Bill Nighy im Interview: "Null Bock auf Shakespeare"

Bill Nighy
Der große Brite über seine Rolle als alternder Leinwandstar in dem Film "Ihre beste Stunde".

Er spielt meist Figuren, die das Mädchen am Ende nicht kriegen. Kaum ein anderer Schauspieler verwandelt Gefühle wie Schüchternheit und Peinlich-berührt-Sein so virtuos in charmante Unwiderstehlichkeit wie der – nicht nur wegen seiner Körperlänge von 1, 88 Metern – große Brite Bill Nighy.

In seinem neuesten Film "Ihre beste Stunde" spielt Nighy einen alternden Leinwandstar, der sich bereit erklärt, einen jungen, feschen Konkurrenten vor Großaufnahmen mimisch zu betraten. "Ihre beste Stunde – Drehbuch einer Heldin" (Kinostart: Freitag) spielt 1940 in England: Eine junge Frau (Gemma Arterton) soll im Auftrag des Informationsministeriums das britische Kino-Publikum mit leichter Unterhaltung von den Kriegswirren ablenken und dafür sorgen, dass den weiblichen Figuren auf der Leinwand nicht nur eine passive Rolle zukommt. Regie führte die Dänin Lone Scherfig.

KURIER: Sie spielen einen eitlen Filmschauspieler, der es nicht verkraften kann, dass sein Star-Ruhm verblasst. Haben Sie anlässlich dieser Rolle auch über sich nachgedacht?

Bill Nighy: Vor allem habe ich gedacht, dass ich – sollte ich mich je so benehmen wie der Kerl in diesem Film – wahrscheinlich nie wieder ein Rollenangebot bekomme. Meine Rolle nimmt eher das Verhalten von sogenannten "Stars" auf die Schaufel. Aber meiner Erfahrung nach sind Schauspieler keine "Stars", wenn sie nicht von den Medien dazu gemacht werden und leichtgläubig genug sind, darauf hereinzufallen. Ich habe schon mit berühmten Kollegen gearbeitet, aber Gott sei Dank noch nie mit "Stars". Aber die Rolle hat mir Spaß gemacht, und ich wollte immer schon mit Lone Scherfig arbeiten, weil ich sie sehr bewundere.

Was macht Sie in Ihren Augen so besonders?

Sie lacht über meine Witze – und mehr verlange ich nicht (lacht). Nein, im Ernst! Sie lacht zwar tatsächlich über meine Witze, aber vor allem ist sie eine hochintelligente Frau und eine besonders gute Regisseurin.

In "Ihre beste Stunde" geht es auch um den weiblichen Zugang zum Filmemachen. Wie sehen Sie das: Holt eine Regisseurin auch schauspielerisch mehr aus Ihnen heraus als ein Mann?

Das ist eine sehr interessante Frage. Hätten Sie gefragt, ob sich der weibliche Regiestil vom männlichen unterscheidet, hätte ich das vehement verneint. Ich habe mich immer schon gefragt, warum Inszenierungen im Film und am Theater so männlich dominiert sind. Dieser Zustand ist für mich unhaltbar und geradezu lächerlich! Wie jede Form von Sexismus. Ich wundere mich, dass die Männer mit dem Mythos der "männlichen Überlegenheit" noch immer so leicht davonkommen . Aber Ihre Frage war ja, ob eine Frau aus mir eine bessere Leistung herausholen kann – und die kann ich nicht so leicht beantworten. Ich halte Frauen für sensibler, und man kann ihnen daher weniger leicht etwas vormachen – schon gar nicht als Schauspieler.

Sie spielen einen Schauspieler, der mit seinem Alter Probleme hat. Können Sie das nachvollziehen?

Jetzt bin ich 67 und habe damit keine Probleme. Nach meiner Erfahrung ist das Alter von 39 Jahren für Schauspieler das schwierigste. Denn mit 39 steht man an der Schwelle zur zweiten Lebenshälfte. An einigen guten Tagen kann man noch aussehen wie 32 – vielleicht zwei Mal pro Woche. Wenn man für eine Rolle vorspricht, dann merkt man, wie man von oben bis unten taxiert wird, ob man noch einen jungen Mann spielen kann. Einmal hatte mich in dieser Zeit meine Agentin angerufen: "Ich hätte eine tolle Tournee mit dem Nationaltheater für dich. Du würdest in Moskau, Tokio und überall auf der Welt mit ,Hamlet‘ gastieren." Darauf sagte ich: "Kommt nicht in Frage! Ich will auf keinen Fall den Hamlet spielen!" Und sie: "Du bist nicht Hamlet, sondern Claudius!" Eine bittere Erkenntnis: Mit 39 Jahren war ich also aus der Hamlet-Rolle heraus– und in die seines Onkels hineingewachsen …

Warum haben Sie die Hamlet-Rolle gleich abgelehnt?

Ich hätte schon in der Schauspielschule mein ganzes Geld dafür gegeben, nicht den Hamlet spielen zu müssen! Ich wollte nie eine Shakespeare-Rolle spielen – da gehe ich lieber in Pension. Ich habe Null Bock darauf, Shakespeare’sche Verse zu deklamieren. Halten Sie mich deshalb nicht für einen Banausen. Ich bewundere Shakespeare. Ich lese gerne seine Werke, aber die gekünstelte Sprechweise, mit der sie auf der Bühne vorgetragen werden, ist nichts für mich!

In Ihrem neuen Film geht es auch um die Bedeutung von Unterhaltungsfilmen in Kriegszeiten. Sehen Sie die auch als eine mehr oder weniger versteckte Form von Propaganda?

Auf jeden Fall! Diese Filme wurden produziert, um die Menschen vom Elend des Krieges und von den Lügen der Regierung abzulenken. 50 Millionen Menschen sind in Großbritannien während der Kriegsjahre ins Kino gegangen – also praktisch die gesamte Bevölkerung. Und 80 Millionen waren es in den USA. Das muss man sich heute erst einmal vorstellen! Damals hat man in den Filmen die Realität zurechtgebogen, um das Durchhaltevermögen der Bevölkerung zu stärken. In Österreich und Deutschland haben solche Durchhaltefilme sicher eine noch stärkere Rolle gespielt.

Mit 300 Kulturschaffenden wie Benedict Cumberbatch, Keira Knightley, Jude Law, Patrick Stewart, Kristin Scott Thomas und Vivienne Westwood haben Sie sich in einem offenen Brief für den Verbleib in der EU ausgesprochen. Wie stehen Sie jetzt zum Brexit?

Ich glaube nach wie vor, dass die Menschen, die für den Brexit gestimmt haben, übel manipuliert wurden. Es wurde die Legende verbreitet, dass wir in der globalisierten Welt unser privilegiertes Inseldasein verteidigen könnten, wenn wir aus dem Vereinten Europa aussteigen. Das sind Mythen, die nichts mit der Realität zu tun haben – und sicher bekommen wir noch die Rechnung dafür.

Sie spielen einen Schauspieler, der einem Kollegen Ratschläge gibt. Geben Sie im wirklichen Leben Schauspiel-Tipps weiter?

Manchmal reden mich junge Leute auf der Straße an und fragen mich, was sie tun müssten, um Schauspieler zu werden. Mein wichtigster Rat ist dieser: Hört nie auf jemanden, der sagt, ihr müsst "in euch spüren, was ihr spielt". Das ist Bullshit. Ich habe mit Maggie Smith und Judy Dench gespielt und die haben sich über Kochrezepte unterhalten, bis der Regisseur "Action" gerufen hat. Dann haben sie höchst professionell und auch gefühlvoll ihre Dialoge vorgetragen – bis der Ruf "Cut" kam. Dann waren sie nahtlos bei den nächsten Zutaten ihres Rezepts.

Von Gabriele Flossmann

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