Springsteen: "Mein Vater konnte mich nicht leiden"

"Mein Vater liebte mich, konnte mich aber nicht leiden“: Bruce Springsteen stellte in London seine Autobiografie vor
Der Rockstar Bruce Springsteen spricht über seine Depressionen, seinen Vater und die Suche nach Liebe.

Mitte der 60er-Jahre, Freehold, New Jersey in den USA. Bruce Frederick Joseph Springsteen sitzt im Haus seiner Eltern und träumt vor sich hin: Mick Jagger und seine Rolling Stones sollen ein Konzert in der Asbury Park Convention Hall spielen. Aber Jagger ist krank geworden und man holt ihn, Bruce, als Ersatz.

Heute, als einer der größten Stars der Rock-Szene, muss Springsteen über diese Fantasie von damals lachen: "Natürlich würden sie in meiner Vorstellung mich holen – den pickeligen, unsicheren Teenager. Und natürlich würde das Publikum wegen mir verrückt spielen und gar nicht so versessen darauf sein, Mick zurückzubekommen. So habe ich mit 15 davon geträumt, ein berühmter Musiker zu sein. Ob ich das schaffen kann, stand auf einem anderen Blatt."

Wie er das geschafft hat, beschreibt der 67-Jährige in der fast 700 Seiten starken Autobiografie "Born To Run". Die ist soeben zusammen mit dem Album "Chapter And Verse" erschienen, das mit fünf nie veröffentlichten Songs aus Springsteens Anfangstagen und Hits wie "The River" und "Born To Run" auch musikalisch die wichtigsten Stationen seiner Karriere nachzeichnet.

Schonungslos

Im Buch, das unterhaltsam, berührend und im Englischen auch sprachlich höchst ansprechend geschrieben ist, gibt der Musiker tiefe Einblicke in sein Leben. Schonungslos berichtet The Boss, wie die Fans ihn nennen, über das schwierige Verhältnis zu seinem Vater und die Depressionen, mit denen er zeitlebens immer wieder zu kämpfen hatte.

"Es war nicht meine Intention, mit dem Schreiben das alles aufzuarbeiten und das Buch wie eine Therapie zu benützen", erklärte Springsteen, als er "Born To Run" bei einer Pressekonferenz in London vorstellte. "Aber wenn man so etwas schreibt, gibt es ein blindes Einverständnis mit dem Leser, dass man offen über sein Leben spricht. Es gab eine lange Geschichte von Depressionen in meiner Familie – Cousins, Tanten, Onkel hatten das. Und speziell mein Vater. Ich habe das übernommen, hatte es aber nie so arg wie mein Vater. Trotzdem waren Depressionen mein Begleiter seit ich sehr, sehr jung war. Also war es nur natürlich, darüber zu schreiben."

Springsteen hatte nie vor, eine Autobiografie zu schreiben. Es ergab sich. Nach dem Auftritt bei der Superbowl 2009 schrieb er für seine Website einen Essay über diese Erfahrung und fand Gefallen an der Ausdrucksform, die er im Schreiben fand. Er machte weiter – nur so aus Spaß: "Erst dachte ich, das ist für meine Kinder für später. Aber irgendwann hatte ich so viel, dass klar war, das wird ein Buch. Und wenn ich es nicht jetzt schreibe, habe ich vieles wieder vergessen."

Dass die Beziehung zum Vater viel Platz im Buch einnehmen würde, sagt Springsteen, wusste er gleich. "Er war eine essenzielle, formende Figur in meinem Leben. Denn er liebte mich, konnte mich aber nicht leiden. Und ich, der ich keine einzige Woche in einem richtigen Job gearbeitet hatte, nahm seine Arbeitskleidung und so vieles von seiner Identität als Basis für das, was ich auf der Bühne kreierte. Es heißt, dass wir die nachahmen, deren Liebe wir wollen, aber nicht bekommen. Für mich stimmt das."

Balance

Auch dabei, sagt er, ging es nicht um eine Art Therapie sondern um die Chance, mit so einem Buch ins Detail zu gehen: "Ich wollte damit die komplizierten Beziehungen deutlich machen, über die ich auch in so vielen meiner Songs geschrieben habe, die ich aber in drei Minuten nie so komplex porträtieren konnte, wie sie waren. Ich wollte meinen Vater – und meine Mutter – in all ihren Facetten zeigen und so die Balance wiederherstellen."

Springsteen machte auch klar, dass die bis zu vier Stunden langen Auftritte, für die der Amerikaner berühmt ist, seine Rettung waren, wenn er depressiv war. "Nach vier Stunden bist du einfach erschöpft, da ist keine Zeit für Depressionen. Wenn es arg war, war die Erschöpfung mein bester Freund. Und die Bühne ist der Platz, wo ich meiner Existenz Wert geben kann. Das ist das, was ich kann, ich habe keine anderen Fähigkeiten. Wenn ich von der Bühne komme, habe ich so ein wunderbares Gefühl der Zentriertheit. Dann ist kein Platz mehr für all diese Fragen nach dem Sinn und die Selbstzweifel, die mit Depressionen einhergehen."

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