"Black Mirror"-Kritik: In der selbstgemachten Technologiehölle

Seelenqualen im Raumschiff Enterprise: Cristin Milioti (bekannt als Mutter in „How I Met Your Mother“) in der Folge „USS Callister“
Die vierte Staffel der Serie gehört zum Besten, das Fernsehen zu bieten hat.

Man kann nur hoffen, dass "Black Mirror" irgendwann so milde belächelt wird wie einstige Zukunftsvisionen von fliegenden Autos und selbstschnürenden Schuhen und schwebenden Skateboards. Denn die Serie entwirft eine Alptraumvision der kommenden Jahre. Und die geht genau deshalb so unter die Haut, weil nichts davon unrealistisch ist.

Es geht in der Netflix-Serie nicht um Science Fiction, sondern um jenen Technologie-Horror, der bereits in Sichtweite ist. Um Themen, die schwindelerregend nahe an jenen Fragen von Morgen sind, die wir uns alle schon Heute stellen sollten.

Die vierte Staffel, die seit einigen Tagen zu sehen ist, kreist um die digitale Unsterblichkeit, um den Upload des Menschen in den Computer. Mit allen Konsequenzen.

Etwa:

Wenn Sie die (gesellschaftlich akzeptierte) Möglichkeit hätten, Ihr Kind rund um die Uhr zu überwachen, wenn Sie sehen könnten, was es sieht – würden Sie es wirklich nicht tun?

Wenn Ihr Partner stirbt und Sie die Chance hätten, ihn digital unsterblich zu machen, dabei aber selber draufzahlen müssten – würden Sie das ablehnen? Könnten Sie das überhaupt ablehnen?

"Black Mirror"-Kritik: In der selbstgemachten Technologiehölle
Black mirror

Wenn ein Algorithmus den idealen Partner für Sie aussuchen könnte – würden Sie sich wirklich selbst auf die Suche machen?

Wenn wir – Gefühle, Erinnerungen – digital kopierbar werden, wer schützt uns davor, dass eine dieser Kopien in falsche Hände gerät?

Von all dem träumt das Silicon Valley bereits, immer unter der Prämisse, eine bessere Welt zu schaffen.

Wer wäre nicht gerne sicher, glücklich, unsterblich?

"Black Mirror" nun nimmt diese hehren Ziele – und dreht sie durch den Fleischwolf der menschlichen Unzulänglichkeiten. Die schöne neue Technologiewelt trifft auf Egoismus, Bösartigkeit, auf kurzsichtige Gewinnsucht, Sadismus und, schlicht, Blödheit.

Fernsehen

"Black Mirror"-Kritik: In der selbstgemachten Technologiehölle
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Aus diesem so brutalen wie realistischen Zusammenprall haben die "Black Mirror"-Macher – das kreative Zentrum der Serie ist Charlie Brooker – sechs neue Folgen gemacht, die eigentlich eigenständige Filmnovellen sind. Und zum besten gehören, das das derzeit ohnehin herausragende Medium TV zu bieten hat. Der wilde Ritt durch die nahe Zukunft führt in ein Technologiemuseum voll unerträglicher Bösartigkeit, auf eine Sadisten-Version des Raumschiff Enterprise, in das Gehirn eines Kindes und zum Sehnerv eines Meerschweinchens. Es ist ein Ritt durch eine selbstgemachte Hölle. Man sieht das mit Begeisterung und Abscheu zugleich.

Begeisterung, weil hier das Fernsehen beweist, dass es die gescheiteste und aktuellste Kulturform sein kann, wenn es nur will. Und quasi auch Regierungsarbeit geleistet wird, die im echten Leben liegen bleibt: Der volle Sturm der Digitalisierung steht uns allen erst bevor; während wir über Mindestsicherung und Pflichtmitgliedschaften und Familienbeihilfe streiten und am Abend als Sedativ Soko und Tatort und Bergdoktor schauen, rast die Zukunft mit ihren komplexen Fragen auf uns zu. "Black Mirror" stellt all diese Fragen; es ist erschreckend, wie wenige Antworten wir haben.

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