Burgtheater: Goethe und die Flüchtlingskrise

Maria Happel und Martin Schwab
Das Epos "Hermann und Dorothea" von Goethe als szenische Lesung im Burgtheater.

Die Burg wurde am Wochenende in der Tat gestürmt: Tausende schoben sich durch die Gänge, Foyers und Katakomben des Theaters, das die Tore erstmals seit Menschengedenken weit geöffnet und tagsüber an rund 15 Schauplätzen mit einem bunten Programm aufgewartet hatte. Am Samstagabend hingegen war davon nicht viel zu spüren: Bei der Premiere von „Hermann und Dorothea“, außertourlich ins Programm aufgenommen, blieb etwa die Hälfte der Sitzplätze leer.

Ein Epos mit neun Gesängen, 1796/’97 von Johann Wolfgang Goethe in Homers Versform, dem Hexameter, gedichtet: Das schien wenig prickelnd. Leider. Denn Maria Happel, demnächst Kammerschauspielerin, und Martin Schwab sorgten in der Einrichtung von Alfred Kirchner für zwei Sternstunden.

Warum Direktorin Karin Bergmann die rührende Liebesgeschichte, in der ein tugendhaftes wie bildschönes Mädchen zur Magd erniedrigt wird, um dann zur Ehefrau erhöht zu werden, in den Spielplan aufgenommen hat, ist schnell erklärt: Der Krieg (zu Goethes Zeiten die Französische Revolution) lässt die Menschen ins Rheinland fliehen. Sie sind auf Hilfe angewiesen – und sorgen als Bild des Jammers für Gesprächsstoff. Manche der Einheimischen haben, wiewohl vermögend, grad kein Geld in der Tasche: Das kennt man ja.

Hermann aber verteilt unter den Schutzbefohlenen all die Sachen, die ihm seine Mutter gab. Und dabei ver-schaut er sich in ein „Mädchen des Auslands“, eben Dorothea, deren Name „Gottesgeschenk“ bedeutet. Der Vater jedoch bildet sich für den Sohn eine Tochter des Kaufmanns ein, die eine gute Partie sei. Die gütige Mutter – der schmückenden Beiwörter ist es mitunter zu viel – verhindert die Tragödie: Der Pfarrer und der Apotheker stellen Nachforschungen über das Mädchen ein, das sich als „trefflich“ herausstellt.

Happel und Schwab arbeiten mit großem Geschick gegen den Hexameter an, sie sind ernst, wenn die Flüchtlingskrise es erfordert, und als Geschichtenerzähler sehr oft heiter. Das Publikum dankte mit Bravos und Standing Ovations. Keine Frage: Genau so muss Goethe heute. Und man hört jede Menge Zitate fürs Stammbuch.

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