Auch Titus muss ins Krankenbett

Russell Thomas ist der Herrscher, der an seiner Milde zugrunde geht
Die erste Neuproduktion im Opernprogramm der Salzburger Festspiele, Mozarts "La clemenza di Tito", sorgt für Begeisterung und Irritation.

Da stand es wieder, ein riesiges Krankenbett, wie schon beim "Jedermann". Nur dass diesmal nicht der reiche Mann, sondern der milde Herrscher darin lag, und das den ganzen zweiten Akt hindurch, der Arme. Man kann schon gespannt sein, wo das Utensil im Verlauf der Salzburger Festspiele noch so auftaucht. Die Kunst im Krankenbett: Dieses Bild wird aus den ersten beiden Großproduktionen 2017 in Erinnerung bleiben.

Das Thema

Neue Zeiten in Salzburg – und es geht heuer explizit um Macht. Ein Thema, um das es gerade in Salzburg hinter den Kulissen immer wieder ganz stark geht, aber das nur nebenbei. Diesfalls wird politische Macht verhandelt, die Macht der Vergebung, die Macht, die den Mächtigen zu korrumpieren droht und die Ohnmacht der Macht.

Dafür hat Intendant Markus Hinterhäuser Mozarts "La clemenza di Tito" als Werk gewählt. Diese Oper stand auch 1992 am Beginn der Ära von Gérard Mortier. Und einer von Mortiers zentralen Regisseuren, Peter Sellars, der 1992 Olivier Messiaens "Saint François d’Assise" inszeniert hatte, kehrt für diese Produktion zurück zu den Festspielen. Gemeinsam mit Teodor Currentzis, der schon 2010 bei den Bregenzer Festspielen "Die Passagierin" von Mieczyslaw Weinberg als erste Oper in Österreich realisiert hatte, nahm er sich nun wieder Mozart an.

Die Inszenierung

Sellars erzählt eine schrecklich aktuelle Geschichte von Flüchtlingen, die gleich anfangs von Polizisten mit Maschinenpistolen bedroht werden, damit sie ja nicht weitergehen. Kaiser Titus selbst wählt aus, wer aus der Masse treten darf und wem quasi die Einreise bewilligt wird: Sesto und Servilia, dessen Schwester. Tragischerweise wird Sesto in Folge zum Attentäter, schnallt sich einen Sprengstoffgürtel um und schießt auf den Herrscher.

Allerdings hat Sellars die Perspektive verdreht, die Geschichte spielt diesmal in Afrika, konkret in Südafrika, es gibt Referenzen an Nelson Mandela, die Flüchtlinge sind hier die Weißen. Das ist ein enorm spannender Ansatz, allerdings wird Sellars in der Darstellung sehr konkret, sogar simpel und lässt Überhöhung, Abstraktion, Verdichtung, Tiefenforschung, Analyse, also viele essenzielle Mittel der Kunst, vermissen.

Der Chor betrauert einmal das Opfer des Anschlages – in einem Bild mit hunderten Kerzen, wie man es nach realen Terrorattacken kennt. Dann bildet er Kreise wie in gruppentherapeutischen Sitzungen, und die Choristen machen seltsame Gesten.

Der Attentäter Sesto wird abgeführt wie ein Guantanamo-Häftling. Und Titus, sein Opfer, das diesmal wirklich getroffen wird (nicht wie im Libretto von Caterino Tommaso Mazzolà nach Metastasio), vergibt ihm zwar am Ende, sieht aber keinen Sinn mehr, weiterhin in dieser Welt zu bleiben, reißt im Krankenbett die Schläuche aus seinem Leib und begeht auf diese Art Suizid.

Es ist ein ernüchterndes Finale, das Sellars hier präsentiert, ein Abgesang anstelle einer Huldigung, Resignation angesichts des Zustandes der Welt. Der Einzelne kann mit seiner Milde und seiner Toleranz nichts mehr ändern, es bleibt nur noch die Hoffnung auf die nächste Generation. Das scheint die Botschaft zu sein dieses würdevollen Schreittheaters, bei dem die Weltumarmung nicht mehr gelingt.

Die Felsenreitschule immerhin kommt gut zur Geltung, weil Bühnenbildner George Tsypin nur ganz minimalistisch agiert. Er lässt Stelen hochfahren, die an zerbombte antike Denkmäler in Syrien erinnern, dann wieder gläserne Objekte als Illusion von einer besseren Welt. Auch der Bombenbauertisch kommt aus dem Boden. Die Kostüme (Robby Duiveman) sind heutig, der Chor trägt Straßenkleider.

Das Dirigat

Die musikalische Gestaltung durch den teils hymnisch verehrten Teodor Currentzis und sein Orchester musicAeterna aus Perm (auch der sehr gute Chor kommt von dort) ist großteils atemberaubend und energiegeladen. Der in diesem riesigen Theater entwickelte Klang ist farbenprächtig, transparent, gleichermaßen zart wie kraftvoll. Vor allem die Pianissimi gelingen zauberhaft.

Man erkennt die Handschrift, hört dabei aber auch eindeutig die Vorbilder. Und man versteht, warum zu Beginn der neuen Intendanz dieses Orchester Mozart spielt. In einer Zeit, in der es traditionelle Opern- und Symphonieorchester gerade in diesem Repertoire so schwer haben, weil Originalklang-Pioniere über Jahrzehnte hinweg innovativer waren, sind solche neuen Zugänge unerlässlich.

Allerdings gelingt nicht alles präzise, dafür haben Ausdruckskraft und Phrasierung Priorität. Viele, nein, fast alle Tempi, sind gewöhnungsdürftig. Die langsamen Passagen sind, ebenso wie die schnellen, extrem ausgereizt. Dazwischen fehlt es oft an dramaturgischer Differenzierung, ein Tempo kann ja immer nur in Relation zu anderen Tempi wirken (schlag nach bei Harnoncourt).

Die Fassung

Die in Salzburg gespielte Fassung ist mutig. "La clemenza di Tito" wird vor allem durch Auszüge aus der Großen c-Moll-Messe, aus dem Adagio und Fuge c-Moll und am Ende aus der Maurerischen Trauermusik ergänzt. Das ergibt einige bezaubernde Hörerlebnisse, dann wirkt es wieder konstruiert und nicht ganz plausibel, warum ein nicht wirklich übles Werk auf diese Art umgeschrieben wird. Wunderbar musiziert sind die Rezitative sowie die solistischen Passagen.

Die Sänger

Aus der Besetzung ragt Marianne Crebassa als erstklassiger Sesto heraus. Ihr Mezzo ist kraftvoll, sehr schön timbriert, die berühmte "Parto, parto"-Arie singt sie phänomenal, dabei wird sie auf der Bühne vom Soloklarinettisten Florian Schüle zauberhaft umgarnt, die beiden wälzen sich sogar am Boden. Russell Thomas ist ein Titus mit dramatischen Ansätzen, guter Mittellage und einigem nötigen Kraftaufwand in der Höhe.

Golda Schultz, die über einen nobel, lyrischen Sopran verfügt, ist für die Vitellia alles andere als ideal, was man vor allem während der "Non più di fiori"-Arie merkt, bei der sie in den tieferen Lagen vor größte Probleme gestellt wird. Mit dieser Partie gab der seiner Zeit stets voraus seiende Mozart durchaus schon Vorgriffe auf Folgendes, etwa darauf, was Beethoven später für die "Fidelio"-Leonore komponierte – das hört man hier gar nicht. Christina Gansch ist eine Servilia mit süßem Sopran, Jeanine De Bique als Annio kein stimmliches Schwergewicht und Willard White ein profunder Publio.

Bei allen Einwänden, die kommen, wenn man genau hinhört und hinschaut: Dieser Mozart im neuen Gewand ist ein musiktheatralischer Kraftakt, eine Irritation, wie sie manchmal vonnöten ist, ein Theaterwunder zum Wundern.

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