Berlinale: Keine Sorge, zu Fuß kommt er nicht weit

Sandra Hüller und Franz Rogowski: "In den Gängen“
Starkes Finale mit Thomas Stubers "In den Gängen" mit "Shooting Star" Franz Rogowski.

Bei glasklarem Sonnenschein näherte sich die 68. Berlinale ihrem Ende – und damit auch die Ära von Langzeit-Chef Dieter Kosslick, dessen Vertrag im Mai 2019 ausläuft. Längst schon diskutieren Regisseure, Produzenten und Brancheninsider die Zukunft des Festivals. Einig ist man sich darin, dass die Programmsektionen reduziert und der Hauptwettbewerb attraktiver gemacht werden sollte. Die Berlinale pflegt ja ihren Ruf als politisches Festival, muss sich aber oft vorwerfen lassen, Thema vor filmische Umsetzung zu stellen.

Formale Herausforderungen gab es heuer im Wettbewerb allerdings einige: Der philippinische Filmemacher Lav Diaz, der auch schon achtstündige Schwarz-Weiß-Filme hier laufen hatte, hielt sich heuer mit einem Vierstünder kurz: Sein Wettbewerbsbeitrag "Season of the Devil" ruft die Gräuel philippinischer Geschichte unter den Todesschwadronen von General Marcos wach; allerdings unterhalten sich seine Protagonisten durchgängig in eintönigem Singsang, was viele Zuseher bewog, vorzeitig das Kino zu verlassen.

Blickt man aber auf Kritikerwertungen, zählt Lav Diaz zu den Favoriten der Preisanwärter: Samstagabend wird die Jury unter Tom Tykwer den Gewinner des Goldenen Bären verkünden.

Gäbe es eine Auszeichnung für den meistgehassten Film, hätte der deutsche Regisseur Philip Gröning gute Chancen: Reihenweise verließen die Leute seinen kaprizierten Wettbewerbsfilm "Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot", Hasskritiken folgten. Zu strapaziös erschien den meisten Grönings körpernahe, aber auch faszinierende Detail-Beobachtung eines jungen Zwillingspaars, das gute zwei Spielfilmstunden lang in einem Kornfeld liegt und Heidegger liest; erst in der letzten Stunde verwandelt es sich in "Natural Born Killers".

Psychatrie-Schocker

Da machten es die Amerikaner ihrem Publikum schon bedeutend leichter. Steven Soderbergh schnappte sich sein iPhone und filmte flugs ein reißendes B-Movie herunter. In "Unsane" wird "The Crown"-Serien-Star Claire Foy von einem Gaga-Verehrer gestalkt und lässt sich versehentlich in eine Anstalt einweisen. Kein Zweifel, Steven Soderbergh hatte mit seiner räudigen Mischung aus Psychiatrie-Schocker, Stalker-Thriller und Pharmaindustrie-Kritik eine Menge Spaß.

"Don’t Worry, He Won’t Get Far on Foot" nannte Gus van Sant sein optimistisches Therapie-Porträt von US-Cartoonist John Callahan. Der Titel ist allerdings auch schon das komplexeste an Van Sants sympathischem Wohlfühl-Film, in dem sich Joaquin Phoenix vom vergammelten Alkoholiker zum sauberen Rollstuhlfahrer mit Zeichentalent mausert.

Er sei der "teutonische Cousin von Joaquin Phoenix", vermeldete das US-Branchenblatt Hollywood Reporter euphorisch über den deutschen Schauspieler Franz Rogowski, dem Mann der Stunde. Nicht nur wurde er als europäischer Shootingstar geehrt, sondern trat auch sehr eindrucksvoll gleich in zwei Wettbewerbsfilmen auf: In Petzolds "Transit" und – zum krönenden Abschluss der Berlinale – in Thomas Stubers lakonischem Liebesfilm "In den Gängen". Rogowski spielt darin einen jungen Ex-Häftling, der als Gabelstapler-Fahrer im Großmarkt Bierkisten verschiebt. "Du redest wohl nicht viel, wa?" fragt der ältere Kollege den Frischling. Rogowski antwortet nicht, aber ein Blick in sein Gesicht reicht. Ein klarer Favorit für den Bären als bester Schauspieler.

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