Burgtheater: "Radetzkymarsch" mit Luftballons

Daniel Jesch als "Major Zoglauer"
Regisseur Johan Simons versucht sich episch an Joseph Roths "Radetzkymarsch".

Hast du etwas Zeit für mich,dann singe ich ein Lied für dich, von 99 Luftballons, auf ihrem Weg zum Horizont ... (Nena)

Was das mit dem Jahrhundertroman (1932) "Radetzkymarsch" von Joseph Roth zu tun hat? Viel, sehr viel sogar. Denn im Burgtheater singt uns nun auch der niederländische Regisseur Johan Simons ein (langes) Lied. Ein Lied von Traurigkeit, Verlorenheit und Untergang. Eine von Koen Tachelet klug bearbeitete Elegie auf die Habsburgermonarchie und ihr Personal, eine melancholisch-schwermütige Ballade über Werte und Zeiten, über eine Welt von Gestern, die dank vieler Ballons stets in Schwebe gehalten wird.

Reduktion

Denn anders als etwa Michael Kehlmann oder Axel Corti in ihren prachtvollen Verfilmungen will Simons auf der leeren, schwarzen, nur mit einer Heurigenbank versehenen Bühne (Katrin Brack) kein Endzeit-Drama erzählen. Simons will Roth lapidar auf seine Essenz reduzieren; neun Burgschauspieler und neun Schauspielschüler haben in altertümlicher Unterwäsche (Kostüme: Greta Goiris) alle Rollen zu bewältigen. Requisiten gibt es keine. Wer gerade eine Figur verkörpert, schlüpft schnell in Waffenrock oder Strumpf. Auch der titelgebende Radetzkymarsch von Johann Strauß Vater erklingt zugunsten einer wabernden Geräuschkulisse (Warre Simons) nie.

Dafür aber gibt es viele Ballons in allen möglichen Größen. Die fliegen auf der Bühne oder im Zuschauerraum umher, können vom Publikum hin- und her geschubst werden. Ein Angebot, das zumindest bei der Premiere dankbar angenommen wurde. Denn irgendwie muss man ja doch für ein bisschen Action sorgen.

Dieser verweigert sich Simons nämlich weitgehend. Seine Joseph-Roth-Adaption (Simons ist ein leidenschaftlicher Verehrer und Kenner des Autors) gleicht eher einer literarischen Andachtsübung. Wie auch Leutnant Carl Joseph von Trotta, der Enkel jenes "Helden von Solferino", der einst dem Kaiser das Leben gerettet hat, keinen Halt im Leben findet, bleibt auch Simons wage, ja seltsam unentschlossen.

Was will uns der Regisseur erzählen? Welche Geschichte – und Theater lebt eigentlich von Geschichten – sollen wir mitnehmen? Diese Fragen werden nur in einzelnen, poetischen und daher starken Szenen beantwortet.

Intensität

Vor allem dann, wenn Andrea Wenzl in welcher Frauenrolle auch immer (sie spielt sie alle) auf der Bühne steht. Wenzl gibt das Urbild einer Lulu mit unglaublicher Intensität, öffnet immer wieder gekonnt die Büchse der Pandora, steigt auch ins Publikum und auf Männerschöße.

Eine Antwort, worum es im "Radetzkymarsch" geht, liefert auch Falk Rockstrohs Bezirkshauptmann Baron von Trotta. Rockstroh zeichnet einen Mann, der allmählich aus der Zeit fällt und sich deshalb immer mehr an Konventionen festhält. Er macht den Prozess des Untergangs sichtbar. Wie auch Johann Adam Oest als senil werdender Kaiser Franz-Joseph, der die finale Kriegserklärung "An meine Völker" in Unterhosen proklamiert.

Ruhe

Schwerer hat es da schon Philipp Hauß als Carl Joseph von Trotta. Wie die Inszenierung von Simons will sich auch Hauß nicht festlegen, er hält nicht nur die Ballons, sondern auch seinen Charakter in der Schwebe. Klarer dürfen Daniel Jesch, Martin Vischer, Merlin Sandmeyer, Christoph Radakovits und Steven Scharf ihre diversen Figuren anlegen. Sinnlose Duelle, Selbstmorde oder Alkoholexzesse werden da mit ruhiger Hand abgespult. Das belebendste Element bleiben aber immer die Ballone.

Irgendwann sind die Roth-Exerzitien dann zu Ende, will Gott selbst die Verantwortung für die Welt nicht mehr tragen. Und man hat viele schöne, kluge Sätze gehört, über die sich trefflich nachdenken lässt. Doch was hat man eigentlich gesehen? Viele bunte Luftballons auf ihrem langem Weg zum Horizont. Auch schon etwas!

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