"Nur ein Versuch von Hamlet"

Der neue Burg-Star August Diehl über die Theaterrolle schlechthin (Premiere: 28. September).

August Diehl gibt zum Thema „Hamlet“ nur zwei Interviews: Dem KURIER und der Bühne. Ein trotz hohen Zeitdrucks (weil zwischen Durchlauf- und Kostümprobe angesetzt) bemerkenswert reflektiertes Interview in Diehls Garderobe.

KURIER: Als bekannt wurde, dass Sie den „Hamlet“ spielen, erschien das jedem logisch. Hatten Sie auch das Gefühl, diese Rolle habe auf Sie gewartet?
August Diehl:
Nein, das war komischer Weise nicht so, das kam alles ganz plötzlich. Natürlich steht „Hamlet“, wenn man diesen Beruf ausübt, als etwas da, was man einmal spielen will. Aber ich habe das nie ... ich will nicht sagen: zu hoffen gewagt. Aber ich habe nie in diese Richtung geplant. Das ist ganz plötzlich entstanden, infolge der gemeinsamen Arbeit mit Andrea Breth am „Prinz von Homburg“. Wir haben dann, glaube ich, gleichzeitig gesagt: Lass uns das versuchen, bevor es zu spät ist!

„Hamlet“ gilt ja als die Theaterrolle schlechthin. Wenn man sich bei den Proben näher damit beschäftigt: Bleibt er da eine Traumrolle? Ist die Rolle beglückend oder eher anstrengend?
(lacht) Es ist immer alles gleichzeitig. Es ist natürlich eine wunderschöne Rolle, und ein großes Glück, dass man sich mit diesen Texten beschäftigen darf, mit dieser Gedankenwelt. Aber dass das auch sehr anstrengend ist, und dass jetzt auch langsam die Premiere kommt ... das ist ein zweischneidiges Schwert. Diese Glücksgefühle – das läuft immer so antizyklisch. Man ist immer dann über etwas glücklich, wenn es schon längst niemanden mehr interessiert. Und wenn man das Glück hat, andere mit etwas zu beglücken, ist man vielleicht selber wahnsinnig unzufrieden.

Über „Hamlet“ gibt es Tonnen von Sekundärliteratur, unendlich viele Interpretationen. Haben Sie sich eingelesen?
Natürlich habe ich gelesen, und manches von dem war auch unglaublich erhellend. Aber das Interesse, das man dann entwickelt, wie bei einem alten griechischen Stück, ist eher ein dramaturgisches. Das hilft mir aber nicht wirklich weiter. Bei „Hamlet“ kommt man als Schauspieler irgendwann an den Punkt, an dem man aus lauter Wissen um die einzelnen Sätze gar nicht mehr den Satz sagen kann. Das Stück ist ja auch nicht deswegen so bekannt und bewegt die Leute heute noch, weil es so viel Sekundärliteratur darüber gibt – sondern es gibt so viel Sekundärliteratur, weil das Stück die Leute so bewegt.

Wie spielt man das?
Ich denke, man muss sich mit seiner ganzen Persönlichkeit dieser Rolle widmen. Es ist weniger eine Verwandlung – es ist sein ganzes Herz, das man auf die Bühne legt. Es geht um diese Angst, dass diese „Maschine“ – Hamlet nennt sein Herz ja eine Maschine – irgendwann aufhört, zu gehen. Irgendwann lässt man sich als Schauspieler dann von seinem Unterbewusstsein und seinem Instinkt treiben. Und ich bin auf diese Suche viel eher gespannt als auf die Ergebnisse, auf die mich mein Kopf bringt.

Da ist Andrea Breth die ideale Regisseurin für Sie – denn das ist es ja, was sie immer interessiert: das Suchen. Sie nimmt sich ja auch Zeit, um jeden Satz, jede Nebenrolle ganz genau anzuschauen.
Ich habe selten einen so großen Respekt vor dem Suchen und dem suchenden Schauspieler erlebt wie bei ihr. Sie lässt einem jeden Raum – bis hin zur völligen Vereinsamung. Sie lässt auch zu, dass man den Boden unter den Füßen verliert. Sie vertraut der Suche, weil sie selber eine Suchende ist, die, glaube ich, dieses Gefühl sehr gut kennt.

Man sagt ja, im Theater sind die Fragen immer interessanter als die Antworten.
Das sagt man so, ja. (lacht)

Ist es nicht so?
Ja, natürlich ist es so. Denn es sind ja nicht die Antworten, sondern die Fragen, welche unsere Gedanken am Laufen halten. Denn die Antwort ist immer der Vorhang, der fällt.

In Wikipedia steht, Ihre großen Vorbilder seien Robert De Niro und Gert Voss. Stimm das?
Diese Frage wird einem so oft gestellt, am Anfang sagt man nichts dazu, dann wandeln sich die Vorbilder im Laufe einer Biografie ja auch ständig, und irgendwann nennt man eben diesen oder jenen Namen. Sehr viele – Vorbilder würde ich jetzt nicht sagen, aber Menschen, die mich bewegen – mit denen habe ich das Glück, gerade auf der Bühne zu stehen. Es kling immer so pathetisch, aber die Art, wie sich Schauspieler, die ich bewundere, einer Sache annähern, der Approach, wie die Engländer sagen, den finde ich unglaublich. Bei Gert Voss hat mich vor allem fasziniert, wie er probt. Auch ich finde die Proben immer spannender als die Vorstellungen.

Man ist ja in Wahrheit auch nie fertig mit diesem Prozess, auch wenn ein Abend als Premiere definiert wird.
Mich würde es wahnsinnig freuen, wenn wir, die Schauspieler, und auch die Zuschauer das Gefühl einer öffentlichen Probe haben. Wir werden nie DEN „Hamlet“ machen – sondern einen Versuch von „Hamlet“. Manchmal ist ein Versuch unheimlich nahe an dem, was uns Menschen im Moment bewegt. Ich erlebe das bei den Proben sehr oft, dass eine Szene plötzlich so kristallklar da ist, wie ich sie noch nie gesehen habe, in aller Einfachheit. Und wenn wir da hinkommen – dann ist es dadurch, dass es Shakespeare ist, und dadurch, dass es dieses Stück ist, ein großes Erlebnis. Das ist ja die Krux: Ein Shakespeare-Drama ist immer spannender, wenn man es liest, als auf der Bühne. Wenn man es liest, ist es so spannend und klar – und die große Kunst ist es, das auch auf der Bühne zu erzählen.

Das Fantastische bei Shakespeare ist, dass sich seine Figuren auch unlogisch verhalten – wie echte Menschen auch.
Weil er ein Menschenkenner ist und auch selber Schauspieler war. Weil er weiß, dass eine sogenannte Logik oft wenig mit der Realität zu tun hat.

Zur Person: August Diehl

Kindheit: Diehl kam 1976 in Berlin zur Welt. Sein Vater ist Schauspieler, seine Mutter Kostümbildnerin. Er absolviert eine Waldorfschule und danach die renommierte Ernst-Busch-Schauspielschule.

Karriere: Den Durchbruch schafft er in der Rolle des Computerhackers Karl Koch im Kinofilm „23“ (1998). Im Theater arbeitet er mit Peter Zadek, Luc Bondy, Martin Kusej, Michael Grüber. Am Burgtheater brilliert er 2000 in „Die Möwe“. Diehl spielt in Tarantinos „Inglorious Basterds“ ebenso wie in „Die Fälscher“. Er ist Gitarrist der Band hands-up excitement!

Im Vorjahr arbeiteten Andrea Breth und August Diehl erstmals zusammen und waren auf Anhieb begeistert voneinander: Diehls fiebriger, hochgradig gefühlsbetonter „Prinz von Homburg“ begeisterte das Publikum (wenn auch nicht alle Kritiker). Die Inszenierung war bei den Salzburger Festspielen zu sehen und läuft seitdem ausverkauft am Burgtheater.

Als Burgdirektor Matthias Hartmann Ende März bekannt gab, dass Diehl fix ins Ensemble wechseln und in Breths Inszenierung den „Hamlet“ spielen wird, erschien das nur allzu logisch. Der hoch philosophische Stoff scheint ideal für Breth wie für Diehl zu sein. Breth bewies oft ihre sichere Hand für Klassiker. Ihre geduldige Arbeitsweise, bei welcher sie jeden Satz wie einen Stein umdreht, um zu sehen, was sich darunter finden lässt, ist dem neben „Romeo und Julia“ berühmtesten Theaterstück der Welt angemessen.

Und die Rolle des heftig spät pubertierenden Dänen-Prinzen, der sich nicht entscheiden kann, was schwerer wiegt – sein Ekel gegenüber der Verkommenheit von Welt und Politik oder doch seine furchtbare Angst vor dem Nichtsein – ist wie für Diehl geschrieben. Wenn man ihn spielen sah – sich schutzlos der Rolle ausliefernd, glühend, wie jemand am Rande des Absturzes – dachte man unwillkürlich: DAS wäre ein Hamlet!

Wie sagte Burgdirektor Hartmann, pathetisch, aber treffend über Diehl: „Er hat eine gebrochene Präsenz, ein glimmendes Geheimnis.“

In weiteren Rollen: Andrea Clausen als Hamlets Mutter, Roland Koch als sein Onkel und Stiefvater, Udo Samel als Polonius, Wiebke Mollenhauer als Ophelia, Markus Meyer als Horatio.

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