Auf der Yoga-Matte in den Weltuntergang

Auf der Yoga-Matte in den Weltuntergang
Die 68. Filmfestspiele präsentierten ein weites Spektrum an thematisch und ästhetisch völlig verschiedenen Filmen.

Was würden Sie tun, wenn Sie nur noch wenige Stunden zu leben hätten? Chinesisches Essen bestellen? Ein paar Yoga-Übungen machen? Noch möglichst viel Sex haben?
In dem US-Wettbewerbsbeitrag "4:44 Last Days on Earth" von Kultfilmer Abel Ferrara ("Bad Lieutenant") geht es im Angesicht des bevorstehenden Weltunterganges ziemlich entspannt zu. Der einst für seinen radikalen Drogen-Lebensstil so berüchtigte Ferrara hält es jetzt offensichtlich mit den Buddhisten: Sein New Yorker Pärchen, gespielt von Willem Dafoe und der erheblich jüngeren Shanyn Leigh, kann im Angesicht des angekündigten Weltunterganges Bilder malen, die Beziehung diskutieren und ästhetisch sehr ansprechend gefilmten Sex haben.

Bizarr

Auf der Yoga-Matte in den Weltuntergang

Wie sich Ferrara das Ende der Tage in den Armen einer um viele Jahre jüngeren Frau vorstellt, ist in seiner Weltabgewandtheit beinahe bizarr. Was dennoch besticht, sind die New Yorker Originale, die es als Nebenrollen in seinen Film geschafft haben: Trinkend sitzen sie in ihren Wohnungen herum oder taumeln durch die Straßen. Sie verraten etwas von der Sensibilität für das Räudige, das einst Ferraras Arbeiten auszeichnete. Überhaupt das Katastrophische - davon erzählen viele Filme auf dem 68. Festival von Venedig: Der japanische Extrem-Regisseur Sono Sion etwa arbeitete gerade an seiner Manga-Verfilmung "Himizu", als die Tsunami- und Atomkatastrophe über Japan herein brach. Sion ließ diese traumatische Erfahrung umgehend in die Dreharbeiten einfließen - und zeigt deprimierende Bilder der Verwüstung. Sein 15-jähriger Held will nichts anderes, als ein völlig normales Leben führen. Doch gerade die brutale Elterngeneration setzt alles daran, den Sohn zu zerstören.

Sono Sion erzählt seinen radikalen Generationskonflikt in einer Mischung aus Komik und Gewalt: Alte und Junge hauen sich Ohrfeigen herunter, brüllen sich an oder fordern einander auf, doch endlich in die Schlinge zu springen und zu sterben. In seiner grotesken Übertreibung provoziert Sion hysterischen Humor, ohne dabei aber die Ernsthaftigkeit und Verzweiflung seiner Figuren zu denunzieren.

Große katastrophische Verzweiflung bestimmt auch den Film "Il villaggio di cartone" des italienischen Altmeisters Ermanno Olmi. Ein alter Priester - der großartige Michael Londsale - nimmt in seiner dem Abbruch preisgegebenen Kirche illegale afrikanische Flüchtlinge auf. Olmis trauriges Drama beschwört die Verantwortung der katholischen Kirche - doch deren Vertreter, der alte Priester, liegt bereits im Sterben.
Radikales Außenseitertum radikal erzählt - das ist der britischen Regisseurin Andrea Arnold in dem herausragenden Wettbewerbsfilm "Wuthering Heights" gelungen. Basierend auf Emily Brontës grausamen Melodram, verfilmte Arnold die unglückliche Liebesgeschichte zwischen einer Farmerstochter und einem Knecht als beinahe sprachloses Drama. Mit furioser Handkamera wirft sich Arnold auf Details von Menschen und Landschaften, zeigt Haare, Felle, Knochen, Federn. Geschichte als Material - einzig das Interesse an dem Schicksal der Liebenden geht dabei verloren.

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