Annas Triumphmarsch: Netrebko als Aida in Salzburg

Anna Netrebko: Die beste Aida seit langer Zeit
Netrebko besticht bei ihrem Debüt als Verdis Aida und ist die Lichtgestalt einer Produktion mit szenischer Leere.

Diese Aufführung wird Opernliebhabern dank des Rollendebüts von Anna Netrebko noch lange im Gedächtnis bleiben. Und sie erinnert auch optisch an große Produktionen aus der Vergangenheit. Naja, vielleicht nicht aus der Zeit von Gérard Mortier, an die durch die konsequente Einbindung von bildenden Künstlern nun wieder angeschlossen wird. Eher an die Zeit Herbert von Karajans, als Regie noch nicht ganz so wichtig war.

Man sieht Steh-Theater, Sitz-Theater, Schreit-Theater mit Gesten wie aus dem Handbuch für Opernklischees (nicht die aktuelle Ausgabe, sondern jene aus den 1980er Jahren) – aber bleiben wir so lange wie möglich beim Positiven, das diese Neuproduktion von Giuseppe Verdis "Aida" bei den Salzburger Festspielen auszeichnet. Bleiben wir beim Ereignishaften, beim Stern, der ihren Namen trägt: Anna Netrebko.

Im Licht

Schon ihr erster Auftritt ist eine Freude und zeigt, wie wenig die anderen Sängerinnen und Sänger von der Regie geführt sind und wie sehr Netrebko aus der Partie der äthiopischen Königstochter ihre eigene macht, wohl dank Rollenselbstfindung.

Sie spielt intensiv wie fast immer, versteht ihr Publikum zu berühren, ist glaubhaft die Leidende, die Liebende, die sich Aufopfernde. Stimmlich ist ihr traumhaft timbrierter Sopran endgültig in diesem schon sehr dramatischen Fach angekommen, hat aber in der Höhe die Leichtigkeit bewahrt. Die tiefen Töne sind ebenso markant und schön, Registerwechsel scheinen für sie kein Kriterium zu sein. Wie sie mit den Tönen spielt, wie sie eine Note aufnimmt, durch ihr begnadetes Instrument schickt und am Ende im Großen Festspielhaus platziert, ist einzigartig.

Es ist immer ein Vergnügen, eine neue Partie der Netrebko hören zu dürfen – bei der Aida ist es ein noch größeres Vergnügen als zuletzt bei der Elsa im "Lohengrin". Jetzt ist sie auch bereit für die Tosca, die sie 2018 an der MET in New York singen wird.

An ihrer Seite ist Francesco Meli ein erstklassiger Radamès. Er singt den zwischen zwei Frauen stehenden und mit dem Kopf durch die Wand wollenden Feldherrn mit wunderbaren Phrasierungen, zart in der Intonation, nie kraftmeierisch. Schon das "Celeste Aida" gelingt so kultiviert, wie man es lange nicht mehr gehört hat. Mag sein, dass er polarisiert, weil er sich den Spitzentönen wie ein Lyriker und nicht wie ein Boxer nähert.

Ekaterina Semenchuk verfügt als Aidas Gegenspielerin Amneris über einen mächtigen Mezzo, der von Akt zu Akt besser zur Geltung kommt und im letzten vollends überzeugt. Luca Salsi singt den Amonasro gleichermaßen kraftvoll wie nobel. Dmitry Belosselskiy als Ramfis ist ebenfalls sehr gut, Roberto Tagliavini als König gut besetzt, der Wiener Staatsopernchor agiert sehr präzise.

Bleiben wir weiterhin beim Positiven: Riccardo Muti leitet die hinreißend, farbenprächtig spielenden Wiener Philharmoniker höchst differenziert. Er fokussiert sich bei dem Werk, mit dem er einst an der Staatsoper debütiert hatte und das er seit Jahrzehnten nicht mehr dirigierte, auf die feinen, leisen, unheroischen, kammermusikalischen Facetten. Diese zarte, zerbrechliche "Aida" ist im Detail glänzend.

Im Scheinwerfer

Man wird jedoch das Gefühl nicht los, dass jede Sequenz für sich allein schön gestaltet ist, dass das dramaturgische Ganze, der große Bogen dabei aber etwas verloren geht. Am Ende, wenn es auf der Bühne im Grab der Aida und des Radamès schon ganz finster ist und sogar im Orchestergraben die Pultlichter ausgehen, bleibt noch ein Scheinwerfer auf Muti erleuchtet – der Maestro scheint die ganze Produktion zu dominieren.

Im Schatten

Womit wir bei der Inszenierung der iranischen Foto-, Film- und Videokünstlerin Shirin Neshat wären, die zum ersten Mal Regie bei einer Oper führte. Ihr Zugang ist klar und auch nachvollziehbar: Sie will das Werk offenkundig aus dem ägyptischen Klischeezwang befreien, die Frage nach Gut und Böse nicht beantworten und eine allgemeingültige Geschichte jenseits der religiösen Zuordenbarkeit erzählen. So sehen etwa die ägyptischen Priester bei ihr aus wie griechisch-orthodoxe. Soll sein.

Das Problem ist jedoch, dass sie aus diesem Ansatz so gut wie nichts macht (das Nichts nichtet belanglos auf der Bühne vor sich hin). Eine Personenführung ist kaum existent, Liebesduette werden in großer Entfernung voneinander absolviert, sämtliche Figuren (Ausnahme: Aida) bleiben blass.

Das Schlimmste ist der Triumphmarsch, bei dem die Idee zwar evident ist: Kriegshelden sind schrecklich, also feiern wir sie nicht und bleiben stattdessen regungslos. Das Ergebnis mit unzähligen Sitzsängern, sechs Tänzern mit Tiermasken und einer kleinen Flüchtlingsgruppe ist jedoch völlig untheatralisch. In dieser Szene wackelt es musikalisch mehr als auf der Bühne. Sehnsüchtig erinnert man sich an Peter Konwitschnys "Aida", der diesem Werk auch den Heldenstatus genommen hat, ohne dabei jedoch in Bewegungslosigkeit zu verfallen.

Das Bühnenbild (Christian Schmidt) besteht aus einem weißen Kubus, der wie eine Styroporbox geöffnet werden kann (so eine Verschwendung an Verpackungsmaterial), auch die Kostüme (Tatyana van Walsum) sind medioker.

Die Idee, Shirin Neshat mit "Aida" zu betrauen, ist aufgrund ihrer eigenen Heimatlosigkeit und der künstlerischen Auseinandersetzung damit definitiv klug. Als Bühnenbildnerin wäre sie aber wohl besser zur Geltung gekommen. Oder mit einem Co-Regisseur, der mehr vom Handwerk versteht. Möglicherweise war aber der große Muti sehr einverstanden mit dieser Umsetzung – er war es auch, der Neshat am Ende auf die Bühne holte und gar nicht mehr losließ.

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