Der fliegende Österreicher

"Die letzten Wochen waren eine Hölle", sagt Pereira. "Die Scala hat mir Schmerzen zugefügt, doch ich liebe sie."
Intendant Pereira sorgt mit dem vorzeitigen Vertragsende in Mailand wieder für Rekorde.

Alexander Pereira ist – zumindest nach jetzigem Stand – nur bis Ende 2015 (statt bis 2020) Intendant der Mailänder Scala. Das ist in der Welt der Oper, passend zum Maßstäbe setzenden Pereira, rekordverdächtig: Noch ehe ein Theaterchef seinen Job antritt, ist er ihn schon wieder so gut wie los. Pereira hätte ursprünglich bis zum Ende des Sommers 2016 Intendant der Salzburger Festspiele sein sollen. Auch das ergibt Superlativisches: Der künftige Job als Operndirektor ist ein Jahr früher beendet, als sein aktueller Vertrag eigentlich gelaufen wäre. Positiv formuliert könnte man über diese bizarre Situation sagen: Pereira hat ja immer schon parallel in der Gegenwart und in der Zukunft gelebt.

Ein Chef für 15 Monate

Noch einmal zur Präzisierung die Fakten: Der Aufsichtsrat des italienischen Opernhauses hatte dem gebürtigen Wiener am Donnerstag nach stundenlangen Beratungen aufgebürdet, den im Herbst 2014 beginnenden Vertrag schon nach der Weltausstellung in Mailand 2015 auslaufen zu lassen. Selbstverständlich könne er sich für die Zeit danach wieder bewerben. Pereira, der sogar einen Entschuldigungsbrief an den Aufsichtsrat geschrieben hatte, akzeptierte und sagte: „Es tut mir leid, dass ich übertrieben habe.“

Was der Übertreibungskünstler angerichtet hat: Er initiierte als designierter Scala-Intendant den Ankauf von vier Opernproduktionen aus seiner Salzburger Zeit. Insgesamt 690.000 Euro sollten „Falstaff“, „Die Meistersinger von Nürnberg“, „Lucio Silla“ und „Don Carlos“ kosten. Fairerweise muss man sagen, dass das a priori nicht verwerflich wäre. Für die Scala ist das eine kostengünstige Variante, im Weltausstellungsjahr zu möglichst vielen Produktionen zu kommen. Und die Salzburger Festspiele könnten damit ihre (von Pereira verursachten) Abgänge in ein leichtes Plus umwandeln. Salzburgs SP-Bürgermeister Heinz Schaden, seit Jahren einer der schärfsten Kritiker von Pereira, glaubt jedoch nicht mehr an das Zustandekommen dieses Deals: „Es ist unwahrscheinlich, dass die Einnahmen erwartungsgemäß fließen werden. Ich fürchte, da werden wir einiges abschreiben müssen.“

Pereiras größter Fehler bei dieser Aktion war, dass es sich wieder um einen seiner Alleingänge handelte. Der amtierende Scala-Chef Stéphane Lissner war wohl kaum, der Aufsichtsrat des Opernhauses gar nicht eingebunden. Darauf reagiert man in Mailand verständlicherweise verschnupft. Schon in Salzburg war Pereira bei seinem Kuratorium in Ungnade gefallen.

Bei diesen Streitigkeiten war es primär um Ausweitung des Programmes und des Budgets gegangen. Diese Konflikte hatten zum vorzeitigen Rückzug Pereiras geführt – und zu einer Interimslösung für 2015 und 2016. In diesen Jahren werden die Festspiele von Sven-Eric Bechtolf und Helga Rabl-Stadler geführt. Heuer ist noch Pereira im Amt, ab ’17 folgt Markus Hinterhäuser.

„Farce“, „Verstümmelt“

Der Beschluss in Mailand sorgte für besonders kritische Reaktionen in italienischen Medien. Il Giornale schrieb von einer „Farce: Der Fall Pereira ist ein großes Chaos, aus dem alle als Verlierer herausgehen.“ La Repubblica meinte: „Die Scala ist verstümmelt, von einer klaren und sicheren Zukunft abgeschnitten.“ Und in Il Messagero hieß es: „Der Scala-Aufsichtsrat entscheidet sich für keine wirkliche Lösung.“ Pereiras erste Premiere (7. 12. 2014) ist übrigens noch von seinem Vorgänger geplant: Beethovens „Fidelio“. 2015 eröffnet er mit Verdis „Giovanna d’Arco“ mit Anna Netrebko. Diese Oper gab es 2013 in Salzburg nur konzertant, somit stellte sich die Frage des Verkaufs der Produktion nach Mailand nicht.

Der Aufsichtsrat der Mailänder Scala hat zwar die Dauer des Vertrags des designierten Intendanten Alexander Pereira auf 15 Monate verkürzt, der Mailänder Bürgermeister und Präsident der Scala-Stiftung, Giuliano Pisapia, entlastet den Manager aber vom Vorwurf des Interessenskonflikts.

"Ich habe mit Helga Rabl-Stadler, Präsidentin und kaufmännische Leiterin der Salzburger Festspiele, gesprochen und sie hat mir versichert, dass es keine Interessenskonflikte gibt. Die Salzburger Festspiele wollten die Opern verkaufen und hatten sich einen höheren Preis als jenen erhofft, den Pereira für die Scala erhalten hat. Pereira hat keine Prozente für den Verkauf bekommen", betonte Pisapia nach Angaben italienischer Medien. Das Geld für den Opernverkauf habe nicht zur Sanierung der Bilanzen der Salzburger Festspiele gedient. Der Preis für die Opern sei auch laut dem noch amtierenden Scala-Intendanten Stephane Lissner angemessen, erklärte Pisapia.

Der Scala-Aufsichtsrat habe sich Rat bei einem Arbeitsrechtsexperten im Fall Pereira geholt. "Man hätte die Vertragsauflösung in Kauf nehmen können, weil Pereira über seine Kompetenzen hinaus gehandelt hat. Die Auflösung hätte jedoch nicht aus gravierenden Gründen erfolgen können", erklärte Pisapia. Die Vertragsauflösung hätte voraussichtlich zu einem Rechtsstreit mit unsicherem Ende geführt. Außerdem sei es jetzt besonders wichtig, der Scala einen Intendanten für die Saison 2014-2015 zu sichern, in der Mailand wegen der Expo im internationalen Rampenlicht stehen werde.

Der Aufsichtsrat habe auch den designierten Musikdirektor Riccardo Chailly um seine Meinung gebeten. "Der Musikdirektor hat ein berufliches Vertrauen in Pereira bestätigt", so der Bürgermeister.

Heinz Schaden (SPÖ), Kurator der Salzburger Festspiele und Bürgermeister der Stadt Salzburg, beurteilt die rechtliche Sicherheit rund um die Opern-Kaufverträge der Mailänder Scala pessimistisch: "Es ist unwahrscheinlich, dass die Einnahmen für Salzburg erwartungsgemäß fließen werden. "Ich fürchte, da werden wir Einiges abschreiben müssen, aber daran werden die Salzburger Festspiele nicht scheitern."

Die Verträge mögen gültig sein, aber sie seien nur schriftliche Absichtserklärungen des Salzburger Intendanten Alexander Pereira im Namen der Mailänder Scala, argumentierte der Kulturpolitiker und Bürgermeister. "Ob die Verträge bei der aktuellen Stimmung in Mailand eingelöst werden, ist mehr als offen", sagte Schaden im APA-Gespräch.

"Als Kuratorium sollten wir eine ernsthafte Diskussion über eine Erhöhung der Zuwendungen für die Festspiele diskutieren. Da muss ich dem Direktorium recht geben. Das kann natürlich nur im Gleichklang mit Bund und Land geschehen, aber die Festspiele müssen als Causa Prima betrachtet werden", schloss Schaden.

Haslauer optimistisch

Deutlich optimistischer reagierte Wilfried Haslauer, Landeshauptmann von Salzburg (ÖVP) und Vorsitzender des Kuratoriums der Salzburger Festspiele, heute Mittag im APA-Gespräch auf Alexander Pereiras Vertragskürzung auf 15 Monate in Mailand. "Ich sehe keinen Anlass für Kopfweh. Die Verträge zwischen Salzburg und Mailand sind gültig und aufrecht, ich gehe davon aus, dass sie halten. Dies hat auch die Festspielpräsidentin (Helga Rabl-Stadler, Anm.) mir gegenüber heute bestätigt."

Haslauer will sich jetzt bei Pereira persönlich über die Details seiner Vertragsverkürzung und die Auswirkungen auf Salzburg informieren. "Ich gehe aber davon aus, dass der Verkauf von vier Opern von Salzburg nach Mailand um insgesamt rund 690.000 Euro vereinbarungsgemäß funktionieren wird. Und wenn wider Erwarten doch nicht, dann gibt es auch andere Optionen und Interessenten", so Haslauer. "Für uns in Salzburg ist jetzt wichtig, dass die Festspiele 2014 gut funktionieren. Und die Vorbereitungen laufen hervorragend. Die ganze Angelegenheit in Mailand möchte ich nicht kommentieren. Das ist eine italienische Geschichte, die nur Italien etwas angeht."

lexander Pereira kommt aus dem Strudeln nicht heraus. Zunächst lösten die Salzburger Festspiele seinen bis 2016 laufenden Vertrag auf, nachdem der Intendant bekannt gegeben hatte, im Herbst 2014 an die Scala zu wechseln. Nun wurde auch sein Mailänder Vertrag auf 15 Monate verkürzt. Pereira hofft allerdings, den Aufsichtsrat von seiner Arbeit überzeugen zu können. Im Folgenden eine Chronologie:

19. Mai 2009: Das Kuratorium der Salzburger Festspiele bestellt den Österreicher Alexander Pereira zum neuen Intendanten der Salzburger Festspiele ab 2011. Pereira, Leiter des Zürcher Opernhauses, folgt auf Jürgen Flimm.

24. Juli 2009: Jürgen Flimm fixiert seine vorzeitige Vertragsauflösung bei den Salzburger Festspielen und geht im September 2010. Anschließend wechselt er als Intendant der Deutschen Staatsoper Unter den Linden nach Berlin.

27. Juli 2009: Konzertchef Markus Hinterhäuser soll ab 1. Oktober 2010 ins Direktorium aufrücken und als interimistischer künstlerischer Leiter fungieren, bis Pereira im Oktober 2011 seine Funktion antritt. Hinterhäuser hatte zuvor angekündigt, unter Pereira nicht mehr zur Verfügung zu stehen.

24. Mai 2011: Das Budget der Salzburger Festspiele wird 2012 um rund zwölf Prozent steigen. Somit stehen dem designierten Intendanten Pereira für sein erstes Programm statt wie bisher rund 50 Millionen Euro in etwa 57 Mio. Euro zur Verfügung.

13. Juni 2012: Das Kuratorium der Salzburger Festspiele bremst die Wachstums-Pläne von Intendant Alexander Pereira. Dieser hat für 2013 ein Budget in der Höhe von 64 Mio. Euro vorgelegt. Das Kuratorium will geplanteres, konstanteres und langsameres Wachstum. Daher verlangt das Kuratorium, ein Budget in der Höhe von maximal 60 Mio. Euro vorzulegen. Pereira droht daraufhin mit seinem Rücktritt. Ein Monat später distanziert er sich von seiner Drohung.

26. Juli 2012: Das Kuratorium und Pereira schließen einen Kompromiss: So wird das Budget in der Höhe von 60 Mio. Euro für 2013 genehmigt. Im Gegenzug darf Pereira ein 2,6 Mio. Euro teures, gänzlich durch Sponsoren finanziertes Sonderprojekt mit dem musikalisch-sozialen Netzwerk "El Sistema" aus Venezuela aus dem Budget ausgliedern.

9. Dezember 2012: Der Dirigent und Generalmusikdirektor der Wiener Staatsoper, Franz Welser-Möst, kündigt an, den ab 2013 geplanten Zyklus mit Mozarts Da-Ponte-Opern niederzulegen - "und zwar weil ich aus dem gedruckten Programm erfahren habe, dass es Aufführungskonditionen gibt, die meiner Meinung nach so nicht machbar sind".

6. März 2013: Das Kuratorium akzeptiert trotz einer zweifach beschlossenen Deckelung von 60 Mio. Euro eine Erhöhung des Budgets um insgesamt 4,3 Mio. Euro. Im Gegenzug sichert das Direktorium zu, das fehlende Geld überwiegend durch Sponsoring und zusätzliche Karteneinnahmen hereinzuwirtschaften.

12. März 2013: Pereira holt zu Rundumschlag aus. "Ich bin nahe daran zu gehen", so der Intendant. Die jüngsten "Ausfälle" von Bürgermeister und Festspiel-Kurator Heinz Schaden (S) gegen seine Person seien würdelos. "Ich lasse mich nicht wie einen Schulbuben behandeln", sagte der bis 2016 bestellte Intendant, nachdem Schaden gegenüber der APA angekündigt hatte, Pereiras Vertrag nicht verlängern zu wollen.

4. Juni 2013: Alexander Pereira wird zum Nachfolger des Franzosen Stephane Lissner an der Spitze der Mailänder Scala ernannt. Pereira will sein Amt 2015 antreten, sein Vertrag mit den Salzburger Festspielen läuft jedoch noch bis 2016. Das Kuratorium betont, dass dieser Vertrag keine Nebentätigkeit erlaube.

11. Juni 2013: Der Salzburger Vertrag mit Alexander Pereira wird mit 30. September 2014 und damit vorzeitig aufgelöst. In den Jahren 2015 und 2016 sollen die Festspiele von Schauspielchef Sven-Eric Bechtolf und Präsidentin Helga Rabl-Stadler geleitet werden. Die Position des Intendanten wird ausgeschrieben.

25. September 2013: Markus Hinterhäuser wird als neuer Intendant der Salzburger Festspiele ab der Saison 2017 bekannt gegeben. In den Jahren 2014, 2015 und 2016 leitet er die Wiener Festwochen.

31. März 2014: Alexander Pereira gibt bekannt, dass er sechs große Opern von Salzburg an der Mailänder Scala übernehmen will. Damit sorgt er für einen leichten Überschuss im Festspielbudget des Jahres 2013. "Das ist eine Win-Win Situation", sagt Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler. Konkret brächte Pereiras Opern-Kauf 1,6 Mio. Euro für die Festspielkasse. Für "Die Meistersinger von Nürnberg", "Don Carlos", "Lucio Silla" und "Falstaff" wird später die gemeinsame Summe von 690.000 Euro angegeben.

14. April 2014: Pereira, der versichert, "die Scala hat ein Geschäft gemacht", gerät wegen des Opern-Kaufs bzw. Verkaufs ins Visier des italienischen Kulturministeriums. Das Ministerium habe den Scala-Aufsichtsrat gebeten, einen Bericht über den Deal zu verfassen, teilt der Mailänder Bürgermeister Giuliano Pisapia mit.

15. Mai 2014: Der Scala-Aufsichtsrat legt Pereira einen Vorschlag vor, wonach dieser nur bis Ende 2015 - bis zum Ende der Weltexpo in Mailand - und nicht bis 2020 im Amt bleiben soll. Danach könne er sich für eine Verlängerung bewerben.

16. Mai 2014: Pereira akzeptiert die vom Aufsichtsrat geforderte Vertragsverkürzung als Strafe wegen des umstrittenen Verkaufs von Opern der Salzburger Festspiele an die Scala. "Ich nehme den Beschluss des Aufsichtsrats an", so der 66-Jährige im Interview mit der Tageszeitung "Corriere della sera". "Am Schluss wird der Aufsichtsrat entscheiden, ob ich eine Amtsbestätigung verdient habe", erklärt Pereira.

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