Bilderbuch im Interview: "Schau dich an, du mieser Magic-Life-Tourist!"

Bilderbuch
Bilderbuch-Sänger Maurice Ernst über Ironie, Sexiness und kollidierende Gefühle.

Kommenden Freitag, am 17. Februar, erscheint "Magic Life", das vierte Album von Bilderbuch. Nach dem Super-Erfolg mit dem Vorgänger "Schick Schock" ist das Quartett dabei musikalisch noch mutiger und zickiger, gleichzeitig aber auch poppiger geworden. Die Texte, sagt Sänger Maurice Ernst im Interview mit dem KURIER, widmen sich ganz dem Zeitgefühl seiner Generation auf der Insel der Seligen, die sich Europa nennt.

KURIER: Sie waren mit Ihrem mit Platin-Album "Schick Schock" auf Tour durch Deutschland und die Schweiz, haben dort auf den größten Festivals gespielt. Was wird Ihnen davon in Erinnerung bleiben?

Maurice Ernst:Das war alles ein langer Taumel, der viele Spitzen gehabt hat. Es gab Sachen, vor denen ich Respekt gehabt habe, die sich im Nachhinein zu einem Highlight entwickelt haben, weil ich dann gemerkt habe: Das kann ich auch, ich stehe nicht ohne Grund da. Für mich waren das vor allem TV-Auftritte wie bei Böhmermann oder bei "Willkommen Österreich", weil das so ganz anders ist, als Konzerte spielen und völlig neu für mich war. Wir haben jetzt etwas mehr als 600 Auftritte. Zusammengerechnet habe ich also zwei Jahre lang jeden Abend auf der Bühne gestanden. Deshalb ist das ein Genuss, dort fühle ich mich wohler als davor und danach.

Bei Ihren Shows pendeln Sie zwischen manieriertem Rock-Star-Auftreten und sehr privaten Momenten. Stellen Sie die beiden bewusst nebeneinander, um die Rock-Klischees zu karikieren?

Es wäre mir fremd, nur eine Maske überzuziehen, auf die Bühne zu gehen und zu kokettieren und abseits der Bühne ganz anders zu sein. Für mich sind das zwei Extreme, die ich in mir habe. Wenn einer in einer Runde mit fünf Freunden einen Witz erzählt, erzählt er den sicher exaltierter. Da hat jeder Momente, in denen er etwas lauter oder etwas leiser kommuniziert. Die Bühne ist nichts anderes. Ich würde vermutlich wie Falco irgendwann dran zugrunde gehen, wenn ich sagen würde: Das ist mein Image, da muss ich immer wieder hin, auch wenn ich mich gar nicht so fühle.

Dann ist die Ironie kein Ziel der Koketterie?

Doch, natürlich. Der Humor darf nicht fehlen. Da stehe ich dann manchmal wie ein Gockel da, der eigentlich für Männlichkeit steht, gleichzeitig aber ein bisschen lächerlich ist, der aber im nächsten Moment auch zärtlich sein kann. Dieses Auftreten ist natürlich auch eine Überhöhung und zeigt, dass man sich selbst nicht allzu ernst nimmt.

Sie sagen, Sie wollen Sexiness in den Rock zurückzuholen. Wie hat sich das entwickelt?

Als Mann im Rock-Business ist man das Opfer seines eigenen Geschlechts: Dauernd von Männer umgeben, man kommt zu einem Festival, und da sind auch nur Männer. Wenn man sich in dieser Welt bewegt, vermisst man die Sexiness. Dann ist es gut, die Attitüden der Frauen aufzugreifen. Das hat nichts mit androgyn zu tun, dass ich wie Placebo sage, ich bin weiblich und das ist mein Statement. Ich versuche, zu egalisieren. Ich glaube, dass es eine Unisex-Attitüde geben muss. Deshalb tanze ich genauso an der Stange und wackle mit dem Hintern wie Frauen. Aber ich bleibe dabei der Mann, der ich bin.

Wie war es, nach dem Erfolg wieder im Studio zu sein?

Wir haben uns bei der Musik völlig frei gefühlt, hatten nicht das Gefühl, wir sollten "Magic Life" so und so machen, weil das ankommt. Deshalb haben wir uns in den Extremen mehr getraut und experimentiert, zum Beispiel mit "Sweetlove" einen ruhigen Song nur mit Gitarre und Gesang gemacht. Wir haben einfach drauflos musiziert. Lange gesprochen haben wir nur über Inhalte. Über die Frage: Wie geht man mit der Verantwortung um, eine Band zu sein, die viele Hörer hat? Geht es nur darum, ein paar lustige Songs für die Bühne zu haben? Oder will man auch etwas verarbeiten und transportieren?

Was wollen Sie transportieren?

Als "Schick Schock" erschien – im Februar 2015 – gab es ein bisschen Finanzkrise, man hat von Merkel und Griechenland geredet. Aber meine Generation dachte, weil man nicht wirklich drin steckt, kann man darüber lachen. "Schick Schock" war ein zynisches, gefährliches Lachen über die Situation. Seither ist aber in Europa und auch mit dem globalen Lebensgefühl so viel passiert. Als Reaktion darauf ist "Magic Life" viel privater geworden. Wir bleiben unserer Linie treu, wenden unseren Blick aber nach innen.

2015 sagten Sie, dass es in Zukunft sehr wichtig sein wird, dass Popmusik politische Zeitströmungen aufgreift. Wie können Sie dem Rechnung tragen, wenn "Magic Life" privater ist?

Für mich ist schon der Titel und der Song "Magic Life" ein politisches Statement. Man kann das romantisch als das magische Leben unserer Band deuten, weil wir unseren Traum verwirklicht haben. Man kann aber auch an den "Magic Life Club" denken, der die Inspiration war. Der verkörpert genau das Gefühl, das wir in Europa gerade haben: Ein All-inclusive-Club, in den man hineingeboren wird. Man kriegt zu essen, was man will, kann mit Prosecco anstoßen, aber draußen gehen die Wellen hoch. Wir haben versucht, anstatt konkrete politische Aussagen zu machen, dieses Zeitgefühl einzufangen. So gibt es einige Momente auf "Magic Life", die persönlich und politisch sind.

Wie zum Beispiel der Song "Investment 7" . . .

Richtig. Das ist genau der selbe Typ wie in dem Song "Gigolo" von "Schick Schock" – der Chef der Cash-Bagage, der dort überstilisiert und lächerlich gemacht wird. Bei "Investment 7" ist er immer noch der Löwe seiner Zeit und der schönste seiner Art, aber er denkt, vielleicht sollte ich doch einmal in die Liebe investieren. Auch das spiegelt das Zeitgefühl.

Wie würden Sie dieses Zeitgefühl beschreiben?

Man spürt, es zieht sich etwas zusammen, und man ist geneigt, die Liebe zum Kapitalismus wieder mit dem Heimeligkeits-Gefühl austauschen. Anstatt um den Lamborghini vor der Türe geht es deshalb jetzt um den Bungalow, wo Mama für alle kocht. Es geht um das Zerbrechliche, die Frage: ,Wann ist es vorbei mit dem Leben im Magic Life Club?‘ Es geht auch um dieses gute Leben, für das man kein schlechtes Gewissen haben kann, weil man nichts dafür kann, dass man in diese perfekte Situation reingeboren ist. Aber auch um die Mauer, die rund um diese Insel der Seligen bröckelt, und man weiß nicht, was dahintersteckt. In meiner Generation klatschen gerade sehr viele interessante Gefühle aufeinander. Das finde ich unglaublich inspirierend. Die Frage ist, wie geht man damit um?

Wie gehen Sie damit um?

Möglichst positiv. Ein Ansatz dafür ist der, den ich in dem Hippie-Song "Babylon" beschreibe: Man wirft seine Kultur in einen Topf mit einer andern und sagt, ,Das ist unsere Kultur!‘.

Wie passt der Song "I love Stress" da hinein?

"I love Stress" ist ein Kommentar zu der Tendenz, sich den Stress als Statussymbol zu annektieren. Etwa wenn Leute jammern, dass sie zu spät zu ihrer Thai-Massage kommen. Dann denke ich, hey, das ist deine Entscheidung, du musst das nicht machen! In dem Song sage ich: "Schau dich an, du mieser Magic-Life-Tourist!"

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