Schauspielprogramm, in der Burg sollte sie im September die neue Spielzeit eröffnen.

Für die Burg wäre das eine mehr als nur unangenehme Situation: Der rausgeschmissene Ex-Direktor eröffnet die erste Saison nach ihm und verbeugt sich bei der Premiere? Kaum vorstellbar.

Das Problem dabei: Aus gültigen Verträgen mit Hartmann und Salzburg auszusteigen, käme die Burg teuer – das ist in finanziellen Notzeiten kaum zu argumentieren. Sowohl im Burgtheater als auch in Salzburg hieß es auf Anfrage: Abwarten. Bei den Festspielen geht man davon aus, dass die Inszenierung stattfinden wird – mit welchem Regisseur auch immer. Im Burgtheater will man den künftigen interimistischen Direktor entscheiden lassen.

Roland Düringers Vater war Garderobier am Burgtheater. Das tut in der Burg-Affäre jetzt nicht viel zur Sache. Aber: Düringer erzählte in einem seiner Programme eine Anekdote aus dem Schmährepertoire der Wirtschaftsstudenten. Es geht darin, und jetzt sind wir bei der Burgtheateraffäre, um Fantasiegeld.

Wir fassen kurz zusammen: Kommt ein Gast in ein Dorfhotel, mietet dort ein Zimmer und gibt dem Hotelbesitzer 100 Euro. Der freut sich, geht ins Gasthaus und begleicht dort mit den 100 Euro Schulden, ist also schuldenfrei. Der Gastwirt tut selbiges beim Getränkelieferant (schuldenfrei!), der Getränkelieferant beim Bauern und der Bauer dann wieder beim Hotelbesitzer (alle schuldenfrei!).

Dann aber kommt der Gast aus dem Zimmer, sagt, dass er nicht bleiben will, und kriegt seine 100 Euro zurück. Nun sind also alle schuldenfrei, obwohl nur letztlich fiktives Geld die Runde machte.

Realität

Auch in der Burgtheater-Affäre ist viel Fantasiegeld im Spiel: Es wurde Geld, das es nicht gab, für Theater ausgegeben, es wurde Geld von Menschen eingezahlt, die bereits tot waren, und so weiter.

Jetzt aber geht es in der Burg um die Realität, und die hat einen Haken: Bevor ein echter, neuer, kompetenter Burgtheaterchef das Haus übernimmt, muss das Theater finanziell auf neue Beine gestellt werden. Das wird wohl nicht ohne echtes, neues Geld gehen. Und das ist derzeit noch Fantasie.

Alles dreht sich um die Burg. Ist ja schließlich das wichtigste Theater im deutschen Sprachraum. Oder doch nicht?
Wer deutsche Medienreaktionen auf die fristlose Entlassung von Matthias Hartman liest, möchte meinen, dass die Wahrnehmung der Causa nördlich der Donau eine andere ist.

Während sämtliche österreichische Zeitungen die Burg am Mittwoch auf dem Cover hatten, widmete die Süddeutsche dem Skandal einen Zweispalter (in dem Falter-Theaterchef Wolfgang Kralicek schrieb: „Tatsächlich steht Hartmann für die Generation Gier“), die Welt eine Kolumne, in der profil-Journalistin Karin Cerny resümierte: „Hartmann gab den Intendanten, der sich niemals selbst in Frage stellt.“

In der Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt Gerhard Stadelmaier vom „Egomanen“ Hartmann, die Münchner Abendzeitung tippt auf Residenz-Theater-Chef Martin Kušej als heißen Kandidaten für die Nachfolge.
Im Tagesspiegel ortet Peter von Becker ein „mitteleuropäisches Theaterbeben“, die „stolze Burg“ könne eine „Titanic des Theaters“ werden.

Die Stuttgarter Zeitung schreibt vom Direktor, dem „Großherrlichkeit, wenn nicht Größenwahn stete Begleiter“ gewesen seien.

Der Schweizer Tagesanzeiger mutmaßt, ob in Zürich alles korrekt gelaufen sei: „Sollte Hartmann nun tatsächlich vor Gericht gehen, wird dort auch seine Zeit in Zürich aufgerollt werden. In den vergangenen Tagen wurde bekannt, dass er bereits von 2006 bis 2009 Geld aus Wien bekommen hatte: als Vorbereitungshonorar und für eigene Inszenierungen, die er aus Zürich ans Burgtheater mitnahm. Das Geld wurde ihm bar ausgezahlt und in Wien von Stantejsky aufbewahrt.“

Und die Neue Zürcher Zeitung schreibt von einem „drastischen Showdown“.

Das Burgtheater ist führungslos – und kaum wurde Burgchef Matthias Hartmann entlassen, dreht sich auch schon das Namenskarussell für seine Nachfolge.

Kein Wunder, es ist Eile geboten: Die Planung der kommenden Saisonen ist akut fertigzustellen, auch die Folgesaisonen haben Vorlaufzeiten. Bis zur nächsten Aufsichtsratssitzung am 19. März will Kulturminister Josef Ostermayer eine interimistische Leitung benennen können, die für die Aufarbeitung der Affäre und das Stellen der "Weichen in Richtung Zukunft" verantwortlich ist.

Als Option kursiert dafür etwa Frank Baumbauer, erfolgreicher ehemaliger Intendant u. a. der Münchner Kammerspiele und Ex-Schauspielchef der Salzburger Festspiele.

Und "unverzüglich" soll die künftige künstlerische Leitung des Hauses ausgeschrieben werden. Was ungünstig ist: Denn die wenigen Kandidaten, die für das Burgtheater infrage kommen, sind zu einem guten Teil in langfristigen Verträgen gebunden. Ein Name liegt dabei auf der Hand, auch wenn die Vorgeschichte alles andere als vielversprechend war:

Der Österreicher Martin Kušej galt als schärfster Konkurrent Hartmanns bei dessen Ernennung 2006. Doch mit ihm – für viele Favorit, nicht zuletzt wegen seiner Herkunft – wurde damals von offizieller Seite nicht einmal gesprochen, woraufhin er sich empörte und nach München ging. Am dortigen Schauspielhaus ist er bis 2016 vertraglich gebunden.

Salzburg-Wien

Ebenfalls bis 2016 ist Regisseur Sven-Eric Bechtolf gebunden: Der bisherige Schauspielchef der Salzburger Festspiele leitet diese nun interimistisch bis zur Übernahme durch Markus Hinterhäuser. Ebenfalls ehemaliger Schauspielchef in Salzburg ist Thomas Oberender, er ist seit 2012 Chef der Berliner Festspiele und dort noch eine Weile gebunden.

Denkbar ist auch, dass der Nachfolger Hartmanns Hartmann heißt, Sebastian nämlich, der im Streit aus Leipzig schied und im Burgtheater als Regisseur auch so manchen Misserfolg einstreifte.

Vielleicht ist nun aber auch erstmals eine Direktorin für das Burgtheater denkbar. Barbara Frey folgte Hartmann am Schauspielhaus Zürich nach, ihr Vertrag dort wurde bis 2016 verlängert. Karin Beier, in Nachbesetzungsfragen oft hoch gehandelt, hat erst 2013 am Schauspielhaus Hamburg die Leitung übernommen.

Auch auf bewährte Intendanten könnte ein Auge geworfen werden: Luc Bondy etwa, Ex-Chef der Wiener Festwochen, oder auch Claus Peymann, der noch bis 2016 am Berliner Ensemble ist, aber eigentlich keinen Job mehr annehmen wollte. Und keine Nachbesetzung in der Burg kommt ohne den Namen Klaus Maria Brandauer aus. Dieser hatte einen derartigen Schritte mehrfach ausgeschlossen.

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