Bayreuth: Durch den "Alkoholator" gedreht

Bayreuth: Durch den "Alkoholator" gedreht
KURIER-Kritik: Wagners "Tannhäuser" ist bei den Bayreuther Festspielen szenisch völlig misslungen und überzeugt auch musikalisch nur bedingt.

Geht es nach der Reaktion des Publikums, dann haben Regisseur Sebastian Baumgarten und Bühnenbildner Joep van Lieshout ihr Ziel erreicht. Für ihre gewollten Provokationen wurde das Leading Team nach der Premiere von Wagners "Tannhäuser" mit einem einhelligen Buh-Orkan von der Bühne gejagt.

Doch der Reihe nach: Ärger gab es bereits im Vorfeld. So wollten Baumgarten und vor allem Joep van Lieshout - seine Installation ist auch das Hauptproblem der Neuproduktion - "Tannhäuser" ohne Pausen spielen. Die Gastronomie am Grünen Hügel habe das aber verhindert, erklären beide verärgert im Programmheft. Auch Dirigent Thomas Hengelbrock hätte lieber seine eigene Fassung des "Tannhäuser" gespielt, musste sich auf Betreiben der Festspielleitung aber an die sogenannte Dresdner Fassung halten.

Schlingensief für Arme

Bayreuth: Durch den "Alkoholator" gedreht

War also das, was Baumgarten und Van Lieshout aus dem "Tannhäuser" gemacht haben, die plumpe Rache an den Festspielgästen? Man könnte es fast glauben. Denn die Devise beider scheint zu lauten: zerstören, zerstören und nochmals zerstören. Und das gelingt vor allem Van Lieshout perfekt. Er hat für den "Tannhäuser" eine riesige Installation auf die Bühne des Festspielhauses gewuchtet, die ein bisschen an Christoph Schlingensief für Arme erinnert.

"Technokrat" nennt der bildende Künstler dieses Fabrikshallen-Monster, das Stimmen perfekt verschwinden lässt. Hier wird gepfuscht, respektive mit einem roten "Alkoholator" (ja, das heißt bei Van Lieshout so) Biogas produziert. Denn irgendwie geht es um Rüben, Exkremente und technische Apparaturen. Und damit die ganze Sache noch blöder wird, gibt es per Video-Walls jede Menge sinnvoller (oder doch sinnfreier?) Sprüche. Beispiel gefällig? "Wartburg - integriert Möglichkeiten zur Triebabfuhr". Oder: "Liebe ist Inquisition". In den Pausen übrigens doziert Van Lieshout per Video über Kunst, Arbeit, Schmerz.
Das alles ist ärgerlich. Hier hat ein Künstler ein Werk für seine eigenen Befindlichkeiten schlicht missbraucht.

Und Baumgarten macht (wie auch die für eher hässliche Alltagskostüme sorgende Nina von Mechow) mit. Inmitten aller technischen Geräte ist der aus dem Boden fahrende Venusberg ein Tierkäfig. Da gibt es tanzende Spermien, viel Blut, eine stilisierte Madonna mit Vagina-Heiligenschein, eine Casting-Show und am Ende eine Venus, die Tannhäusers Sohn zur Welt bringt. Das ist nicht provokant, das ist trotz einzelner gelungener Bilder einfach nur langweilig.

Dirigat an der Grenze zum Stillstand

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Womit wir beim Dirigat wären. Bayreuth-Debütant Thomas Hengelbrock setzt mit dem an sich guten Festspielorchester (toll der Chor) auf schlanke Tempi und Strukturen, bewegt sich aber manchmal hart an der Grenze zum Stillstand. Auch dafür gab es einige Buhs. Noch schlimmer erwischte es die überforderte, schrille Venus von Stephanie Friede, die ganz massiv abgestraft wurde.
Besser erging es dem vokal farblosen Tannhäuser von Lars Cleveman, der sich oft in den Sprechgesang flüchten konnte. Immerhin ist Camilla Nylund eine gute Elisabeth, Michael Nagy ein sehr guter Wolfram und Günther Groissböck ein exzellenter Hermann. Lothar Odinius (Walther), Thomas Jesatko (Biterolf), Arnold Bezuyen (Heinrich), Martin Snell (Reinmar) und Katja Stuber (Hirt) füllen ihre Rollen immerhin aus. Das ist für Bayreuth zu wenig.

KURIER-Wertung: ** von *****

Fazit: Damit muss Bayreuth nun leben

Werk Wagners
"Tannhäuser" wurde 1845 in Dresden uraufgeführt. Der Komponist selbst nahm später noch verschiedene Umarbeitungen vor.

Bühne
Ärgerlich. Joep van Lieshout stülpt der Oper seine (eitlen) Befindlichkeiten über.

Regie
Sebastian Baumgarten wollte provozieren. Gewonnen.

Dirigat
Könnte mehr klingen.

Gesang
Sehr wechselhaft.

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