Netrebko und die schwulen Cowboys

Eine ideale Tatjana: Anna Netrebko brillierte in München; in Salzburg singt sie ab 8. August wieder die Leonora in  Verdis „Il Trovatore“
Der Superstar triumphierte an der Bayerischen Staatsoper in Tschaikowskys "Eugen Onegin".

Besser hätten die Münchner Opernfestspiele nicht in ihre Zielgerade einbiegen können. Denn während in Salzburg Wolfgang Rihms "Eroberung von Mexiko" gefeiert wurde, ereignete sich auch an der Bayerischen Staatsoper ein Opernfest der Superlative. Zwar nicht wie ursprünglich geplant mit Puccinis "Manon Lescaut" in der Regie von Hans Neuenfels, aber dafür mit der laut Spielplan vorgesehenen Protagonistin, mit Anna Netrebko.

Diese war bekanntlich aus der Neuenfels-Produktion ausgestiegen, also setzte Intendant Nikolaus Bachler für Netrebko (und damit für das Publikum) kurzerhand Tschaikowskys "Eugen Onegin" an – in der nicht minder aufregenden und einen Teil der Besucher immer noch verstörenden Inszenierung von Krzysztof Warlikowski.

Mondlandung

Dieser verlegt nämlich die Geschichte rund um die unerfüllt bleibende Liebe zwischen Tatjana und Onegin (samt fatalem Duell) in die USA der 60er-Jahre zur Zeit der Mondlandung und zieht eine großartige Parallele zu Tschaikowskys Leben. Onegin weist hier Tatjana deswegen ab, weil er in Wahrheit homosexuell ist, dies aber weder wahrhaben will, noch ausleben kann. Passend zum vertrackten Liebesleben des Komponisten. Onegins Objekt der Begierde ist Lenski, den er aus genau diesem Grund (im Bett) erschießen muss, die späte Liebeserklärung an Tatjana ist ein verzweifelter Versuch, sich in ein spießbürgerliches Leben zu retten. Dazu gibt es ein toll gemachtes, schwules Cowboy-Ballett und ganz viele, starke Anspielungen auf die Verlogenheit der Gesellschaft.

Makellosigkeit

Ein Rahmen, in dem sich Netrebko merkbar wohlfühlte. Denn so eindringlich, so innig, so fantastisch hat man die an sich immer großartige Sopranistin selten gehört. Netrebko ist diese Tatjana, in dieser Partie ist sie vielleicht sogar am authentischsten.

Und ihre Stimme ist gigantisch. Was für eine Wärme, was für ein dunkler Glanz, welch herrliche Legato-Bögen, welch traumhafte Lyrismen. Dazu noch eine perfekte Höhe, stets makellose Register-Übergänge, fabelhaft gesetzte Piani und eine darstellerische Intensität, die ihresgleichen sucht. Eine Ausnahmekünstlerin eben.

Aber auch alle übrigen Beteiligten (Reprise: 29. Juli) agieren auf höchstem Festspiel-Niveau. So ist Mariusz Kwiecien ein vokal wie optisch höchst attraktiver Onegin, dem man seine innere Zerrissenheit mühelos abnimmt, der sich in seinen großen Szenen stimmlich alles holt und perfekt mit dem nicht minder überragenden Lenski des Tenors Pavol Breslik harmoniert. Dass beide Herren dazu noch hervorragende Singschauspieler sind, macht die Angelegenheit noch besser.

Purer Luxus auch sonst. Etwa Günther Groissböck als hinreißender Gremin oder die mit satter Altstimme ausgestattete Olga von Alisa Kolosova. Nur Dirigent Leo Hussain könnte mit dem exzellenten Bayerischen Staatsorchester (inklusive Chor) noch ein bisschen mehr auf Dramatik setzen. Egal, München ist definitiv jede Reise wert.

KURIER-Wertung:

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