"Spannender als Science-Fiction"

"Die Pflanzen haben uns mehr manipuliert, als uns bewusst ist", sagt Barbara Frischmuth.
Barbara Frischmuth über die kleine Welt im Garten, die ihren Büchern als Inspirationsquelle dient.

Barbara Frischmuth erzählt in ihren Gartenbüchern in wunderbar unkitschiger und sehr konkreter Prosa von den Vorgängen in ihrem Ausseer Garten. Ging es bisher ums Gedeihen, Blühen und Wachsen, spricht sie nun zum ersten Mal über das Projekt Gartenverkleinerung. Was man durchaus als Parabel für das Leben sehen kann.

KURIER: Sie schreiben in Ihrem neuen Buch, ein Stück Hangwiese in den Alpen habe den Grund für den Garten gebildet, von dem Sie schon lange geträumt hatten. Wann haben Sie denn begonnen, von einem Garten zu träumen?

Barbara Frischmuth: Als Kind. Ich bin in Altaussee in einem Hotel mit Garten aufgewachsen. Während und nach dem Krieg hat man schauen müssen, dass man selber etwas produziert. Wir hatten einen Gärtner, dem bin ich schon als Kind hinterher getrabt.

Es gibt eine lange Beziehungsgeschichte zwischen Garten und Literatur: Von Goethe bis Hermann Hesse ...

... und vor allem in England. Virginia Woolf, Vita Sackville-West. Einer meiner Lieblingsschriftsteller, James Hamilton-Paterson, hat einen wunderbaren Roman über ein Glashaus geschrieben. Es gibt so viele Schriftsteller, die sich um Pflanzen gekümmert haben. Lewis Carroll zum Beispiel, es ist einfach großartig, was in "Alice" alles über Pflanzen und Pilze steht. Pflanzen und Insekten, das ist spannender als jeder Kriminalroman.

Machen Sie einen Unterschied zwischen Ihren Romanen und Ihren Gartenbüchern? Verstehen Sie, wenn letztere Sachbücher genannt werden?

Nein, ich finde das nicht nachvollziehbar, aber offensichtlich kann das im Buchhandel nur so gehen. Ich habe es aufgegeben, mich zu wehren. Ich bin immer ausgeschert und man hat es mir zum Vorwurf gemacht. Mittlerweile ist mir das schnurz. Ob Roman oder Gartenbuch: Es ist es der selbe Versuch, zu verstehen, was uns ausmacht, wie wir unser Leben sehen. Wenn ich noch einmal auf die Welt käme, würde ich Biologie studieren, wie viele unserer jungen Autorinnen heute, Andrea Grill oder Gertraud Klemm etwa. Man sollte mehr von diesen Dingen wissen, dann hätte man eine fundiertere Sicht auf das, was Menschen tun.

In den "Wahlverwandtschaften" vergleicht Goethe Pflanzen mit "eigensinnigen Menschen, von denen man alles erhalten kann, wenn man sie nach ihrer Art behandelt". Ein passender Vergleich?

Nachvollziehbar, nur hat Goethe etwas nicht berücksichtigt: Die Koevolution. Wir glauben immer, wir manipulieren alles. In Wahrheit haben uns die Pflanzen mehr manipuliert, als uns bewusst ist. Michael Pollan schreibt das ja auch in seiner "Botanik der Begierde": Die Pflanzen bringen uns dazu, für sie Dinge zu erledigen, die sie nicht bewerkstelligen können. Etwa, der Dominanz der Bäume zu entkommen. Wenn man den Blickwinkel nur ein kleines Bisschen verstellt, sieht man eine andere Welt, der man nur mit Staunen begegnen kann, die viel spannender ist als Science-Fiction und trotzdem mit der Technik kompatibel.

Das Projekt Gartenverkleinerung scheint durch und durch ungewöhnlich. Dass er zu anstrengend wird, ist ja wohl nur ein Teil der Wahrheit. Kann man das auch als Parabel auf das Leben sehen? Statt wachsen und gedeihen ist auch irgendwann einmal Zeit für Rückbesinnung?

"Spannender als Science-Fiction"
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Das Altwerden ist natürlich ein Thema und auch die Frage, wie lange man das noch schafft. Natürlich sind die meisten zu feig, um das zuzugeben, deswegen geht es immer nur um Expansion. Aber es kann nicht ewig weitergehen, denn Garten ist nicht Natur, Garten existiert nur als Garten, wenn man eingreift. Als Parabel auf das Leben kann man das natürlich auch sehen. Auch Pflanzen sind endlich und die Geschichte vom Werden und vom Vergehen wird einem immer klarer, wenn man mit Pflanzen zu tun hat.

Was macht eine Ansammlung von Pflanzen zum Garten?

Es sind zum Teil die Unwägbarkeiten. Auch in einem Garten mischen sich Natur und Kultur. Man sollte die Natur nicht ganz verdrängen. Es muss spannend bleiben.

Themenwechsel. Sie haben in der Türkei studiert, die Verbundenheit zur Türkei kommt immer wieder in Ihren Romanen vor. Der Staatsgründer Atatürk hat die Republik auf dem Laizismus aufgebaut, heute ist dieser in Gefahr.

Atatürk hat seine Ideen auch autoritär durchgesetzt, genauso wie Erdoğan heute. Dass da einmal ein Backlash kommt, war klar. Ich selber bin sehr enttäuscht, dass Erdoğan sich so entwickelt. Denn die AKP war eine Zeit lang gut drauf, sie hat Anatolien wirtschaftlich aufgerüttelt. Jetzt mutiert Erdoğan zum Sultan, das ist furchtbar. Es ist die Frage, wie lange sich die Türken das gefallen lassen.

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