Kunst, Kapital und Tschinderassa

Monica Bonvicini schuf Skulpturen aus hängenden Kettensägen
Okwui Enwezors Hauptausstellung "All the World’s Futures" gibt sich kämpferisch.

Der erste Eindruck: Es herrscht Krieg. Gleich zu Beginn der Schau "All The World’s Futures", der internationalen Hauptausstellung der Biennale Venedig, hat der Künstler Abdel Abdessemed Sträuße von Macheten in den Boden gehackt, mit dem zynischen Titel "Nymphéas" – dem gleichen Namen, den auch die hübschen Seerosenbilder Claude Monets tragen. "Life Death Love Pleasure Pain" – Leben, Tod, Liebe, Lust, Schmerz – die Wörter in Neonbuchstaben, eine Arbeit des US-Künstlers Bruce Nauman, erhellen alleine den Raum.

Kunst, Kapital und Tschinderassa
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Es geht noch eine Weile so weiter: Das Arsenal von Venedig hat vermutlich seit der Zeit, als es tatsächlich militärisch genutzt wurde, nicht mehr so viele Waffen gesehen. Und Okwui Enwezor, der die internationale Hauptausstellung kuratierte und den (nicht unbedingt verbindlichen) Rahmen für andere Biennale-Beiträge vorgab, hatte stets klargestellt, dass sich die 56. Ausgabe der weltweit bedeutendsten Kunstschau nicht vor dem gegenwärtigen Zustand der Welt verschließen würde.

Auf die Macheten folgen Trommeln und andere Marschkapellen-Instrumente, die der Künstler Terry Adkins zu martialisch wirkenden Skulpturen umformte; Bleistiftzeichnungen imaginärer Kriegsmaschinen des aus Sierra Leone stammenden Abu Bakr Mansaray; eine Kanone, die Pino Pascali 1965 detailgetreu nachbaute.

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Licht im Tunnel

Doch die Stahlgewitterwolken lichten sich, je länger man dem langen Gang des Arsenals folgt: Auf Pascalis eiserne Kanone folgt die Sprühpistole der Malerin Katharina Grosse, die einen Raum in der für sie typischen Weise in ein Farbmeer verwandelt hat.

Kunst, Kapital und Tschinderassa
Presseoftos
Der Kampf auf Leben und Tod weicht einem Sängerwettstreit in Afrika, den Künstler Carsten Höller in eine Video-Installation verwandelte (sie war in Wien bereits bei "TBA 21" im Augarten zu sehen.) Der Franzose Boris Achour führt absurde Brettspiele vor ("Spiele, deren Regeln ich ignoriere", heißt die Arbeit, die witzig Video und Skulpturen kombiniert). Der unter die Objektkünstler gegangene Jazzmusiker Jason Moran hat die legendäre Bühne des "Savoy Ballroom", auf der einst ebenfalls künstlerischer Wettstreit stattfand, nachgebaut.

Dass die Kunst Möglichkeiten bereithält, Konflikte umzuformen, ist eine der positiven Botschaften, die sich aus der Arsenale-Schau mitnehmen lässt. Auch der Befund des Kulturtheoretikers Johan Huizinga, wonach das Spiel die Grundlage aller Kultur sei, kommt einem in den Sinn. Die Balance aus Spiel und Ernst ist allerdings schwierig zu halten – der andere Teil der Hauptausstellung im Zentralpavillon der Giardini kommt deutlich schwerer und belehrender daher.

Man spielt Marx

Im zentralen Pavillon dreht sich alles um Karl Marx' Opus "Das Kapital", das in einem zentral aufgebauten Theaterraum während der gesamten Dauer der Biennale (bis 22.11.) Wort für Wort gelesen wird. Das künstlerische Programm rundum kreist stark um Arbeit, Entfremdung und Klassenbewusstsein. Gelungen ist hier ein Raum des Fotokünstlers Andreas Gursky, in dem einer Aufnahme des Gewusels an der Chicagoer Börse ein Bild einer thailändischen Korbflechterei gegenübergestellt ist: Zwei Seiten des Kapitalismus im selben Format einer Hochglanzfotografie, die ihrerseits auf Kunstmärkten Höchstpreise erzielt.

Peripherie & Zentrum

Okwui Enwezor ist spätestens seit der von ihm verantworteten Documenta 2002 als jener Mann bekannt, der die Kunst ehemaliger Kolonialstaaten näher ans Zentrum der westlich dominierten Kunstwelt brachte. Entsprechend vielfältig ist auch die Auswahl für die Biennale-Schau ausgefallen, wiewohl manche "Lieblingskünstler" erkennbar sind. So zeigt der aus Thailand stammende Rikrit Tivanarija in den Giardini Zeichnungen von Straßenprotesten; im Arsenal lässt er Ziegelsteine herstellen, die um 10 Euro gekauft werden können, das Geld kommt einer chinesischen Arbeiterbewegung zugute.

Von purer Schöngeistigkeit ist die Biennale-Schau damit weit entfernt. Die Frage, ob es Kunst "zu weit" oder auch "zu nahe" an Aktivismus dran sein kann und ob es ein "ideales" Verhältnis der beiden Systeme gibt, wird Biennale-Besucher wohl noch länger begleiten.

Weltkunstschau
Die Kunst-Biennale von Venedig findet heuer zum 56. Mal statt. Sie gliedert sich in eine kuratierte Themenausstellung mit Künstlern aus aller Welt (siehe Bericht), die Beiträge von 89 Ländern und 44 offiziellen Nebenveranstaltungen. Weitere Veranstaltungen von lokalen und internationalen Institutionen kommen hinzu.
29 Länder – unter ihnen auch Österreich – stellen in den Pavillons der „Giardini“ aus, 31 in Räumen des Arsenale. Der Rest der Veranstaltungen ist über die ganze Stadt verteilt.

Zugangs-Hierarchien
Bis inklusive Freitag dauern die sogenannten „Preview-Tage“, die für Presse und Fachpublikum reserviert sind; die Biennale bietet auch teure VIP-Tickets für Besuche während dieser Tage an. Am Donnerstag wird Kulturminister Josef Ostermayer (SPÖ) den von Heimo Zobernig gestalteten Österreich-Pavillon offiziell eröffnen. Von Samstag, dem 9.5., bis zum 22.11. steht die Biennale für allgemeines Publikum offen (Tickets 25 €, diverse Ermäßigungen.)
www.labiennale.org

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