Wiener Popmusik ist museumsreif
Dass Popmusik aus Österreich wieder Thema ist, liegt an zwei Bands: Bilderbuch und Wanda. Die zwei erfolgreichen Musikbotschafter Wiens haben mit "Schick Schock" und "Amore" die verschlafene Musikszene wachgeküsst sowie das Interesse deutscher Medien geweckt. Diese schielen seither neidisch die blaue Donau hinunter und erfreuen sich an den Veröffentlichungen von Soap & Skin, Voodoo Jürgens, Nino aus Wien und zuletzt auch am Cloud-Rap eines gewissen Yung Hurn. Diese von Wien aus agierenden Künstler haben sich das eine oder andere von H. C. Artmann, Helmut Qualtinger, Falco, Danzer, Joesi Prokopez oder Ambros abgeschaut. Macht nichts. Pop ist immer auch eines: Wiederholung – und Copy & Paste.
Ganz Wien
Wien als fruchtbarer Boden für (neue) popkulturelle Strömungen. Diesem kaum erforschten und noch nicht zu Ende geschriebenen Kapitel österreichischer Musikgeschichte widmet sich nun eine Ausstellung im Wien Museum. "Ganz Wien. Eine Pop-Tour", so der Titel der Schau, zeigt bekannte Kostbarkeiten und unbekanntes Material aus vornehmlich privaten Sammlungen und Archiven: Videos, Konzertfotos, Plakate, Bühnenoutfits, Instrumente und Kurioses wie die Raver-Schuhe von Patrick Pulsinger.
Vom dreiköpfigen Kuratoren-Team wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren tausende Objekte gesichtet: Walter Gröbchen, Thomas Mießgang und Michaela Lindinger haben sich durch Kisten gewühlt – und Schätze entdeckt.
KURIER: Warum ausgerechnet jetzt eine Ausstellung über die Wiener Popmusik?
Michaela Lindinger: Das hat einen museumspolitischen Hintergrund. Die Idee zu einer Popausstellung im Wien Museum gab es ja schon länger. Unter Wolfgang Kos hat es aber nur zur Drahwidwaberl-Ausstellung gereicht. Dann kam vor zwei Jahren der neue Direktor Matti Bunzl, der offen für das Thema war.
Thomas Mießgang: Der Zeitpunkt für die Ausstellung ist perfekt. Bilderbuch verkaufen seit geraumer Zeit in Österreich und Deutschland große Hallen aus. Wanda wird im Herbst mit einer neuer Platte nachlegen. Dann gibt es noch Musiker wie Schmieds Puls, die zwar kaum jemand kennt, die aber tolle Musik machen. Die Szene war selten so vielfältig und kreativ wie heute. Und dann feiern wir noch 60 Jahre Falco, 50 Jahre Ö3. Es kommen gerade viele Stränge zusammen.
Herr Mießgang, Sie haben am Buch "Wienpop" (2013) mitgearbeitet. Ist das nun die Ausstellung zum Buch?
Mießgang: Nein, denn beim Buch haben wir die unmittelbare Gegenwart bewusst außen vor gelassen, weil keiner von uns wusste, ob jene Band, die gerade durchs Dorf getrieben wird, auch in drei Jahren noch Relevanz hat. Wir wollten ein zeitloses Buch schreiben, einen Klassiker, der aber dazu führte, dass wir die Jugend total vernachlässigt haben. Mit der Ausstellung wollen wir verstärkt ein jüngeres Publikum ansprechen.
Lindinger: Die Ausstellung wählt einen anderen Zugang. Wir gehen nicht von Personen und deren Geschichten aus, sondern wir nähern uns dem Thema über Orte und Szenetreffs.
In der Ausstellung wird die Wiener Popmusik anhand von Orten aufgearbeitet. Lässt sich aktuelle Popmusik überhaupt noch verorten?Lindinger: Ich denke, dass jetzt wohl die letzte Möglichkeit dafür ist, eine Ausstellung über die Wiener Popmusik anhand von Orten zu machen. Szenetreffs wie früher das Voom Voom Ende der 60er-Jahre, das U4, das frühe Flex, an denen Gesinnungen gebündelt und demonstriert werden, gibt es heute nicht mehr.
Mießgang: Die Popmusik in Wien ist nicht mehr topografisch lokalisierbar. Sie ist disloziert und findet oft in der Cloud, im Internet statt.
Wie klingt Wiener Popmusik? Gibt es Besonderheiten?
Lindinger: Wenn man sich auf die Texte konzentriert, lässt sich feststellen, dass die Wichtigkeit der Sprache in der Musik stets unterschiedlich war. In den 1960er-Jahren haben die meisten Bands nur englische Songs nachgespielt, da war die Sprache nicht so wichtig. Bei Chuzpe in den 70ern, bei Ambros und Falco war das wieder anders. Der "Vienna Sound" der 90er-Jahre rund um Kruder & Dorfmeister kam ohne Lyrics aus. Und jetzt dominiert die Sprache wieder in der Musik.
Mießgang: Das, was heute als typisch wienerisch bezeichnet wird, bezieht sich auf die Tradition des jüdischen Kabaretts mit Fritz Grünbaum, Armin Berg und Farkas. Der jüdische Witz war prägend für einen bestimmten Humor, den Wiener Schmäh. Wichtig ist auch der Einfluss der Wiener Gruppe, die in den 50er-Jahren eigene Dialekt-Gedichte geschaffen hat. Vor allem "Med ana schwoazzn dintn" von H. C. Artmann höre ich heute noch bei Songs von Voodoo Jürgens. Und dann spielt noch die Dominanz des Theater-Rock eine Rolle: Drahdiwaberl, die Schmetterlinge und EAV. In Österreich konnten sich viele Musiker nicht einfach nur so auf die Bühne stellen.
Wie stark setzt sich die Ausstellung aus Leihgaben von Sammlern zusammen?
Lindinger: Ohne Sammler wie Al Bird Sputnik, der mit seinem Trash Rock Archives (der KURIER berichtete, Anm.) viel Vorarbeit geleistet hat, wären wir gescheitert. Er hat uns Tipps gegeben, Schallplatten zur Verfügung gestellt und uns Karl Vollmann vermittelt, der Qualtinger-Sammler ist. Man kommt man vom Hundertsten ins Tausendste. Da die Ausstellungsfläche nicht mehr zulässt, mussten wir stark zuspitzen. Ich kann nicht 60 Jahre Wiener Popgeschichte auf 300 Quadratmetern detailliert darstellen.
Ausstellung: "Ganz Wien. Eine Pop-Tour" - ab 14. September im Wien Museum.
Seit 2015 sammelt die Wienbibliothek im Rathaus Vor- und Nachlässe sowie Konvolute an Materialien von zeitgenössischen Musikschaffenden aus Wien. Was dabei bislang gesammelt wurde, kann man nun im Rahmen einer Mini-Ausstellung begutachten.
"Blitzlichter" im Foyer der Wienbibliothek zeigt erstmals eine Auswahl an Materialien der neu übernommenen Musikersammlungen. Eröffnet wurde die Ausstellung am Donnerstagabend, wo die Wiener Punk- und New-Wave-Band Chuzpe ein paar ihrer Songs im Lesesaal der Bibliothek präsentierte. Noch bis 2. Februar werden zweidimensionale Objekte wie Songtexte, Fotos, Flyer, Plakate, Programme, Pressestimmen, Korrespondenzen sowie persönliche Dokumente von u. a. den Bambis, des Bluesmusikers Al Cook, des Liedermachers Sigi Maron, des Schlagzeugers Rudi Staeger und der Frauenpunkband a-gen 53 (siehe Faksimile) gezeigt. Dazu werden Drucke von Flyern und Plakaten gereicht, die aus der Sammlung von U4-Legende Conny de Beauclair stammen.
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