Bananen essen und aufs Meer schauen

Bananen essen und aufs Meer schauen
Wir haben unseren Zeichner Michael Pammesberger zur Gauguin-Ausstellung in Basel geschickt. Mit dem selbstgestellten Auftrag, nicht nur die Milliarden Dollar, sondern die Bilder zu sehen.

Woher kommen wir? (Aus Wien) Wer sind wir? (Pammesberger, Karikaturist beim KURIER) Wohin gehen wir? (zur Gauguin-Ausstellung nach Basel, genau genommen in ein Kaff bei Basel namens Riehen).

Holt mich hier raus!

Bananen essen und aufs Meer schauen
für Kultur So.,22.2.
Paul Gauguin (1848–1903) sitzt in seiner Hütte auf Hiva Oa. Am Arsch der Welt. Dschungelcamp 1903. Er will weg von hier. Wieder einmal. Die letzte seiner viel zu jungen Frauen, schwanger, hat ihn (wie die anderen alle) längst verlassen. Er steht mit Kirche und Behörden in erbittertem Streit. Er hat kein Geld mehr. Vor Gericht ist er mit nichts als einem dreckigen Pareo angetanzt (und rausgeschmissen worden). Er ist verurteilt (wegen Beleidigung, Verleumdung der Regierung), soll ins Gefängnis. "Ich bin krank. Ich kann nicht mehr." Vereiterte Beine. Ekzeme. Syphilis im fortgeschrittenen Stadium. Absinth. Seit Jahren Morphium-abhängig. Ein heftiger Zyklon hat die Insel eben verwüstet, seine Hütte zwar verschont. "Maison du Jouir" hat er über seinen Hütteneingang geschnitzt: "Haus der Wonnen". Am 8. Mai 1903 ist Schluss mit den Wonnen. Gauguin stirbt 54-jährig. Große Dosis Morphium. Möglicherweise Herzversagen.

Das Debakel am Ende seines Lebens war das letzte, aber keineswegs das einzige. Seine vorangehenden Expeditionen in die Freiheit waren ähnlich desaströs verlaufen. In Tahiti, auf Martinique, in der Bretagne, Panama, im Midi …

Im Zentrum der Ausstellung ein großes Panoramagemälde, Ergebnis seines vorhergegangenen Tahiti-Experiments: "Woher kommen wir ..." Eine Art gemaltes Testament. Der anschließende Selbstmordversuch scheitert.

Exotische Utopie

Zu viel ist die Rede von der vergeblichen Suche nach dem Paradies also. Die große Gauguin-Überschrift. Die Gauguin-Ausstellungseröffnungs-Frage an die Prominenz. (Keanu Reeves war übrigens da). Gauguin ist selbst nicht ganz unschuldig, zu oft erzählt er den Parisern vom Paradiesischen, vor allem, wenn er einsam ist und will, dass man zu ihm kommt.

Überhaupt, er redet (schreibt) zu viel. Zu viel Mist. Nein, er ist auch keine sympathischer Mensch. Wehleidig, größenwahnsinnig. Egomanisch.

Vielleicht pädophil?

Aber er ist nicht dumm, er fährt nicht vier Mal in die Tropen (wohlgemerkt bevor es dort Fünf-Sterne Hotels gab), um jedes mal seinem Traum beim Platzen zuzusehen.

Die Wahrheit: Gauguin kann nicht anders. Er ist getrieben, er ist auf der Flucht. Gauguin rennt davon. Von seiner Frau. Seiner Familie, seinen fünf Kindern. Von seinem Beruf. Vom Aktienhandel. Vom bürgerlichen Leben. Vom Impressionismus. Vom Stadtleben. Vom Landleben. Von Frankreich. Von der Zivilisation. Zuletzt von Tahiti. Von sich selber vor allem.

Er selbst sieht sich als Ausgestoßener.

Gauguins Tropenparadies ist eine klassische Utopie, ein "kein Ort". Ein Missverständnis in seinem Kopf. Mit der Tropenwirklichkeit hatte Gauguins Vorstellung so wenig zu tun wie das Dschungelcamp.

Auf der Flucht

"Ich brauch’ den ganzen Blödsinn nicht, ich bau’ mir eine Hütte am Strand, ess’ Bananen und schau’ aufs Meer!" Ein recht aktueller Gedanke, wenn ich mich im Büro umhöre.

Und Gauguin ist Künstler. Der Künstler der frühen Moderne hat einen Auftrag. Die Abmachung lautet: Ich (Der Künstler, das Genie, der wilde Hund) gehe für Euch (Hosenscheißer, Pariser, Sachbearbeiter) dorthin, wo ihr nicht hinkommt (in den Wahnsinn, nach Tahiti, in den Exzess) und bringe euch die Kunst von dort. Ihr macht mich ein bissl unsterblich.

Oder hängt mich wenigstens ins Museum.

Die Sonne überwiegt

Gehe ich heute durch die Ausstellungsräume der Fondation Beyeler und betrachte die Arbeiten Gauguins, sehe ich allerdings wenig von dem geschilderten Elend. Die Sonne überwiegt. Tropische Farben, fast idyllisch. Schöne Menschen in herrlicher, sanfter Natur. Das Meer. Früchte, Blumen. Ja, da und dort ein Spuk. Ein Untier, ein blauvioletter Schatten. Ein böser Gott. Gauguin malt keine Urlaubs-Prospekte. Aber wir haben nicht das Gefühl, dies seien die Bilder eines Unglücklichen.

Es scheint doch, als hätte Gauguin in diesen Bildern ein wenig von dem gefunden, was er im Leben gesucht hat. Die Bilder zeigen gerade nicht die verlogene Idylle. Die Scheinwelt. Sie wirken überhaupt wenig künstlich, gekünstelt. Auch nicht angeberisch, präpotent und wenig pathetisch. Die Werke strahlen trotz der modernen Geste und der leidenschaftlichen Farbgebung Ruhe aus. Hier findet er die Einfachheit.

Gerade in Zeiten der stärksten Bedrängnis, wie in den allerletzten Lebensmonaten, hat Gauguin ruhige, abgeklärte Bilder gemalt. Er verzichtet dann auch auf literarisches Beiwerk. Keine polynesischen Bildtitel als verschwurbelte Rätsel für Pariser Kunstliebhaber mehr. Keine symbolistischen und sonstigen Manifeste und -ismen mehr.

Über 50 einzigartige Kunstwerke, Ölbilder, Schnitzereien, Keramiken hat das private Museum aus 13 Ländern zusammengetragen. Die Ausstellung feiert sich als Kunstsensation. Zu recht. Es sind ausschließlich Meisterwerke. Kein Beiwerk, also kein verhuschtes Frühwerk, keine halbfertige Skizze. Kurz: Es sind nicht alle Meisterwerke Gauguins zu sehen, aber nur Meisterwerke. So macht man das: Kein blödes Ausstellungsmotto, kein 125ster Todes-Jubeltag jährt sich.

Es hilft nichts: wer sich für Malerei interessiert, muss hinfahren. Über 200.000 Besucher werden erwartet, aber das kann nicht stimmen, weil ich war zwei Mal dort.

Sicherheitshalber wurden jedenfalls die Anzahl der Klos und die Eintrittspreise erhöht.

Wieso ich?

Wieso schickt der KURIER eigentlich den Karikaturisten, werden sich manche fragen, der hat doch keine Ahnung von einem Schimmer. He, ich bin Amateur, aber ich hab’ mehr gelesene Bücher über die Postimpressionisten zu Hause als Unterhosen! Und Socken! Gut zugegeben, ich hab mich da reingeboxt, ein bissl reingegrätscht. Dass ich da hin kann, das sehen kann. Auch ich brauche ab und zu eine kleine Flucht in die Utopie. Muss ja nicht gleich Polynesien sein. Oder Katar. Schweiz genügt.

Wenigstens kann ich darauf verweisen, das Gauguin auch Karikaturen gezeichnet hat immer wieder. Quasi Kollege. Den Bischof von Atuona stellte er zum Spott (mit dessen polynesischer Haushälterin und Geliebten) in Tropenholz geschnitzt vor seine Hütte. Er verlegte, illustrierte und druckte mehrere satirische Zeitschriften.

"Charlie Hebdo" von Polynesien gleichsam.

Und es ist ja keine Sache nur für gelernte Kunstexperten. Van Gogh, Cézanne ... die kommen in der Zeitung ja meistens nur dann vor, wenn wieder irgendein Rekordpreis bei Christie’s oder Sotheby’s gezahlt wird. Oder wenn sie gestohlen wurden.

Ich wollte einmal einen Gauguin-Artikel ohne Eurozeichen sehen … und dann das: Drei Wochen bevor ich hinfahre, wird ein Bild Gauguins (es hängt in der Basler Ausstellung) für kolportierte 300 Millionen US-Dollar (genauer Petrodollar) als bislang teuerstes Gemälde der Welt verkauft. Gut, die Schweizer Preise!... Is ja jetzt alles drei Mal so teuer geworden hier! Wer kauft denn seine Gauguins auch in der Schweiz! Aber Katar kauft alles, vorausgesetzt die abgebildeten Frauen sind angezogen genug. Sind sie. Versicherungswert der Bilder über 2,5 Milliarden Franken, und das dürfte wohl zu tief angesetzt gewesen sein!

Ich stehe also vor dem teuersten Gemälde der Welt und es ist nicht einmal das beste im Saal. Ich spiele mein altes Museumsgedankenspiel: Du darfst dir ein Werk mit nach Hause nehmen: Nur eins. Welches suche ich aus? Schwierig. Das teuerste, nein. Das da ... zu groß! Die junge Frau mit dem Fächer? Ich nehm "Pape Moe" – die Trinkende an der Quelle. Bitte gut einpacken.

Gauguins Brunnen

Vor ein paar Jahren wurde der Brunnen bei Gauguins "Haus der Wonnen" ausgraben. Nach seinem Tod hatten die Nachbarn seinen Müll einfach reingekippt und zugeschüttet: Absinth-Flaschen, Morphiumflaschen, Spritzen. Medikamente. Rotwein und Fleischkonserven aus Frankreich. Ein Parfümfläschchen. Eine selbst gebastelte Zahnbürste. Farbreste. Gauguins kariöser Zahn. Das Paradies ist anderswo zu finden. Gauguin ist anderswo zu finden. Vielleicht in der Schweiz. Bis Ende Juni.

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