"Ang'speist": Erkundungen im Wiener Magen

"Ang'speist": Erkundungen im Wiener Magen
Richard Weihs kredenzt im Ottakringer Weinhaus Sittl einen dichten literarisch-musikalischen Abend über Wiener Ess- und andere Gewohnheiten.

Die Wiener und das Essen. Eine Liebe, die durch den Magen geht und sich vor allem auf denselben schlägt. Dann ist man eben: "Ang'speist". So heißt auch das neue Programm von Richard Weihs, in dem der Autor und Musiker "Wiener Völlegefühlen" auf den Grund geht. Schließlich ist es von einem gut gefüllten Magen oft nicht weit zum "Ang'fressen sein". Dass Gemütszustände (Wurschtigkeit) und Emotionen ("Di hob' i scho g'fress'n!") im Wienerischen oft etwas mit Magenbefindlichkeiten zu tun haben, weist Weihs in einem kabarettistischen Abend im traditionsreichen Weinhaus Sittl nach, der vom Dialog mit dem Publikum fließend in eine Lesung mit Musik übergeht. Die Gäste werden bei der Premiere ermuntert, auch während der Vorstellung zu essen. Und, keine Sorge, versichert Weihs, "die grauslich'n Sach'n" im Programm würden ohnehin erst nach der Pause folgen.

Mit einem gefüllten Magen lässt sich die Weihs'sche literarische Zeitreise auch leichter nachvollziehen. Schon im 18. Jahrhundert wusste der Berliner Schriftsteller (und Satiriker) Christoph Friedrich Nicolai über das "beständige Schmausen" der Wiener zu berichten. Als weitere literarische Zeugen dafür, dass die Wiener Seele eigentlich im Verdauungstrakt beheimatet ist, kredenzt Weihs zahlreiche Gustostückerl von Literaten wie Fritz Grünbaum, Karl Kraus, Alfred Polgar, Vinzenz Chiavacci ("Frau Sopherl vom Naschmarkt") und "Herr Strudl"-Erfinder Ernst Kein ("Wirtshausgespräche"). Deren Texte verbindet Weihs zu einem deftigen, unzählige Gänge umfassenden Menü. Immer wieder ist man verblüfft, wie bildreich der Wiener Sprachschatz ist, aus dem Weihs schöpfen kann.

Gourmand und Grantscherm

Da frisst sich in Josef Weinhebers "Der Phäake" ein wahrer Gourmand durch ganz Wien: "Ich hab sonst nix, drum hab ich gern ein gutes Papperl, liebe Herrn: Zum Gabelfrühstück gönn ich mir ein Tellerfleisch, ein Krügerl Bier ..." Da sinniert Karl Kraus der über das wechselnde Geschlecht von Lebensmitteln im Wienerischen: Die Fettn, die Schink'n, der Butter. Eine These, die Weihs auch mit dem "gerappten" Lautgedicht "Da Tschoklad" weiterführt.

Garniert wird mit eigenen Texten und Neu-Interpretationen von Blues-Klassikern (Muddy Waters). Manchmal kann Chicago auch Wien werden - wie Weihs listig anmerkt. Auf der Slide-Gitarre spielt er etwa den etwas enervierenden "Grantscherm-Blues". Zu einem achtstrophigen Wurst-Epos wächst sich der "Blade Blunz'n Blues" aus. Darin trägt eine Supermarkt-Blutwurst menschliche Züge und geht "in an Sackl vapockt auf d'Ras". Ruhiger wird's beim traurigen "Schwaa im Mogn", in dem sich ein unglücklich Verliebter die Seele verstaucht hat.

Fenster in eine andere Zeit

"Ang'speist": Erkundungen im Wiener Magen

Der Zufall verhilft Weihs just am Premierentag zu einem "Bühnenbild": In einen (Täglich alles-)Zeitungshalter eingespannt hängt hinter ihm die Kronen Zeitung an der holzvertäfelten Wand, der Titel des Tages: "Jedes 5. Kind ist viel zu dick!" Stimmiger als diese Schlagzeile ist nur mehr der Ort des Kabarettabends, das Weinhaus Sittl am Lerchenfelder Gürtel. Das gemütliche Salettl im Gastgarten (Pelikan-Stüberl) erscheint wie ein Fenster in eine andere Zeit. Als noch die Einbrennsuppe in Mode war. Auch diese ist für Weihs "a Begriff aus ana Zeit, die's eigentli goa ned geb'm hot". Aber selbst "die Zukunft is a ned mehr des, wos's amoi woa." Das Bonmot bezieht Weihs auf das Schutzhaus "Zur Zukunft" auf der Schmelz und das dort angebrachte Schild: "85 Jahre Zukunft".

Weihs beschränkt sich nicht darauf, Texte aus der Jahrhundertwende oder Alt Wiener Schmankerl aufzutischen. Die literarische Reise führt über Ernst Jandls "Mahlzeit" ("haben stecken in das mund das nudelrund auf gabel") bis zu Franzobel ("Wos im Reisfleisch olles drin is'...") und zu den Dialekt-Miniaturen von El Awadalla. Die kernigen Texte der Wienerin fügen sich besonders gut ins Bild. Und Weihs selbst führt in einem Gedicht mit Rhythmusbegleitung das Schimpfen der Naschmarkt-"Fratschlerinnen" vor Augen. Ein Kulturgut - denn die Gemüseverkäuferinnen machen aus beinahe jedem bekannten Lebensmittel ein Schimpfwort.

Vertonte Sachertorte

Unzählige Fundstücke holt Weihs aus seiner Speis und auch das Bekannte hat keinen schalen Geschmack. Die Spezialitäten der Wiener Sprache werden nicht bloß aufgewärmt, sondern fein abgeschmeckt und erfrischend serviert. Besonders gelungen ist auch eine Parodie auf André Heller, dessen berüchtigt-verträumte Intonation Weihs mit einer "vertonten Sachertorte" vergleicht. Und auch ein "Kopfstück" von Herbert Hufnagl kommt im "Sittl" auf den Tisch. Der langjährige KURIER-Kolumnist hat darin einen 177 Wörter umfassenden "Langsatz" aus dem Bereich der Küchenhygiene zitiert, entführt aus dem Magistratischen Bezirksamt Wien-Alsergrund. Mahlzeit!
(Herbert Hufnagls Text von 1998 können Sie am Ende des Artikels lesen)

Abschließend sei es dem Kritiker erlaubt, in diesem speziellen Fall auch auf eine gastronomische Leistung des Abends einzugehen: Das im "Sittl" servierte Gebackene Kalbsbries war knusprig - wie der Wiener Schmäh dieses Abends. Der G'mischte Salat war bunt wie die Textauswahl, ergab aber doch wie diese ein stimmiges Ganzes. Nur: So zart wie das Kalbsbries war der Weihs'sche Abend nicht. Eher Hart. Wenn er etwa über den an Deix-Figuren gemahnenden "Österreichischen Volkskörper" sinniert und zum Schluss kommt: "Der Volksmund fäut". Aber die versprochenen wirklich "grauslich'n Sach'n", die Weihs noch kredenzte, seien hier nicht verraten. Dafür braucht's die richtige Unterlag'.

INFO

Stück
"Ang'speist - Eine deftige Portion Wiener Völlegefühl"
von und mit Richard Weihs.

Wann
Premiere: 8. April. Bis 24. April, Donnerstag bis Samstag, jeweils 20 Uhr.

Wo
Weinhaus Sittl
1160 Wien; Lerchenfelder Gürtel 51
Kartenreservierung unter Tel. 01/586 33 95


Zur Person
Richard Weihs wurde 1956 in Wels, OÖ, geboren, lebt seit 1964 in Wien.
Mehre Programme mit Theatergruppe "Trittbrettl", mehrmalige Zusammenarbeit mit Klaus Trabitsch und Claus Tieber.
Soloprogramme (Auswahl): "Dunkle Kanäle" 1988, auf dem "Boot" am Donaukanal, "Schmähstad'l" 1992, im Kabarett Niedermair, "Wiener Wahn" 2007, "Aufg'legte Wuchteln" 2008, "Liebesglut" 2009.

Zum Nachlesen: Der Langsatz in der österreichischen Amtssprache

"Satziputzi des Jahres", Herbert Hufnagl im KURIER, 15. April 1998:

In der österreichischen Amtssprache nimmt der Langsatz eine hervorstechende Position ein. Generationen von Beamten feilen an ihm, was dabei herauskommen kann, fällt oft in den Bereich des Kunstwerkes. Wie z. B. dieser, entstanden im Magistratischen Bezirksamt Wien-Alsergrund:

Sie haben als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit zur Vertretung nach außen Berufener der (...) zu verantworten, daß diese Gesellschaft am (...) in ihrem Kaffeehaus in Wien (...) insoferne nicht vorgesorgt hat, daß Lebensmittel nicht durch äußere Einwirkung hygienisch nachteilig beeinflußt wurden, obwohl das nach dem Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung zumutbar war, als die in der Küche von der Küchenkraft (...) beim Hantieren mit Lebensmitteln getragene Küchenschürze, rechteckig, ca. 75 x 85 cm groß, ehemals weiß,
aus Baumwolle, mit zwei ca. 80 cm langen Bändern, extrem stark verschmutzt und äußerst unappetitlich war, da die Bauchgegend und der Hüftbereich großflächig grünlich bis dunkelgrau verschmiert sowie die Schürze an der unteren Ecke mit rostbraunen Flecken verunreinigt war sowie auch muffig, dumpf, etwas nach Gewürzen (Küchengeruch) roch, wobei durch die Unterlassung des gründlichen Waschens dieser Schürze, das nach dem Stand der Wissenschaft möglich und nach der Verkehrsauffassung zumutbar gewesen wäre, die Möglichkeit bestand, daß durch die bereits vorhandene mikrobielle Verunreinigung und Anreicherung von koagulase-positiven Staphylokokken, somit durch Übertragung von Schutzpartikeln eine
hygienisch nachteilige Beeinflussung der Lebensmittel begünstigt hätte werden können.

Diese 177-Wörter-Strafverfügung ist für mich das Satziputzi des Jahres, wozu dem Verfasser zu gratulieren ist. Man sollte ihm die verhängte Geldstrafe von S 3000 gutschreiben.

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