Blümel: "ORF muss sich in vielem weiterentwickeln"

Gernot Blümel, Bundesminister für Kunst, Kultur, EU und Medien
Der Kanzleramtsminister für EU, Kultur und Medien über Oper, Fernsehen und seine Diplomarbeit zur christlichen Soziallehre.

KURIER: Was lernt man aus der christlichen Soziallehre für die Politik?

Gernot Blümel: Im Gegensatz zu den anderen großen Ideologien – Sozialismus, Liberalismus – hat die Person eine Doppelnatur, sie hat eine individuale und eine soziale Natur. Der Mensch hat Würde, weil er ein Individuum ist. Und um wirklich Mensch sein zu können, braucht er das Zugehen auf die Anderen. Daraus entwickelt sich der Solidaritätsgedanke, Stichwort Mindestsicherung, Hilfe zur Selbsthilfe et cetera.

Vieles, das man in FPÖ-nahen Zeitungen und in Onlinepostings lesen musste, hat Flüchtlingen jede Würde abgesprochen. Wie wehrt man sich als Christ gegen diese Tendenzen?

Blümel: "ORF muss sich in vielem weiterentwickeln"
Gernot Blümel, Bundesminister für Kunst, Kultur, Verfassung und Medien, Interview im Bundeskanzleramt

Indem man mit gutem Vorbild vorangeht und differenzierte Betrachtungsweisen auf den Tisch legt. Das heißt aber nicht, dass man Probleme, die da sind, nicht ansprechen darf. Wenn wir uns 2015 ansehen, als ein Polizist an der Grenze stand und hunderte Flüchtlinge auf ihn zukamen – da schlug Masse den Rechtsstaat. Das ist die Selbstauflösung einer Gesellschaft. Es gibt keine moralische Pflicht zur Selbstaufgabe einer Gesellschaft. Man hat die Verpflichtung als Politiker, den liberalen Rechtsstaat aufrecht zu erhalten.

Vertreter des Koalitionspartners bezeichneten Flüchtlinge als "Erdmenschen".

Von mir hören Sie so etwas sicher nicht. Es hat viele Bedenken gegeben, auch innerhalb unserer Partei, mit Grundsätzen wie der proeuropäischen Grundhaltung. Wir haben Europa in unserer DNA. Aber in den Koalitionsverhandlungen ist extrem schnell klar gestellt worden, dass das eine Selbstverständlichkeit ist.

Das wird nicht reichen. Sind die Visegrad-Staaten wirklich unsere Verbündeten – oder die Deutschen und die Franzosen?

Es sind in der Europäischen Union alle unsere Verbündeten. Ich kenne niemanden, der die EU ernsthaft in Frage stellen möchte. Das heißt ja nicht, dass ein so großes Konstrukt frei von Problemen, Widersprüchen, Herausforderungen ist. Die Frage ist: In welche Richtung wollen wir die EU weiterentwickeln?

Die Vereinigten Staaten von Europa sind kein Ziel?

Natürlich nicht. Die Nationalstaaten sollen erhalten bleiben. Die Frage ist: In welchen Bereichen sollen die Kompetenzen der EU vertieft werden? Und in welchen sollte sich die EU zurücknehmen?

Die Frage nach einem EU–Finanzminister wird sich stellen.

Ich bin schon froh, wenn wir den nächsten Finanzrahmen hinbekommen. Das wird eine echte Herausforderung, vor allem nach dem Brexit, womit uns ein gewaltiger Nettozahler wegfällt. Man muss sich fragen, was die verbleibenden Nettozahler stemmen können.

Nur zur Klarstellung: Der österreichische EU-Botschafter in Brüssel ist Ihnen unterstellt und nicht Karin Kneissl?

Mein Weisungsrecht, das im Einvernehmen mit dem Außenministerium konstituiert ist, geht an die ständige Vertretung. Die Weisungen gehen vom Bundeskanzleramt aus, im Einvernehmen mit dem Außenministerium. Vorher war es umgekehrt.

Blümel: "ORF muss sich in vielem weiterentwickeln"
Gernot Blümel, Bundesminister für Kunst, Kultur, Verfassung und Medien, Interview im Bundeskanzleramt

Große Themen, große Budgets, große Fragen – haben Sie da überhaupt Zeit für die Kultur?

Jedenfalls. Ich erachte diesen Bereich als das größte Privileg. Schon wenige Tage nach meiner Angelobung habe ich den ersten Kulturtermin absolvieren dürfen, ich war in der Oper, im Leopold Museum, dann folgt das Neujahrskonzert. Es gibt wenige Bereiche, wo Österreich Weltspitze ist. Kunst und Kultur ist einer davon.

Sind Sie als junger Mann wirklich so klassisch hochkulturell gestimmt? Wo gehen Sie hin, wenn Sie privat unterwegs sind?

Wenn Sie die Kulturinstitutionen meinen, dann gern in die Oper. Und man ist Eigentümervertreter, da hat man als Aufgabe, präsent zu sein.

Sind das "Wohlfühltermine"?

Danke für die Fangfrage! So würde ich das nicht empfinden. Es ist ein gewichtiger Teil meines Aufgabenportfolios. Die Künstlerinnen und Künstler haben es mehr als verdient, dass ihre Arbeit wertgeschätzt wird. Ich will Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur ermöglichen.

Viel mehr als Posten besetzen und Budget verhandeln kann ein Kulturminister nicht, oder?

Ich werde hundertprozentig fürs Budget kämpfen.

Für eine Erhöhung?

Fürs Budget. Ich finde, dass kulturpolitisch einiges passiert ist, im Gegensatz zur Medienpolitik. Man kann auf viel Gutem aufbauen, auf dem "Weißbuch Bundesmuseen" etwa.

Bogdan Roščić ist mit der Ansage bestellt worden, dass in der Staatsoper Reformen nötig sind. Braucht die Oper ein Update?

Wenn man Zeitloses bewahren will, braucht es immer wieder Adaptierungen. Ich halte das für eine interessante Personalentscheidung. Ich bin gespannt, was er plant. Ich bin nicht der Typ, der sagt, dass man alles, was der Vorgänger gemacht hat, anders machen muss.

Im Belvedere übte die neue Leitung sehr heftige Kritik an der Vorgängerin. Waren Sie schon dort und haben sich die Brandschutztüren angeschaut?

Ich war als Kulturminister noch nicht dort. Aber auch das möchte ich möglichst bald machen.

Nach welchen Kriterien würden Sie die christliche Soziallehre evaluieren lassen?

Soll sie evaluiert werden?

Nein, aber alle Kulturförderungen über 100.000 Euro. Da stellt sich die Frage: Nach welchen Kriterien?

Es soll nicht die Kultur evaluiert werden. Die Frage ist: Was passiert mit dem Geld, das für Kunst und Kultur ausgegeben wird? Es geht darum, dass möglichst viel bei den Künstlerinnen und Künstlern ankommt. Es soll möglichst wenig administrativ verwendet werden.

Also eine Evaluierung der kaufmännischen Umstände von Kultur, nicht der Kultur?

Ich will Kultur auf keinen Fall evaluieren. Das steht mir auch gar nicht zu.

Man hört aus dem ORF, dass die FPÖ schon eine Liste vorgelegt hat, wer was werden muss. Haben Sie auch schon eine geschrieben?

Ich kenne diese Liste nicht. Das hat mich immer gestört an der Medienpolitik, dass es stets nur um Köpfe gegangen ist.

Blümel: "ORF muss sich in vielem weiterentwickeln"
Gernot Blümel, Bundesminister für Kunst, Kultur, Verfassung und Medien, Interview im Bundeskanzleramt

Es hat nur ein Bundeskanzler gewagt, den ORF wirklich freizugeben – vor 50 Jahren war das Josef Klaus (ÖVP), nach Druck eines vom KURIER angestrengten Volksbegehrens. Wer soll Ihnen glauben, dass Sie endlich den ORF freigeben?

Es geht darum, wie sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk weiterentwickeln soll.

Sie versprechen, sich nie in Personalentscheidungen einzumischen?

Das ist gar nicht meine Kompetenz.

Die anderen haben das gemacht.

Haben sie das? Wäre das nicht Amtsmissbrauch?

Nehmen wir "Maria Theresia". Diesen historischen Stoff hätte auch jeder andere Sender mit öffentlichem Geld realisieren können. Wofür braucht man dazu eine Organisation wie den ORF?

Man kann legitim darüber diskutieren, ob das jemand anderer auch machen kann. Es sollte jedenfalls irgendjemand machen. Und da braucht es öffentliches Geld, damit auch in Zukunft österreichische Inhalte möglich sind. Sonst wird es künftig keine österreichische Idendität mehr geben. Das große Ziel muss sein, dass möglichst viele Österreicher diese öffentlich-rechtlichen Inhalte auch sehen. Man könnte diese Inhalte auch Privaten zugänglich machen. Der ORF muss sich in vielen Bereichen weiterentwickeln.

Gibt es schon einen dezidierten inhaltlichen Auftrag für die geplante Medien-Enquete?

Nein. Dort soll ein breiter medienpolitischer Diskurs angelegt werden. Den gibt es in Österreich sonst nicht. Und das hat mich immer gestört. Das große Problem ist, dass es in zehn Jahren im Internet kaum noch österreichische Inhalte geben wird, wenn man nicht jetzt dafür sorgt, dass die einzelnen Player gemeinsam dafür arbeiten, statt sich zu konkurrenzieren. Da muss sich der ORF auch ändern in seinem Grundverständnis: Weg von einem Konkurrenten der Privaten, hin zu einem Partner für öffentlich-rechtliche Inhalte.

Sie können also froh sein, dass Alexander Wrabetz alle großen Entscheidungen bis nach der Wahl verschoben hat.

Zum Beispiel?

Die Channelmanager etwa, oder wie der Umbau jetzt wirklich ausschauen wird.

Mir wäre es lieber, wenn Entscheidungen zeitnah und zum richtigen Zeitpunkt getroffen werden. Der Umbau kostet, auch wenn nichts passiert, täglich Geld. Letztlich ist das zum großen Teil Gebührengeld. Es würde mich freuen, wenn er die Dinge, die er selbst angekündigt hat, zeitnah angeht.

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