Anna Netrebko: Im Triumphmarsch zur "Aida"

Anna Netreko im Pariser "Eugen Oneging"
Großer Erfolg als Tatjana in "Eugen Onegin" an der Pariser Bastille-Oper.

Wo auch immer Netrebko draufsteht, ist zur Zeit Netrebko drinnen. Soll heißen: Die Starsopranistin wird den allerhöchsten Erwartungen regelmäßig gerecht, beschenkt ihr Publikum vielerorts mit herausragenden Opernabenden und bildet ihre eigene Klasse innerhalb der Champions League.

Seit Dienstag ist sie an der Pariser Opéra Bastille zu erleben, als Tatjana in Tschaikowskis "Eugen Onegin". Diese Partie hatte sie eben erst an der New York Met gesungen. Nach den Auftritten bis Ende Mai in Paris wird sie noch "Adriana Lecouvreur" in St. Petersburg singen, ehe die Proben für ihr Rollendebüt als Aida bei den Salzburger Festspielen beginnen. Dem Applaus bei der ersten Aufführung in Paris nach zu urteilen, geht es für sie jedenfalls im Triumphmarsch zur Aida.

Diva, nicht divenhaft

Netrebko singt die Tatjana zutiefst berührend, sicher in den Spitzentönen, farbenprächtig, prachtvoll phrasierend, mit traumhaft schönem dunklen Timbre. Wie sie die Briefszene und das Finale gestaltet, wie sie mit ihrer einzigartigen Stimme herausragt, dabei jedoch ihren Bühnenpartnern dennoch Raum lässt, ist grandios. Eine Diva ohne die bei anderen so oft damit verbundene Attitüde. So gut sie in fast allen Partien ist, die sie singt – im russischen Fach ist sie wohl am allerbesten.

Peter Mattei ist ein ausdrucksstarker Eugen Onegin an ihrer Seite, Pavel Černoch singt den Lenski mit großem Kraftaufwand und seine Arie "Kuda, kuda" besonders schön, Varduhi Abrahamyan überzeugt als Olga nur stimmlich, Alexander Tsymbalyuk als Gremin gar nicht. Das Dirigat von Edward Gardner ist professionell, der Orchesterklang nicht sonderlich facettenreich und differenziert – das ist wie ein glutenfreier "Eugen Onegin" oder einer für Diabetiker.

Was diese Produktion aber über sängerische Leistungen hinaus bemerkenswert macht, ist die Inszenierung von Willy Decker. Mit diesem Regisseur hatte Netrebko in Salzburg ihren größten Erfolg gefeiert, als Violetta in "La Traviata". Deckers Pariser "Eugen Onegin" ist mittlerweile mehr als 20 Jahre alt (aus dem Jahr 1995), funktioniert nach wie vor erstklassig, ist im Kubismus-artigen Bühnenbild von Wolfgang Gussmann, das raffiniert mit Perspektiven spielt und die aus der Balance gekommenen Seelenzustände der Protagonisten optisch weiterführt, weiterhin attraktiv, wenn auch recht traditionalistisch. Jedenfalls zeigt diese Aufführung, dass gute Produktionen durchaus eine lange Halbwertszeit haben können, wenn die Personenführung adaptiert wird.

Tristesse im Bierzelt

Ähnliches war tags zuvor bei Christoph Marthalers Inszenierung von Alban Bergs "Wozzeck" zu beobachten, die 2008 für Paris entstand und nun wieder in einer neu besetzten Serie gefeiert wurde. Marthaler siedelt die tragische Geschichte, wie er es so gut wie immer macht, in unserer Zeit an, lässt "Wozzeck" bei einem Zeltfest spielen, das an Tristesse nicht zu unterbieten ist. Wozzeck ist kein Soldat, sondern ein geschundener Securitymann zwischen Bierkisten und Aschenbechern. Die Zeichnung der Figuren funktioniert aber auch in diesem Umfeld bestens. Aller Sozialromantik beraubt bleibt hier nur die Autopsie.

Michael Schønwandt dirigiert das Pariser Orchester äußerst präzise, die musikalische Gestaltung ist besser als bei "Onegin". Johannes Martin Kränzle präsentiert in der Titelpartie eine berührende Studie des Verfalls. Auch der Rest der Sänger liefert den Beweis, wie gut die Pariser Oper ein solches Werk zu besetzen vermag: Gun-Brit Barkmin als Marie, Štefan Margita als Tambourmajor, Nicky Spence als Andres, Stephan Rügamer als Hauptmann, Kurt Rydl als Doktor.

Im Sommer wird "Wozzeck" bei den Salzburger von William Kentridge neu inszeniert, worauf sich Opern- und Kunstliebhaber seit langem freuen.

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