Bruno Dumont-Interview: "Ich bin ziemlich radikal"
"Ich werde beim Filmemachen immer verrückter, und ich glaube, das sieht man meinen Arbeiten langsam an", sagt Bruno Dumont im KURIER-Gespräch. Konkret meint er damit seine jüngste Satire "Die feine Gesellschaft" (Filmstart: Freitag), in der es von dementen Adeligen und kannibalistischen Fischern nur so wimmelt.
Seinen Sinn für verqueren Humor bewies der mehrfache Cannes-Preisträger bereits mit seiner skurrilen Krimi-Mini-Serie "P’tit Quinquin". Dass der Franzose allerdings überhaupt Humor besaß, kam insofern überraschend, als der Ex-Professor der Philosophie für seine oft sehr expliziten Sozialdramen wie "Das Leben Jesu" oder "L’Humanité" berühmt-berüchtigt worden war.
In "Die feine Gesellschaft" geht Dumont vollends in die Groteske und erzählt von einer seltsamen Mordserie in Nordfrankreich von 1910, wo eine vornehme Adelsfamilie Urlaub macht.
Die reiche Familie – Frankreichs Star-Riege Juliette Binoche, Fabrice Luchino und Valeria Bruni-Tedeschi – besteht aus grenzdebilen Mitgliedern; die verarmte Bevölkerung setzt sich aus zum Schwachsinn neigenden Kannibalen zusammen.
Dumonts Humor ist schrill und schräg – ganz im Gegensatz zu seinem unauffällig bescheidenen Auftreten.
KURIER: Sie erzählen eine extreme Sittenkomödie. Was interessiert Sie an dieser radikalen Form?
Bruno Dumont:Ich bin einfach ziemlich radikal. Wenn ich eine Tragödie mache, ist es eine radikale Tragödie, und wenn ich eine Komödie mache, ist sie ebenfalls extrem. Ich glaube, das hat etwas mit meiner Herkunft zu tun: Ich stamme aus Französisch-Flandern – und wenn man sich beispielsweise die flämische Malerei anschaut, dann sieht man, dass sie mit Schatten und Kontrasten gearbeitet hat. Maler wie Bruegel waren immer schon an Gegensätzen und Übertreibungen interessiert. Ich bin ein Kind dieser Tradition und habe auch einen extremen Blick auf die Figuren und ihre Realitäten. Aber so sehr ich mich auch über sie lustig mache – ich liebe sie. Ihre Lächerlichkeit ist auch von Schönheit, und das soll man in grandiosen Bildern sehen können.
Was hat Sie an 1910 – also der Jahrhundertwende – gereizt?
Welche Anweisungen gaben Sie den Schauspielern?
Es war oft ein ziemlicher Kampf, weil Schauspieler gerne wissen wollen, wo sie sich mit ihrer Rolle hinbewegen. Beispielsweise mit Juliette Binoche: Sie wollte ihrer Figur eine Art von Psychologie geben. Doch ich sagte, das sei egal, und habe sie immer weiter getrieben, weil ich wollte, dass sie völlig verrückt und schräg agiert. Aber gerade in solchen Auseinandersetzungen entwickeln sich dann die interessantesten Dinge.
Juliette Binoche ist eigentlich für ihre Seriosität als dramatische Schauspielerin bekannt, nicht als Ulknudel mit Hang zum Slapstick. Doch in Bruno Dumonts "Die feine Gesellschaft" spielt sie eine durchgeknallte Adelige, komplett "over the top": schrill, hysterisch, unsubtil.
"Ich habe geübt, möglichst hohe Töne von mir zu geben und immer sehr unnatürlich mit den Händen zu gestikulieren", erzählt Binoche gut gelaunt über ihre Rollenvorbereitung: "Den Rest habe ich mir von Leuten zusammengeklaut, die ich kenne."
Nein, Bruno Dumont habe ihr natürlich nicht genau erklärt, wie er sie in ihrer Rolle haben wolle: "Ich habe einfach mein Volumen wahlweise lauter oder leiser gestellt", grinst Binoche: "Aber ich durfte die anderen vor mir hertreiben." Die Slapstick-Szenen, in denen sie Schläge auf den Kopf bekam oder hinstürzen musste, mochte Juliette Binoche besonders gern: "Ich liebe Slapstick – jede Form, in der man den Körper herausfordert, finde ich gut."
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