Analyse: Burg. Macht. #MeToo

Regisseur Matthias Hartmann
Die Vorwürfe gegen Matthias Hartmann zeigen Missstände – und Missverständnisse.

Die #MeToo-Debatte über männlichen Machtmissbrauch, gestörte Geschlechterverhältnisse und verbale Überschreitungen ist an der Spitze der österreichischen Kulturszene angekommen – just zu der Zeit, da sich die ursprünglich sehr fokussierte Debatte fast bis zur Unkenntlichkeit aufgeweicht hat.

Rund 60 Beschäftigte des Wiener Burgtheaters – darunter auch zahlreiche namhafte Schauspieler und Schauspielerinnen – haben im Standard einen offenen Brief veröffentlicht, mit dem sie eine "Atmosphäre der Angst und Verunsicherung" beklagen, die unter dem einstigen Theaterdirektor Matthias Hartmann geherrscht habe. Die konkreten Vorwürfe reichen von der Beschimpfung des technischen Personals über die Demütigung einzelner Produktionsmitarbeiter bis zu Homophobie.

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Hartmann habe einer vorwiegend weiblichen Besetzung einen anzüglichen Witz über den Eiweißgehalt von Sperma erzählt, beim traditionellen "Toi toi toi" vor Vorstellungen das letzte "Toi" mit einem Schlag auf das Schauspielerinnen-Gesäß akzentuiert und einen Choreografen als " Tanzneger" bezeichnet, gaben die Burg-Mitarbeiter an; vier Jahre, nachdem die Amtszeit Hartmanns im großen Finanzskandal geendet hatte.

Die Unterzeichner betonen, dass es um nichts strafrechtlich Relevantes gehe, und dass auch andere Regisseure "Machtmissbrauch, Demütigung und Herabwürdigung als probates Mittel in der Arbeit" ansehen.

Hartmann pocht auf den Kontext

Hartmann bestreitet die Vorwürfe faktisch nicht, aber den Kontext - und spricht von einem gezielten Angriff auf seine aktuelle Premiere. Er sei weder Rassist noch Chauvinist; den Begriff "Tanzneger" habe etwa der Choreograf selbst verwendet.

Aus dem Burgtheater schwappt also eine Diskussion an die Öffentlichkeit – übrigens gegen den Willen anderer Burgmitarbeiter –, die den Beobachter vor eine nicht kleine Einordnungsherausforderung stellt. Trotz des schlechten Bildes, das Hartmann selbst von sich in der Öffentlichkeit hinterlassen hat: Damit umzugehen, dass er (in den Augen vieler) ein mieser Chef war, unter dem sich Burgmitarbeiter scharfen Worten ausgesetzt sahen und um ihre Verträge fürchten mussten, ist durchaus etwas, das man im beruflichen Leben meistern können müsste.

Angst einflößende Kündigungsdrohungen, auch brutale Menschenspiele hat wohl der allergrößte Teil der Berufstätigen bereits durchmachen müssen. Dass die Burgmitarbeiter dieses "Klima der Angst" nun erst nach so langer Zeit thematisieren, sehen sie selbst kritisch. Nicht aber die Anknüpfung an die #MeToo-Debatte (diese sei Anlass gewesen), obwohl es dort ursprünglich nicht um miese Chefs und blöde Witze und Vertragsstreitigkeiten ging, sondern um etwas sehr Faktisches: Um die Verknüpfung beruflicher Abhängigkeit mit sexuellen Forderungen.

Davon ist hier bis dato keine Rede.

Angesprochen wird hingegen, dass der Theaterbetrieb ein außergewöhnliches Arbeitsumfeld darstellt, dessen Maßstäbe einen unabdingbaren Teil an der Debatte rund um die Burg haben müssen. Schauspieler und Regisseure verhandeln, oftmals in Ausnahmemomenten, extreme Seinszustände. Es ist eine Arbeit an der emotionalen Tiefe, was ein sicheres Umfeld herauszufordern scheint; sich diesem andererseits auch zu verschließen scheint. Zwischen Regisseur und Schauspieler herrscht, im traditionellen Bühnenbetrieb, ein prinzipielles, wenn auch durchaus vielschichtiges Machtgefälle. Wie man dieses mit den verfeinerten Macht-Debatten von heute in Einklang bringt – oder überhaupt bringen kann –, ist eine Herausforderung, die über den Anlassfall hinausgeht.

Hier hängt die Kultur anderen Bereichen auch fatal hinterher: Das Auftreten als übermächtiger Manager, der sein Team zum Erfolg tyrannisiert, würde in weiten Bereichen des Wirtschaftslebens schlicht als Inkompetenz gewertet werden. In der Kultur, bei Regisseuren, Dirigenten, Starkünstlern, aber vermeint man in derartigem cholerischen Mikromanagement immer noch Spuren von besonderer Genialität zu orten, in denen sich die Gegenüber – Kulturpolitiker, aber auch Schauspieler – gerne sonnen.

Die Debatte zu führen, wie man Kulturproduktion und moderne Menschenführung in Einklang bringt, würde der Kulturwelt überaus guttun. Das könnte sich durchaus auch an künftige Bühnenchefs richten – wird aber hier in der Koppelung an Hartmann unterspielt.

Eine Neuverhandlung der Machtverhältnisse, und insbesondere auch der Frage, wie diese Machtausübung in einem produktiven künstlerischen Prozess aussehen könnte, ist hochaktuell. Hierfür braucht es vor allem auch moderne Strukturen in den Institutionen: Etwa Ansprechpartner, die sich bei Machtmissbrauch rasch an die Seite der Schwächeren stellen können. Erstaunlich in der Burgtheaterdiskussion bleibt, dass sich insbesondere der mächtige und jeden Rückhalts des Publikums sichere Burgadel dem Direktor so unterlegen gefühlt hat, dass erst Jahre später ein Aufbegehren möglich scheint.

Neger sagt man nicht

Der Kulturwelt – und uns allen – wird aber niemand ersparen können, sich auf eine gemeinsame verbale Ebene zu einigen. Was man sagen kann und welche Zoten man reißen sollte, ist vom Gegenüber abhängig und daher auch etwas, das immer wieder neu bedacht werden muss.

Dabei ist es prinzipiell ganz einfach: Sexwitze sind in Ordnung, wenn sie fürs Gegenüber in Ordnung sind; wenn sie kein verbaler Übergriff, sondern eine Pointe sind. Das ist weit weniger schwierig festzustellen, als alle in der beidseitig hysterisch geführten Debatte über politische Korrektheit tun.

Und ja, wenn sich ein Choreograf "Tanzneger" nennt, das lehrte die US-Diskussion über die Selbstaneignung rassistischer Begriffe durch Minderheiten, kann es trotzdem daneben sein, wenn ein nicht Betroffener diese Diktion übernimmt. Kompliziert? Ja. Aber zumutbar.

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