Frischer Wind aus der Türkei
Wenn man sich bei den Salzburger Festspielen aufhält, wird einem ja gerne das Gefühl vermittelt, dass in dieser Zeit die Welt der klassischen Musik anderswo stillsteht. Was freilich völliger Unsinn ist. Zahlreiche Festivals bieten parallel ein durchaus attraktives Programm. In London findet seit zwei Wochen und noch bis 13. September sogar etwas statt, das sich "The World’s Greatest Classical Music Festival" nennt: Die BBC Proms.
Bereits zum 120. Mal wird diese Reihe veranstaltet, der Name Proms kommt von "promenade series", also von Promenadenkonzerten, in die man auch direkt nach der Arbeit, durchaus im T-Shirt, gehen und während des Konzertes am Parkett herumwandern kann. 76 Konzerte gibt es heuer im Rahmen der Proms in der bis zu 8000 Besucher fassenden Royal Albert Hall im eleganten Londoner Stadtteil Kensington, dazu zahlreiche Kammermusikkonzerte. Am Ende steht die "Last Night of the Proms", bei der die Besucher Fahnen schwingen und auch mitsingen.
Das Programm davor ist aber höchst seriös, sämtliche Konzerte werden im BBC Radio, einige auch im Fernsehen live übertragen, als Dirigenten sind Valery Gergiev, Eliot Gardiner, Roger Norrington, William Christie und viele andere engagiert.
Jubel in London
Ein österreichischer Dirigent feierte soeben sein BBC-Proms-Debüt: Sascha Goetzel am Pult des Borusan Istabul Philharmonic Orchestra, dem er als künstlerischer Leiter und Chefdirigent seit 2008 vorsteht. Das Publikum in der Royal Albert Hall feierte das Orchester sowie dessen 1970 geborenen Dirigenten mit Standing Ovations, englische Zeitungen vergaben in ihren Rezensionen Bestnoten, Vertreter aller wesentlichen türkischen Zeitungen waren nach London mitgereist und begeistert.
Und was meint der KURIER-Kritiker? Das Programm war klug gewählt, abseits der ausgetretenen Klassik-Pfade, sehr erfrischend. Alle Werke, von Balakirev, Holst, Mozart (Ouvertüre zur "Entführung aus dem Serail") und Händel ("Solomon – The Arrival of the Queen of Sheba") bis Respighi (Orchestersuite aus "Belkis – Queen of Sheba") hatten thematisch mit dem Orient zu tun. Dazu kam die Uraufführung des intensiven, bestechenden 1. Violinkonzertes namens "1914" des Prokofieff-Enkels Gabriel, für Ausnahmegeiger Daniel Hope geschrieben.
Das Orchester aus Istanbul konnte hohe Klangkultur, Präzision und Flexibilität unter Beweis stellen, die Mozart-Ouvertüre war so beeindruckend und farbenprächtig gespielt, wie man sie anderswo kaum hört. Goetzel hat als Orchester-Erzieher einen erstklassigen Klangkörper kreiert und diesen in die vordersten Reihen katapultiert.
"Uns geht es um Leidenschaft und Energie", sagt der gebürtige Wiener. "Im Konzert und auf CD." Nach dem Ereignis in London präsentierte er einen neuen Tonträger mit Rimsky-Korsakovs fabelhaft musizierter "Scheherazade" im Zentrum.
Erst seit 15 Jahren existiert das vom türkischen Mischkonzern Borusan rein privat finanzierte Orchester, anfangs war es ein Kammerorchester, nach und nach wuchs es zu einem großen symphonischen. Als feststand, dass Istanbul 2010 Europas Kulturhauptstadt sein werde, suchte man einen internationalen Dirigenten. Goetzel: "Das Auswahlverfahren dauerte eineinhalb Jahre. Als ich dann ein konkretes Angebot hatte, habe ich Daniel Barenboim gefragt, ob ich das annehmen solle. Er sagte: ,Unbedingt, die Türken gehören zu den talentiertesten Musikern.‘"
Auf neuen Pfaden
Heute schöpft Goetzel aus einem Pool von 120 Profimusikern, fix angestellt sind nur die Konzertmeister. Die besten Instrumentalisten aus allen Regionen der Türkei spielen bei Borusan, durch eine Neuerung beim Probespiel gibt es riesigen Andrang. Goetzel: "Die Musikerinnen und Musiker spielen nicht nur hinter dem Vorhang, sondern kommen auch auf einem dicken Teppich herein, damit man Stöckelschuhe nicht hört und alles anonymisiert und kein Mobbing möglich ist." Der Frauenanteil beträgt über 50 Prozent. Zu Konzerten werden regelmäßig Klassikstars wie Rudolf Buchbinder oder Juan-Diego Floréz als Solisten geladen.
Aber wie kommentiert Goetzel die politische Situation in der Türkei? "Als ich kam, hat sich das Land als Einheit angefühlt, dynamisch, nach einer positiven Zukunft strebend. Jetzt wirkt es, als wäre ein Keil in dieses Land getrieben worden. Das ist ein gefährlicher Cocktail. Niemand kann sagen, wie es sich weiterentwickelt."
Qualität aus Istanbul
Das Orchester Das Borusan Istanbul Philharmonic Orchestra besteht seit 15 Jahren, künstlerischer Leiter ist der Wiener Sascha Goetzel. Ihm geht es um die musikalische Verbindung von Ost und West. Bei den BBC Proms feierte er ein erfolgreiches Debüt.
BBC Proms Heuer findet bereits die 120. Saison statt. Die meisten Veranstaltungen gibt es in der Royal Albert Hall. Bei der Last Night of the Proms treten heuer u. a. Earth, Wind & Fire und Rufus Wainwright auf.
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