Als Wien kurz Welthauptstadt war

Auf dem Dach der Rotunde, 1873; Bild von Franz Kollarz
Die Schau "Experiment Metropole" im Wien Museum blickt ins Jahr 1873 - und hilft, Wien zu verstehen.

Es war „das größte öffentliche Event, das Wien jemals veranstaltet hat“, erklärt Museumsdirektor Wolfgang Kos. Der Befund gilt bis heute: Neben der Weltausstellung, die 1873 insgesamt 7,25 Millionen Menschen nach Wien zog, nehmen sich sämtliche Donauinselfeste, Messen und Life-Bälle als Fußnoten aus.

Doch die Ausstellung war nur die Zugmaschine für eine viel tiefer greifende Stadterneuerung, deren Resultate wir noch heute sehen, spüren und nutzen. Dies begreifbar zu machen, ist das große Verdienst von „Experiment Metropole“ – einer Schau, deren Besuch man allen Stadtbewohnern sowie allen Wien-Interessierten nur mit Nachdruck ans Herz legen kann.

Stadt im Entstehen

Als Wien kurz Welthauptstadt war
Ringstraßenbaustelle mit Heinrichshof, um 1863
Fotografie
© Wien Museum
Eine Fülle von Fotos und zeitgenössischen Illustrationen, aber auch von Kleidern, Möbeln und Maschinen vermittelt einen Eindruck davon, in welch massivem Umbruch sich Wien um 1870 befunden haben muss. Die Prachtbauten der Ringstraße wurden damals im Eiltempo aus dem Boden gestampft – auf Fotografien sieht man noch den Volksgarten ohne die „Neue Burg“ und eine Baugrube dort, wo heute die Staatsoper steht.

Projektzeichnungen für ein Riesenpalais zwischen Ballhausplatz und Burgtheater sowie für einen Zentralbahnhof am Stephansplatz (!) machen dazu deutlich, dass der Eifer der Gründerzeit kaum Grenzen kannte. Das Wien Museum vermittelt dazu äußerst verständlich die wirtschaftlichen und sozialen Hintergründe – etwa mit einer Schautafel zu den wichtigsten Ringstraßen-Palais, versehen mit kurzen Porträts ihrer Erbauer, den Todescos, Wertheimers oder den Liebens.

Neben dem Reichtum steht die Infrastruktur im Zentrum der Erzählung: Die Donauregulierung von 1869– ’75, durch die der Strom seinen heutigen Lauf nahm, ist mit digital animierten Fotografien der damals eingesetzten Maschinen und Bauarbeiten wunderbar lebhaft aufbereitet. Der Hochquellenleitung und dem Bau der großen Brücken und Bahnhöfe sind weitere Kapitel der Schau gewidmet: Es waren allesamt Projekte, die die Grundlage für das heutige Funktionieren der Stadt bilden.

Die Wiener Wies’n

Die Geschichte der Weltausstellung wird zu dieser Stadthistorie parallel erzählt – die Farbe der Wandtafeln sagt den Besuchern, worum es gerade geht. Anhand eines Modells und zahlreicher Bilder werden einem die enormen Dimensionen der Schau klar, deren Hauptanlage – mit der 1937 abgebrannten Rotunde im Zentrum – sich vom Ende des Wurstelpraters bis zum Standort des heutigen Happel-Stadions erstreckte. Viele der Exponate – von Kunst über Maschinen bis zu Exotika war alles zu sehen, was man auf der Höhe der Zeit glaubte – fanden ihren Weg in Wiener Museen und wurden nun zu einem Rundgang en miniature arrangiert.

Doch „Experiment Metropole“ zeigt auch die weniger glamourösen Seiten der Schau, die sich finanziell als grandioses Verlustgeschäft erwies. Auf einer Karikatur mit dem Titel „Internationales Verbrüderungs-Fest“ sind Menschen in Trachten verschiedenster Länder zu sehen, die sich hemmungslos mit Schwechater Bier betrinken. Ein solch lustvolles Pendeln zwischen großen Ideen und Details, zwischen offizieller Repräsentation und Alltagsgeschichte – das bringt wohl nur das Wien Museum mit seiner vielseitigen Sammlung zustande.

Bilder der Ausstellung

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Als Wien kurz Welthauptstadt war

Zwei Themen, eine Epoche

Die Ausstellung „Experiment Metropole. 1873 – Wien und die Weltausstellung“ verfolgt zwei Erzählstränge: Zum einen geht es um ein Porträt der Stadt Wien um 1870, als große Bauprojekte, aber auch große Probleme wie Überbevölkerung und schwache Hygienestandards bewältigt werden mussten. Die Geschichte der Weltausstellung ist mit diesen Dingen verwoben: Zu den Zeichen des Fortschritts gesellten sich 1873 in Wien auch ein Börsencrash und eine Cholera-Epidemie.

Die Ausstellung, kuratiert von Wolfgang Kos und Ralph Gleis, ist bis 28. September im Wien Museum am Karlsplatz zu sehen. An dem umfangreichen Katalog (Czernin Verlag, 45 Euro) waren zahlreiche Autoren aus verschiedenen Fachgebieten beteiligt; der Band wird so auch zu einem „Nachschlagewerk“ zum Wien der Gründerzeit.

Kommentare