"American Psycho" ist zurück: Die Abgründe von Beverly Hills

Es ist nicht ganz klar, in welcher Beziehung der Ich-Erzähler namens Bret Ellis zum Autor Bret Easton Ellis (im Bild) steht
Nach 13 Jahren hat Bret Easton Ellis einen neuen Roman veröffentlicht. Er erzählt von Sex, Drogen und grausamen Morden. Und von großer Einsamkeit.

Sie sind blond und braun gebrannt, tragen ostereierfarbene Polos von Ralph Lauren, Wayfarer-Brillen von Ray Ban und cruisen mit den Porsches und Mercedes ihrer Väter über den Mulholland Drive. Die Wochenenden verbringen sie mit Partys und Koks an den Swimmingpools der riesigen Villen ihrer Eltern, die entweder abwesend, betrunken oder damit beschäftigt sind, die Freunde ihrer Kinder anzubraten. Die einzigen, die hier ernsthaft arbeiten, sind die nicaraguanischen Hausmädchen.

Bret Easton Ellis zeichnet in „The Shards“ ein finsteres Tableau wohlstandsverwahrloster Jugendlicher im Los Angeles der frühen 1980er, durch das sich bald eine blutige Schneise ziehen wird. Ein Serienkiller namens „Trawler“ macht auf sich aufmerksam. Erst verschwinden Haustiere, dann Menschen. Der Zusammenhang, der sich herausstellen wird, ist so grausig, wie man es vom „American Psycho“-Autor erwartet. Im Jahrbuch der schicken Buckley School, die im Zentrum von „The Shards“ steht, werden am Ende jedenfalls mehrere Seiten jenen Schülern gewidmet, die am Anfang des Schuljahres noch da waren. In Memoriam.

"American Psycho" ist zurück: Die Abgründe von Beverly Hills

Bret Easton Ellis, Highschooljahrbuch 1981

„The Shards“ heißt der Roman auch auf Deutsch, „Scherben“. Womöglich die Scherben der Jugend, die Ich-Erzähler Bret Jahrzehnte nicht einzusammeln wagte. Vor zwanzig Jahren hatte er noch gedacht, er hätte „das Zeug, zu enthüllen, was mir und einigen Freunden zu Beginn unseres Abschlussjahres 1981 auf der Buckley School widerfahren war.“ Es wurde ein lebensbegleitendes Trauma daraus. Eine Begegnung an einer Straßenkreuzung mit einer ehemaligen Mitschülerin bringt die schrecklichen Erinnerungen zurück.

Ein herzeigbares Leben

Im letzten Highschooljahr ist Bret zunächst damit beschäftigt, ein herzeigbares Leben vorzuspielen. Gut aussehen, die hübscheste Freundin haben, mit den beliebtesten Burschen befreundet sein. Dass Bret ihnen beim Duschen auf den Hintern schaut, behält er für sich. Auch, dass er sich nach der Schule mit einem ständig bekifften Kameraden zum Sex trifft und die Erinnerungen daran für den Plicht-Sex mit Freundin Debbie aufbewahrt. Wir sind im Jahr 1981, schwul sein ist auch bei mondänen Hollywood-Kids noch tabu. Zwischendurch schreibt er an seinem ersten Roman „Unter Null“ (tatsächlich der erste Roman von Bret Easton Ellis), seine schriftstellerischen Inspirationsquellen sind Stephen King und – Joan Didion.

Die seltsame Beschaulichkeit der Reichenkinderwelt verfinstert sich. Eine Mordserie erschüttert die Gegend, gleichzeitig taucht ein Neuer in der Klasse auf: Robert Mallory sieht gut aus, ist charismatisch und bald fixer Bestandteil der Schönen und Reichen in Brets Freundeskreis. Während er alle um den Finger wickelt, bringt Bret jede Horrorgeschichte, die er hört, mit dem Neuen in Verbindung. Zugleich ist er fasziniert von ihm. Seine Besessenheit wächst parallel mit jener mit den Serienkiller. Was tatsächlich merkwürdige Begebenheit und was Brets Einbildung ist, lässt sich bald nicht mehr unterscheiden.

"American Psycho" ist zurück: Die Abgründe von Beverly Hills

Bret Easton Ellis:
„The Shards“.
Übersetzt von Stephan Kleiner. Kiepenheuer & Witsch.
736 Seiten. 29,50 Euro


 

Man wird durch die mehr als 700 Seiten dieses Romans getrieben. Bret Easton Ellis beherrscht sein Handwerk (auch wenn die eine oder andere Beschreibung männlicher Sexyness redundant ist: Perfekt sind jedenfalls lange Wimpern und klassische Adlernase.) Die Cliffhanger sind durchschaubar, aber trotzdem gut: Einmal erkennt der Erzähler „zu spät“, dass er dem „tatsächlichen Drehbuch zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt hatte“, an anderer Stelle deutet „nichts darauf hin, was uns später in jenem Herbst zustoßen würde, aber im Nachhinein betrachtet, gab es überall Hinweise.“ Klassischer Pageturner.

Tatort Zierfischteich

Doch anders als schlichte Horror-Storys hat „The Shards“ eine merkwürdige Tiefe. Tatorte sind wie Gemälde beschrieben – was man mit ausgenommenen Zierfischen alles anstellen kann! Und dann ist da eine Melancholie, die sich schon in der Widmung abzeichnet. Geschrieben ist das Buch nämlich „für niemanden“. Der Erzähler, der durch ständige Selbstverleugnung vorgibt, ein perfektes Mitglied der Erfolgreichen-Clique zu sein, ist in Wahrheit ziemlich allein. So allein, dass nicht ganz klar ist, in welcher Beziehung er zum geliebten, gehassten, gefürchteten Robert steht. Gibt es ihn überhaupt? Klar ist natürlich auch nicht, in welcher Beziehung der Ich-Erzähler namens Bret Ellis zum Autor Bret Easton Ellis steht. Der Gedanke, dass Letzterer Protagonist seines Romans ist, liegt nahe. Man wünscht es ihm aber nicht. Abzüglich Sex und Gewalt ist dieses Buch wie ein Song der Beach Boys. Nur vordergründig sind hier alle braun gebrannt und froh. Dahinter lauern Abgründe.