Analyse: Entscheidende Tage für #MeToo

Die hohe Lautstärke bügelt über manche Finesse drüber.

Das Netz ist ein wankelmütiger Partner: Auch die wichtigste Online-Diskussion kann rasch enden, wenn ein anderes Thema die Aufmerksamkeit abzieht – und sei es noch so unwichtig.

Umso faszinierender ist, welche Nachhaltigkeit die #MeToo-Debatte inzwischen erreicht hat. Sie ist weit davon entfernt, abzuebben; im Gegenteil: Mit der notwendigen Verzögerung ist die Debatte nun in den Kulturinstitutionen angekommen, und diese reagieren auch schon. Langsam.

Im österreichischen Klassik-Musikleben sind zwar bisher keine Vorwürfe öffentlich geworden, berichtet nun die APA; es wurden jedoch Ansprechpartner für Betroffene definiert. In England wurde eine Studie erstellt, die aufzeigte, dass Übergriffe gegen junge (Pop-)Sängerinnen gang und gäbe sind. Hunderte schwedische Sängerinnen pochten schon vor Wochen auf Gehör.

Der erste wirklich prominente Fall im Popbereich betrifft Hip-Hop-Produzentenlegende Russell Simmons. Und es ist davon auszugehen, dass gerade in dem Bereich noch vieles ans Tageslicht kommen wird.

Mit #MeToo tut sich eine einmalige Chance auf – und zwar eines gesellschaftlichen Wandels, der von der Kultur ausgehend alle Bereiche umfasst. Auch wenn die Debatte manchen Misston mit sich bringt. Gesellschaftlicher Wandel ist mit Etablierungs- und auch Eskalationsnotwendigkeiten verbunden: Eine Diskussion, die ohnehin von vielen lieber gestern als morgen beendet würde, lässt sich zumindest anfangs nur laut vorantreiben. Wer #MeToo flüstert, wird erst recht nicht gehört werden.

Diese hohe Lautstärke bügelt über manche Finesse drüber; dass jetzt Hollywood-Ikone Meryl Streep in Erklärungsnotstand gerät, weil sie von Weinsteins Umtrieben nichts gewusst hat, ist unfair. Matt Damons etwas ungeschickte Differenzierungsversuche (mehr dazu hier) helfen in der Form auch nicht weiter.

Jetzt muss sich die Debatte neu aufstellen. Im Idealfall wird sie 2018 so weitergeführt, dass mit der notwendigen Ruhe differenziert – und mit der notwendigen Energie an der Veränderung weitergearbeitet werden kann.

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