Amanda Palmer: Strip-Club & böses Theater

epa01701762 USA recording artist Amanda Palmer performs at Coachella Valley Music and Arts Festival, Indio, California, USA, 18 April 2009. EPA/STEVE C. MITCHELL
Am 5. Juli spielen Amanda Palmer und Calexico im Rahmen des "Harvest of Art"-Warm up in der Arena auf.

Amanda Palmer liebt das Theater. Genauso wie sie es hasst. Die vielseitige Künstlerin, die in ihrer Heimatstadt Boston schon an vielen Bühnenproduktionen beteiligt war, hat ihr jüngstes Album „Theatre Is Evil“ genannt.

„Ich habe schon als Kind Theater gespielt und es geliebt“, erklärt sie im Interview mit dem KURIER. „Ich habe eine große Leidenschaft dafür, was das Theater bewirken kann. Das Problem ist nur, dass es in seiner Tradition stecken geblieben ist, dass immer nur alte Stücke in Bühnen-Schachteln abgespult werden. Ich finde aber das radikalere Theater, das in den Straßen entsteht, wunderbar.“

Am Freitag (5. Juli) werden Palmer und ihre Band The Grand Theft Orchestra „Theatre Is Evil“ im Rahmen des Harvest-Of-Art-Warm-Ups in der Wiener Arena live vorstellen. Mit Songs, die außer der gewohnt theatralischen Performance der 37-Jährigen nichts mit dem Theater zu tun haben.

Persönlich

Amanda Palmer: Strip-Club & böses Theater
Denn eigentlich singt die Amerikanerin, die für ihren Sound den Begriff Punk-Cabaret geprägt hat, in den neuen Songs über sehr persönliche Dinge. Etwa über die Zeit, als sie sich in einem Strip-Club ihr Geld verdienen musste und dort „viele unglaublich einsame Seelen“ traf. Oder über ihre Art, „von meinem Lover um jeden Preis eine emotionelle Reaktion erzwingen zu wollen“. Wie kommt man von solchen Themen zu dem Album-Titel „Theatre Is Evil“? „Weil der gut klingt und sehr griffig ist.“

Palmer beginnt ihr Konzert um 19.40 Uhr. Vor ihr sind Depedro aus Spanien (17.30 Uhr) und Jamie N Commons (18.25 Uhr) aus England zu sehen. Und nach dem Palmer-Auftritt gibt es um 21.20 Uhr noch einen Headliner: Calexico, die ihren Indie-Folk mit Mariachi-Bläsern, Einflüssen aus Country und Jazz verfeinern, sind einmal mehr in Wien zu Gast. Karten gibt es an der Abendkasse.

Am 13. Juli geht das „Harvest Of Art“ im Festival-Zelt von Wiesen in seine zweite Runde – wieder mit vielen Highlights für Indie-Fans. Das Line-up: Arctic Monkeys, Bloc Party, Kate Nash, Get Well Soon, The Eclectic Moniker, Youth Lagoon, Giantree. Karten: 01/96 096 oder www.oeticket.com

Amanda Palmer ist ohne Zweifel, die "Queen Of Crowdfunding". Im April 2012 hatte sie ihre Fans über die Vorfinanzierungs-Plattform "Kickstarter" aufgerufen, sich rund um ihre neue CD "Theatre Is Evil" vorab Downloads, Spezial-Alben und oder Wohnzimmer-Konzerte und Hauspartys im Wert von 1 bis 10.000 Dollar zu kaufen. Nach vier Wochen hatte sie 1.192.793 Dollar auf dem Konto. Im September 2012 hat der Kurier sie zu einem Interview gebeten.

KURIER: Was war das Überraschendste an der Kickstarter-Crowdfunding-Aktion? Gab es auch etwas, das Sie enttäuscht hat?
Amanda Palmer: Es war eigentlich alles perfekt. Überrascht hat mich, dass wir doch zwei der 10.000 Dollar-Pakete verkauft haben, denn das ist unglaublich viel Geld. Aber ich bin das Ganze auch sehr strategisch und methodisch angegangen. Ich habe mich lange damit beschäftigt, was Musikfans auf Kickstarter mögen, speziell meine Fans, aber auch Musik-Fans im Allgemeinen. Ich hatte sogar ein Meeting mit den Betreibern der Plattform und habe sie gefragt:"Was habt ihr gelernt? Was sind die immer wiederkehrenden Muster?" Und sie sagten: "Es gibt tatsächlich ganz konkrete Muster, wie so etwas abläuft. Das erste ist, dass man den allergrößten Teil der Gelder ganz am Anfang und ganz am Schluss generiert. Und das zweite, dass - egal, ob das ein Musik-Projekt, ein technologisches oder ein Tanzprojekt ist - die populärsten Pakete immer die für 25 und 100 Dollar sind. Also habe ich sichergestellt, dass das 25-Dollar-Paket und das 100-Dollar-Paket in Massenproduktion hergestellt werden können, habe für 25 Dollar eine aufwändige CD-Edition angeboten und für 100 Dollar ein Kunstbuch, für das befreundete Künstler die Texte von "Theatre Is Evil optisch interpretiert haben. Und das waren dann tatsächlich die Pakete, über die der bei weitem größte Anteil der Gelder reinkam.
Was ist der entfernteste Ort, an den Sie für eine Hausparty geladen wurden?
Südafrika. Da war ich noch nie in meinem Leben. Und dann nach Puerto Rico und Israel, wo ich auch noch nicht war.
Sie sagten, von den 1,192,793 Millionen Dollar sind Ihnen wegen der aufwändigen Produktion des Buches und der Spezial-CD am Ende unterm Strich nur etwas mehr als 100.000 geblieben. Wie hätte sich das ausgehen können, wenn Sie nur das ursprüngliche Funding-Ziel von 100.000 Dollar erreicht hätten?
Wir haben für das Funding-Ziel eine sehr konservative Zahl angegeben, eine von der wir sicher waren, dass wir sie unter allen Umständen erreichen würden. Aber eigentlich haben wir schon damit gerechnet, dass es mehr als 100.000 Dollar werden. Und es ist auch nicht so, dass ich das Album ohne das Kickstarter-Projekt nicht gemacht hätte. Ich hatte ja schon lange davor damit angefangen und hätte es auf jeden Fall gemacht. Mein Leben wäre auch ohne diesen Crowfunding-Erfolg jetzt nicht so anders. Ich hätte ohne das Geld vermutlich weniger Videos drehen und weniger Geld für die Tour ausgeben können. Aber das ist es auch schon. Der größte Vorteil, den das hat, ist, dass es Aufmerksamkeit erregt hat. Dass dadurch das Album hoffentlich auch Leute erreicht, die mich noch nicht kennen. Ich hoffe, dass ich damit ein ganz neues Publikum erreiche.
Warum glauben Sie, hat das Crowdfunding gerade bei Ihnen so prächtig funktioniert, während es bei anderen nicht klappt?
Ich glaube, ich habe eine sehr ehrliche, reale Beziehung zu meinen Fans. Ich kommuniziere per Internet permanent mit ihnen - und das schon seit Jahren. Daher wissen sie, dass das keine oberflächliche Sache ist. Aber das ist keine Beziehung, die man ad hoc herstellen kann, weil man jetzt gerade ein Album machen will und Geld braucht. So etwas muss man sich über lange Zeit mit ehrlichem, konstanten Engagement aufbauen - wie in einer Partner-Beziehung. Und ich habe das Gefühl, dass ich das mit meinen Fans habe - mit vielen Ups und Downs zwar, aber sie kennen meine Story. Und ich denke, sie haben auch in die Idee investiert, es mir zu ermöglichen, dass ich meine Kunst so machen kann, wie ich das will. Denn für mich hat das Major-Label-System nicht funktioniert, ich war damit sehr unglücklich. So sind die Fans ein Teil meiner Story - und zwar schon seit dem Start der Dresden Dolls.
Sie sagten, Sie hatten Ups and Downs mit den Fans. Was waren die Downs?
Für einen Künstler wie mich, der wirklich nur macht, was er will, ist es eine Tatsache, dass die Fans nicht alles mögen was man macht. Speziell in den letzten drei oder vier Jahren habe ich ein paar sehr eigenartige Nebenprojekte gemacht, die nicht jedermanns Sache waren.
Welche meinen Sie damit? Evelyn Evelyn, das Duo, das Sie mit Jason Webley gegründet haben?
Ja, Evelyn Evelyn und auch das Ukulele-Album, bei dem ich Radiohead-Songs gecovert habe. Das waren für mich lustige Experimente, von denen ich viel gelernt habe. Auch, weil ich schon im Clinch mit meiner Plattenfirma war, aber noch an sie gebunden und sie daher im Alleingang veröffentlichen musste. Das war ein Testlauf für "Theatre Is Evil". Aber noch wichtiger ist, dass meine Fans Spaß daran haben, dass ich machen kann, was ich will. Sie sehen, dass es nicht mein Ziel ist, ein kommerzieller Pop-Star zu sein. Ich will eine Künstlerin sein. Das bedeutet aber auch, dass man aneckt, dass nicht alle jede meiner Ideen mögen. Aber sie haben trotzdem in die generelle Idee von Amanda Palmer investiert. Und das ist das Beste, was man von Fans erwarten kann: Dass sie interessiert bleiben, auch wenn sie nicht jedes einzelne Projekt mögen.
Warum haben Sie "Theatre Is Evil" in Australien aufgenommen?
Ich habe eine Liebesaffäre mit Australien. Ich liebe das Land und ganz speziell die Stadt Melbourne. Und die Band, das war recht neu. Wir hatten noch nicht oft zusammen auf der Bühne gestanden und waren noch nie zusammen in einem Aufnahmestudio gewesen. Deshalb brauchte ich eine Atmosphäre, in der wir uns wirklich nur auf das Projekt konzentrieren konnte. Das bedeutete, dass wir von unseren normalen Leben und unseren Partnern weggehen mussten. Australien ist wegen des Zeitunterschiedes zu Amerika ideal dafür, denn wenn es dort Tag ist, ist es in Amerika Nacht. Dort war es wirklich, als wären wir auf einem anderen Planeten. Wir blieben immer in der Stadt, so hatten wir nie das Gefühl von der Welt isoliert zu sein. Aber wir waren immer in unserem eigenen Universum und taten zwei Monate nichts anderes, als dieses Album aufzunehmen.
Der Album Titel heißt übersetzt: Das Theater ist böse. Was ist so böse am Theater?
Alles, absolut alles.
Aber Sie haben doch selbst schon viel fürs Theater gearbeitet.
Ja, ich meine, ich liebe das Theater ja auch. Aber genauso hasse ich die meisten Produktionen. Ich habe eine Hassliebe zum Theater.
Was lieben Sie daran, was hassen sie?
Ich habe als Kind schon im Theater mitgespielt und es geliebt. Und ich habe eine große Leidenschaft dafür, was Theater bewirken kann. Aber ich glaube, traditionelles Theater wie wir es kennen, hat seinen Zenit überschritten. Und zuzusehen, wie man weiterhin traditionelle Produktionen in diesen Schachteln von Bühnen abspult, macht mich verrückt. Ich glaube, es ist Zeit für eine Theater-Revolution.
Was würden Sie sehen wollen? Soll das Publikum bei der Aufführung mehr einbezogen werden, oder sogar im Entstehungsprozess der Stücke?
Nein, so weit muss es gar nicht gehen. Ich glaube, das Problem beim Theater ist dasselbe wie bei der klassischen Musik. Es ist so formalisiert, dass es nicht cool sein kann. Wobei Theater aber eine überragende Kunstform sein kann. So wie man beim Hören einer Mozart-Sonate abheben kann, kann auch das Theater so ein transformierendes Erlebnis sein. Aber weil es in der Tradition stecken geblieben ist und etwas ist, das nur den Alten gehört, können die jungen Leute das nicht erfahren. Ich will diese Traditionen zerstört sehen. Es bricht mir das Herz, dass immer wieder Theater sterben und zusperren müssen. Andererseits finde ich das radikalere Theater, das in den Straßen passiert und dort entsteht einfach wunderbar. Das würde ich gerne sehen: Dass der akademische, traditionelle Teil des Theaters begraben und darauf herum getrampelt wird.
Warum wurde das ein zusammenfassendes Thema für das Album? Ich habe versucht, eine Verbindung der Themen der Songs mit dem Titel zu finden, bin aber . . .
Oh nein, der Titel hat absolut nichts mit der Platte zu tun . . . ha ha ha . . .
Warum haben Sie ihr dann diesen Titel gegeben?
Ehrlich? Nur, weil es gut geklungen hat. Die Phrase kam einmal in einem Gespräch auf und ich sagte, das ist ein fantastischer Plattentitel. Und dabei ist es geblieben.
Woher kam die Inspiration zu dem Song "Berlin"? Stimmt es, dass sie dort gelebt haben und ihre Liebe zu den Songs der Weimarer Republik entwickelt haben, dass das die Wiege ihres Punk-Kabarett-Stils war?
Es stimmt, dass ich einmal einen Freund hatte, der in Westberlin aufgewachsen war. Und ich habe in Köln gelebt. Der Song handelt aber nicht von der Stadt. Berlin war mein Stipper-Name, als ich so Mitte Zwanzig war und als Stripperin gearbeitet habe. Dafür muss man sich ein Pseudonym zulegen und darum geht es in dem Song. Er spricht zu einem Mädchen, nicht zu der Stadt.
Mussten Sie strippen, um sich selbst ernähren zu können, oder mochten sie den Job?
Lassen Sie es mich so ausdrücken: Ich mochte, dass ich das konnte. Ich habe in dieser Zeit auch auf den Straßen performt, habe eine lebende Statue gespielt, aber auch in einem Coffeeshop gearbeitet, hatte sehr viele verschiedene Jobs. Aber es gefiel mir, dass ich stark genug war, nackt auf eine Bühne zu gehen, dafür Geld zu nehmen und kein Problem damit zu haben. Allerdings war es nicht der einfachste Job. Ich konnte fühlen, dass in einem Strip-Club die einsamsten Menschen der Gesellschaft rumhängen. Und es gab Nächte, wo es mir das Herz brach.
Gab es nicht auch viele schräge Typen?
Nein, eigentlich nicht. Das war das Gruseligste dran: Es waren ganz normale, aber unglaublich einsame Menschen. Und das war schwer mitanzusehen. Noch viel schwieriger, als mit einem Haufen schräger Typen rumzuhängen. Mit einem Haufen schräger Typen kann ich immer meinen Spaß haben.
Geht es in dem Song "The Killing Type" um diesen Killer-Instinkt, der heute in der Gesellschaft so gefragt ist, nach dem man sogar in Job-Interviews gefragt wird?
Nicht unbedingt. Ich sehe mich als eine den Frieden liebende Pazifistin. Aber das steht immer in Konflikt mit den Dingen und Momenten, die mich blind vor Wut machen. Ich dachte, das ist ein gutes Thema für einen Song - diese absolute gewaltlose Person, die aber um jemand anderen zu lehren, Gefühle zu haben, rausgeht und zum Killer wird. Speziell wenn ich an meine früheren Beziehungen denke: Mein Killer-Instinkt war immer der, dass ich unbedingt eine passionierte Reaktion in meinen Partnern erwecken wollte. Und wenn das Leute waren, die emotional leer waren, war es meine persönliche Mission, sie zum Weinen zu bringen.
Der Song "Grown Man Cry" ist soundmäßig außergewöhnlich, weil Sie den mit viel Keyboards und Elektronik interpretieren. Wie kam es dazu?
Das war der letzte Song, den wir für "Theatre Is Evil" arrangiert haben und es war eigentlich eine Pianoballade. Ich fand das aber langweilig und sagte zur Band, lass uns einen neuen Sound dafür kreieren. Wir hatten davor schon sehr viel über "Violator" von Depeche Mode gesprochen, und ich sagte, lass uns das so probieren, lass uns einen Percussion-Loop probieren. Das haben wir gemacht und es passte perfekt. Der Song ist musikalisch eine direkte Hommage an all diese Platten, mit denen ich aufgewachsen bin, die meine Schule des Songwriting waren. Für mich waren schon bei den Dresden Dolls alle Produktionen immer spartanisch, deshalb wollte ich damit zu der Spielwiese meiner Jugend zurückkehren. Das hat sehr viel Spaß gemacht.

Kommentare