Brüder im Geiste: Crumb zeichnet Kafka

Robert Crumb, 70, Wegbereiter der Underground-Comics
Eine finstere Angelegenheit: Robert Crumb hat sich Franz Kafka vorgenommen.

Kafkas Themen wie der Selbsthass, seine Beziehung zu Frauen, die Schuldfrage sind auch meine. Er ist mein Bruder im Geiste.“

Das schreibt Robert Crumb über Franz Kafka. Und so ist es wenig überraschend, dass sich der amerikanische Zeichner, Spezialist für Neurosen und seelische Untiefen, Kafka vorgenommen hat.

Gemeinsam mit dem Hörspielautor und Szenaristen Zane Mairowitz hat er anschaulich all das zusammengetragen, was man über Franz Kafka wissen sollte: von der Kindheit bis zum posthumen Kafka-Kult; über die Konflikte, die der Schriftsteller mit sich selbst und anderen auszutragen hatte. Immer wieder geht es um Kafkas Zerrissenheit vor dem Hintergrund seiner deutsch-tschechischen Nationalität und der jüdischen Kultur („Was habe ich mit Juden gemein? Ich habe kaum etwas mit mir gemein!“). Kafkas Leben wird ergänzt durch Briefe und Auszüge aus seinen Romanen und Kurzgeschichten.

Bilder: Crumb zeichnet Kafka

Brüder im Geiste: Crumb zeichnet Kafka

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Bitte nicht!

Auch Gregor Samsas bestürzende Verwandlung wird gezeichnet, obwohl Kafka selbst das ausdrücklich nicht wollte. Als sein Verleger in der ersten Ausgabe der „Verwandlung“ ein Insekt auf dem Umschlag abbilden wollte, schrieb Kafka an ihn: „Das nicht, bitte das nicht!“ Crumbs Rechtfertigung: Immerhin zitiere er Kafkas Bedenken. Und es gelingt ihm, den verwandelten Samsa als Insekt berührend, verletzlich, und beinahe menschlich zu zeigen.

Selbstzweifel, Ängste, der überlebensgroße Vater und Kafkas verkorkste Frauenbeziehungen sind Thema (Seine „Briefe an Milena“: „Schmutzig bin ich, Milena, endlos schmutzig ...“).

Das finstere, antisemitische Prag, omnipräsent in Kafkas Schriften, wird ebenso besprochen wie die Kafka-Rezeption und Verwertung: Wunderbar etwa die Zeichnung, die den verzweifelten Max Brod zeigt, wie er versucht, Ordnung in den Wust der von seinem Freund Kafka hinterlassenen Manuskripte zu bringen, anstatt, wie von Kafka angeordnet, alles zu verbrennen.

Beziehungsgeschichte

Kafka und Comic, das ist eine lange Beziehungsgeschichte. Es gibt sogar Dissertationen zu diesem Thema (etwa von Christian Norbert von der Freien Universität Berlin). Peter Kuper hat sich schon vor Jahren Kafkas „Verwandlung“, Zane Mairowitz das „Schloss“ und den „Prozess“ vorgenommen.

Auch die Zusammenarbeit von Crumb und Mairowitz ist nicht neu. Erstmals erschien ihr Kafka-Erklärstück vor zwanzig Jahren, die Überarbeitung hat dem Buch gut getan. Denn ein Schwerpunkt liegt auf der Kafka-Rezeption und Vermarktung, die sich im freien Prag der vergangenen 25 Jahre seit der Westöffnung täglich verschärft: „Bevor Kafka zum Adjektiv wurde“, schreiben die Autoren und machen sich über die inflationäre und meist falsche Verwendung des Wortes „kafkaesk“ lustig, „war Franz Kafka ein Jude aus Prag, der (...) das Schicksal von Ghettobewohnern und wenigen Flüchtlingen teilte.“

Sowohl die Tatsache, dass Kafka Jude war, als auch, dass er auf Deutsch schrieb, „machte ihn bei den Tschechen nicht gerade beliebt“.

In den 1990er-Jahren jedoch hat das touristische Prag Kafkas Genie entdeckt – „was nicht heißt, dass seine Bücher auch gelesen werden“, beckmessern die Autoren. An jeder Straßenecke gibt es Kafka-T-Shirts zu kaufen, man kann auf Kafka-Touren gehen („Mittagessen mit Kafka“). Und früher oder später wird es wohl auch die Prager Kafka-Kugel geben, ätzen Crumb und Mairowitz. Besonders skurril ist die Kafka-Website, die erklärt: „Am 3. Juni ist Kafkas Todestag, und Fans strömen zu seinem Grab, um diesen Tag zu begehen.“

„Fans?“, fragen Crumb und Mairowitz lakonisch.

Die Amateur-Kafkalogie jedenfalls ist beliebter Steh-Party-Tratsch geworden, ebenso wie das Zitieren der ersten Sätze aus der „Verwandlung“ („Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte...“) und dem „Prozess“ („Jemand musste Josef K. verleumdet haben...“) zu einem Journalisten-Sport geworden ist.

Skandal

Beinahe so ausgeprägt wie die Kafkalogie ist die „Crumbologie“. Hat doch der unter Comic-Adepten geradezu mythisch verehrte Robert Crumb nach wie vor großes Skandal-Potenzial. Robert Crumb schuf mit seinen subversiven Parodien in den 1960ern die ersten „x-rated“ Comics. In seinen bekenntnishaften Kurzgeschichten beschreibt er Obsessionen und Perversionen, seine eigenen ebenso wie die Amerikas. Sein „Crumberland“ ist eine gezeichnete Therapie, die, sexuell wie politisch, auf seine Landsleute gelinde gesagt anstößig wirkt: Eine mit gleich mehreren Frauen kopulierende Katze („Fritz the Cat“) hat vor ihm noch niemand gezeichnet.

Lust und Schmerz

Seit 50 Jahren betreibt Crumb in seinen Geschichten besessene Innenschau. Der Legendenbildung zum Trotz sitzt der Zeichner am liebsten mit seiner Frau zu Hause und legt Schellack-Platten auf. Terry Zwigoff drehte 1994 einen intimen Dokumentarfilm über Crumb, in dem auch die wiederholt gegen ihn geäußerten Vorwürfe des Sexismus debattiert werden. Crumbs Bücher sind zweifellos explizit. Ein Kapitel im Buch „Mein Ärger mit den Frauen“ heißt „Man kann sie nicht alle haben.“ Inhalt: Frauen und ihre Hinterteile und Crumbs Freude, Lust und Schmerz mit ihnen.

Doch viel mehr als um Crumbs Probleme mit Frauen geht es in seinen Erzählungen um seine Probleme mit sich selbst. Aus „Mein Ärger mit den Frauen“: „Im Grunde will die Welt, dass man, wenn man ein minderwertiger Typ ist, ein Eckchen aufsucht und stirbt ...“. Und kein TamTam macht. Aber schon im nächsten Bild, auf dem er sich als „verbitterter, verkrampfter Typ“ bezeichnet, ist zu lesen: „Glücklicherweise ist es mir, indem ich standhaft an meiner Kunst arbeite und zu Ruhm als ,irrer Zeichner‘ gelangte, gelungen, dann und wann ein paar Ego-Triumphe einzufahren.“

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